Sport bleibt auf der Strecke

  14.12.2021 Sport

Der Rückkampf zwischen Willisau und der RS Freiamt wird durch einen Eklat überschattet

Das wird noch lange zu reden geben. Dass der RC Willisau Meister ist, geht in den Geschehnissen des Final-Rückkampfs unter. Die RS Freiamt hat die Begegnung so gut wie im Sack, bis Magomed Ayshkanov disqualifiziert wird. Im Vorfeld muss der Tschetschene grobe Provokationen über sich ergehen lassen. Der Sport wird zur Nebensache.

Josip Lasic

Es sind hässliche Szenen, die jedem Sportfan das Herz bluten lassen. Magomed Ayshkanov wird von den Willisau-Fans der Mittelfinger gezeigt. Bierdosen fliegen dem Tschetschenen entgegen. Provokationen auf maximalem Niveau. Irgendwann reisst dem Kämpfer der RS Freiamt der Geduldsfaden. Auch er zückt den Mittelfinger und schleudert eine Bierdose ins Publikum zurück.

Die Konsequenz: Disqualifikation. 4:0-Sieg für den Gegner, in einem Moment, wo Ayshkanov ein Punkt gefehlt hat, um die RS Freiamt in den dritten und entscheidenden Final zu führen. Diese Disqualifikation entscheidet den Kampf und die Meisterschaft. Die neun attraktiven Kämpfe, die von beiden Seiten gezeigt werden, sind nur noch eine Belanglosigkeit.

Es bleibt hässlich

Am Ende liegen im Block der RS-Freiamt-Fans die Nerven blank. Voller Frust will ein Zuschauer kurz vor Schluss auf die Kampfrichter los. Als die Schlusssirene im letzten Kampf ertönt und Willisau definitiv gewonnen hat, fliegen Bierdosen aus dem Freiämter Block. Beim Verlesen der Medaillengewinner pfeifen die Willisauer, als Ayshkanovs Name genannt wird. Ein ähnliches Pfeifkonzert ertönt seitens der RS Freiamt, als Reto Reichmuths Name ertönt. Der Ringer, gegen den der Tschetschene disqualifiziert wurde. Jeglicher Sportgeist wird mit Füssen getreten. Freiamt-Präsident Nicola Küng: «Ich hatte Angst, dass die Situation eskaliert.» Er fügt an: «Also mehr, als sie es schon ist.»


Die Schande von Willisau

Ringen, Nationalliga A, Final, Rückkampf: RC Willisau – RS Freiamt 17:16 (4:12)

Willisau ist Schweizer Meister. Nach einem Finalkampf, in dem es nur Verlierer gibt. Eine ganze Saison wird durch Zuschauer, die sich nicht unter Kontrolle haben, und ein unsouveränes Kampfrichter-Trio entschieden. Die Leistungen der Ringer gehen in den Tumulten in der Innerschweiz unter.

Josip Lasic

Es sind hässliche Szenen, die über den Schweizer-Meister-Titel im Ringen entscheiden. Wie im Hinkampf heisst das Duell mit dem meisten Feuer «Ayshkanov gegen Reichmuth». Diesmal trifft der Tschetschene in Reihen der Freiämter aber nicht auf Willisaus Superstar Stefan «Stifi» Reichmuth. Der Olympionike ist nach dem Hinkampf gegen Magomed Ayshkanov verletzt und wird länger ausfallen. Der Gegner des Freiämters heisst diesmal Reto Reichmuth – und hat nicht den Hauch einer Chance. Es steht 0:14 aus Sicht des Willisauers. Ein Punkt fehlt Ayshkanov noch zur technischen Überlegenheit und zum 4:0-Sieg. In diesem Moment steht es nach einer grossartigen ersten Halbzeit der Freiämter bereits 12:4 für die Gäste. Mit Ayshkanovs vier Punkten ist der dritte Finalkampf in Muri so gut wie sicher. Dann passiert es. «Maga» biegt den Arm von Reto Reichmuth etwas brutal nach hinten. Den Willisau-Fans, die Ayshkanov die Verletzung von «Stifi» immer noch nicht verziehen haben, platzt der Kragen. Der Freiämter wird mit Bierdosen beworfen. Er zeigt den Innerschweizern den Mittelfinger und schleudert eine Bierdose ins Publikum zurück. Konsequenz: Disqualifikation. 4:0-Sieg für Reto Reichmuth. Und eine komplett neue Ausgangslage.

Rohrer:  «Wollte nie so gewinnen»

Es kommt, wie es nie hätte kommen dürfen. Am Ende ist es tatsächlich dieser Kampf, der über den Meistertitel entscheidet. Die RS Freiamt kämpft bis zuletzt und unterliegt knapp mit 16:17. Wären die vier Punkte statt bei Reichmuth bei Ayshkanov gelandet, wäre es ein souveräner Gästesieg geworden. Willisau-Trainer Philipp Rohrer beweist Grösse: «Ich wollte nie so gewinnen. Wir haben in Muri deutlich den besseren Kampf gezeigt. Jetzt waren wir in der ersten Hälfte komplett unterlegen und haben eigentlich so gut wie verloren. Freiamt hätte sich den dritten Final verdient gehabt.»

Rohrer ist sich bewusst, dass der Kampf durch die Provokation der Fans und die Disqualifikation von Ayshkanov entschieden wurde. «Bierdosen auf die Matte zu werfen, hat nichts in unserem Sport verloren. Das gilt für die Zuschauer beider Lager. Ich muss anfügen: Obwohl die Stimmung so aufgeheizt war, hatten sich 19 Ringer im Griff. Es gehört schon auch dazu, dass sich Ayshkanov zusammenreissen kann.» Dabei blendet Rohrer aus, dass kein anderer Ringer annähernd so provoziert wurde wie der Freiamt-Tschetschene.

Wo war das Fingerspitzengefühl?

Ayshkanov ist unterdessen gleich nach seinem Kampf verschwunden. Der Tschetschene ging nach Hause, bevor der Final zu Ende war. Einen Tag später äussert er sich telefonisch. «Ich musste mir den gesamten Kampf über den Mittelfinger zeigen lassen, wurde beschimpft und dann noch mit Bier beworfen. Tut mir leid für meine Reaktion, aber ich bin auch nur ein Mensch», sagt der 25-Jährige. «Ich weiss nicht, was die Willisauer für ein Problem mit mir haben. Ist es, weil ich ‹Stifi› besiegt habe? Ja, mal gewinnt man Kämpfe, mal verliert man. Ich habe oft genug gegen ihn verloren und habe weitergemacht. Ist es, weil er sich verletzt hat? Ich habe ihn sicher nicht mit Absicht verletzt. Aber Ringen ist kein Tanzen. Es ist ein Kampfsport. Da kann es passieren, dass sich mal ein Kämpfer verletzt. Die Szenen habe ich ein paar internationalen Referees gezeigt, die ich kenne. Alle haben mir bestätigt, dass die Disqualifikation nicht gerechtfertigt war.»

Randy Vock stellt sich hinter seinen Teamkollegen: «Man kann ihn nicht disqualifizieren. Ist es schlau, wie er reagiert? Natürlich nicht. Aber es ist ein Final. Der Adrenalinpegel ohnehin schon hoch. Und dann zischen Bierdosen ein paar Zentimeter an seinem Kopf vorbei. Seine Reaktion ist menschlich. Man kann ihn vielleicht verwarnen, einen Strafpunkt geben. Aber eine Disqualifikation, bei einer Führung von 14:0. Wo bleibt da das Fingerspitzengefühl?»

Wie sieht man es auf Willisau-Seite? Ist die Disqualifikation gerechtfertigt? Rohrer: «Ich kenne das Reglement und die Statuten zu wenig genau, um exakt zu sagen, wo die Linie gezogen wird, ab welchem Grad der Unsportlichkeit ein Ringer disqualifiziert werden muss. Ich gehe davon aus, dass es die Kampfrichter wissen und nach Reglement entschieden haben.» Was sagt Hauptrichter Jean-Claude Zimmermann zur Entscheidung? «Ich möchte es nicht kommentieren.» Das Kampfrichter-Trio entscheidet über eine ganze Saison. Da wäre es zu erwarten gewesen, dass sie sagen, wie die Regeln genau lauten und ob sie eine andere Wahl gehabt hätten, als Ayshkanov zu disqualifizieren.


Ayshkanovs Ende in der Schweiz?

Freiamt-Captain Pascal Strebel äussert nach dem Final die Befürchtung, dass Ayshkanov nicht mehr für Freiamt ringen wird. Einen Tag später bestätigt der Tschetschene das: «In der Schweiz ringe ich nie mehr. Wozu soll ich mir das antun? Ich habe die ganze Nacht kaum geschlafen nach dem Final. Ich schone lieber meine Nerven.»

Strebel: «Er hat sich bei uns grossartig integriert. Magomed ist ein toller Typ und ein grossartiger Sportler. Die Willisau-Fans kennen ihn halt nicht und sehen ihn als den, der Stefan Reichmuth verletzt hat. Magomed ist ein fairer Sportsmann und ich hoffe, dass wir ihn doch noch überzeugen können, weiter für uns zu ringen. Das wäre sonst tragisch.» Das ist es bereits jetzt. In den beiden Finalkämpfen wurden 19 sportlich hochwertige Duelle zwischen starken Ringern präsentiert. Zehn solcher Kämpfe hätten die Ringerfans noch begeistern können. All das verblasst unter einem Duell, das durch unzivilisierte Zuschauer und das Kampfrichter-Trio entschieden wurde. Eine halbe Stunde nach dem Kampf wurde auch im Willisau-Lager kaum noch gefeiert. Und die Nationalliga A droht einen ihrer besten Ringer zu verlieren. Verloren hat der Ringsport definitiv an diesem Abend in Willisau. Völlig unabhängig davon, wer den Titel gewonnen hat. --jl


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