Nicht unterkriegen lassen

  27.08.2021 Muri

Lehrlings-Award des Gewerbevereins

Den Lehrabschluss nochmals feiern. Darum gibts den Lehrlings-Award. Redner Cornel Villiger gab den jungen Leuten Tipps mit auf den Weg.

Er lag da auf dem Asphalt. Er wollte sich mit den Armen aufstützen. Der Oberkörper kam mit, der Unterkörper blieb liegen. Noch mit den Töffhandschuhen kniff sich Cornel Villiger in die Oberschenkel. Gespürt hat er nichts. 17 Jahre ist dieser Moment her, der ihn zum Paraplegiker machte. Den jungen Berufsleuten erzählte er aus seinem Werdegang und ermunterte sie, auch bei Rückschlägen und geplatzten Träumen immer wieder neue Ziele zu suchen. --ake


Auch er hatte andere Pläne

Eindrücklicher Redner am achten Lehrlings-Award des Gewerbevereins Muri und Umgebung

Er wollte Sportler werden. Das hat Cornel Villiger auch geschafft. Und das, obwohl sein Leben einen ganz anderen Lauf nahm, als er es sich wünschte. Nach einem Motorradunfall ist er querschnittgelähmt. Den Lehrabgängern gab er Tipps auf den Weg, wie sie mit Rückschlägen fertig werden und es schaffen, den Blick nach vorne zu richten.

Annemarie Keusch

Die Präsentation von Cornel Villiger zeigt ein Bild eines Blitzes. Es ist der Moment des Unfalls. Der verhängnisvolle Moment vor 17 Jahren, seitdem er querschnittgelähmt ist. Es war sein Schicksal, das ihm für kurze Zeit den Boden unter den Füssen wegriss. «Es gibt Tausende Gründe, die das verursachen können», weiss Villiger. Es kann eine Kündigung sein, eine Trennung, eine nicht bestandene Prüfung. Das Entscheidende sei, wie man mit seinem Schicksal umgehe und dass man wieder aufstehe.

Es sind «Gedanken eines Anwenders», die Villiger zum Thema «Neue Chancen sehen» überbringt. Der Freiämter gibt Einblick in sein Innerstes, in den Moment, als er auf der Strasse liegend erwachte und sich aufstützen wollte, der Unterkörper aber regungslos liegen blieb. Das Realisieren kam schnell, das Akzeptieren auch. Villiger nimmt die Lehrabgänger und Gäste mit auf die Intensivstation, wo er nach dem Unfall lag. «Worauf gründet mein Leben? Diese Frage stellte ich mir, als ich bewegungslos da lag», sagt Villiger. Gedanken, die er sich auch schon vor dem Unfall machte. Die vier Pfeiler Familie, Beruf, Sport und soziales Netz waren seine. «Mir wurde schnell bewusst, und ich habe das auch x-mal erlebt, etwa bei der Polizei, dass das Leben weitergeht, auch wenn ein Pfeiler beschädigt ist.»

Immer lächelnd eingeschlafen

Bei der Sondereinheit der Kantonspolizei tätig. In der Bestform des Lebens, wie es der 44-Jährige heute beschreibt. Dieser Pfeiler brach weg. Auch die Träume als Mittelstreckenläufer platzten. «Aber anderes blieb. Die Unterstützung der Familie, das soziale Netz.» Daraus zog er Kraft, schaffte es, sich neue Ziele zu stecken «und die anderen zwei Pfeiler langsam anfangen zu reparieren».

Nie habe er sich gefragt, warum es ausgerechnet ihn traf. «Klar, ich habe geweint, nicht jeden Tag schien immer die Sonne. Aber abends schlief ich immer lächelnd ein, weil ich den Weg vor mir sah und nicht in erster Linie das, was nicht mehr möglich ist.» Gewöhnt an die neue Situation hat sich Villiger schon lange. Die zwei zerbröckelten Pfeiler sind wieder aufgebaut. Villiger arbeitet wieder bei der Kantonspolizei, aber in einer total anderen Abteilung. «Interessant sei es, erfüllend. Aber ohne Unfall wäre ich wohl nie dort gelandet», sagt er und lacht. Der Sport ist mehr denn je sein Ausgleich, sein Ventil. Badminton oder Langlauf zum Spass und sehr intensiv Handbike. «Dadurch habe ich neuen Speed und neue Reize gefunden», sagt er. Villiger hat Erfolg damit, schaffte die WM-Qualifikation. Aber auch aus anderen sportlichen Herausforderungen zieht er Kraft. «Wenn du nur mit Armkraft aufs Stilfser Joch gefahren bist, dann freust du dich, wenn die Abfahrt kommt», meint er lachend.

Die Einstellung ist entscheidend

Wenn es «schäppert» im Leben, hilft es, schnell neue Perspektiven und Ziele zu suchen. Das hat Cornel Villiger eindrücklich erlebt. «Egal was kommt, seht es als Chance. Ich war mir erst später bewusst, dass ich den Unfall genauso hätte nicht überleben können.» Die Einstellung sei entscheidend. «Wir haben alle so viele Möglichkeiten. Nutzt diese», ermunterte er die Lehrabgängerinnen und -abgänger.

Das Thema nahmen auch Moderator Erich Thalmann und Gewerbevereinspräsident Urs Beyeler in ihren Reden auf. «Unser ganzes Leben ist geprägt von Zielen und Träumen. Als junger Bub will man vielleicht Fussballprofi werden, als junges Mädchen Tierärztin. Später sind es der Lehrabschluss, vielleicht das eigene Auto, beispielsweise Ferien am Meer, den Mann fürs Leben finden und irgendeinmal die Pensionierung», zählte Thalmann auf. Dass Träume platzen, das gehöre dazu. «Immerhin wurde für Sie die Lehrabschlussprüfung nicht zum Albtraum. Dieses Ziel haben Sie alle erreicht.»

Grosses Ziel ist geschafft

Gratulationen an die Lehrabgänger richtete auch Präsident Urs Beyeler. «Ihr habt in den letzten Monaten und Jahren Grosses geleistet und seid in eurem Leben einen grossen Schritt weiter», betonte er.

Rückblickend auf den ersten Tag in der Lehre werde einem erst bewusst, was man alles geleistet habe. «Die Entwicklung von Lernenden ist immer wieder spannend zu beobachten», weiss Beyeler aus eigener Erfahrung. Auf eigenen Füssen stehen, sich integrieren, sich vom Elternhaus abnabeln.

Ein grosses Ziel ist nun geschafft

Ein grosses Ziel sei nun geschafft. «Aber das Leben ist wie ein Schulhaus, das Lernen geht weiter.» Ob sie eine Weiterbildung machen, eine andere Lehre absolvieren oder Berufserfahrung sammeln – «Die Wirtschaft und Gesellschaft braucht Sie.» Sie seien nun an der Reihe, ihr Wissen weiterzugeben. «Nur so funktioniert das System», betonte Beyeler und gab den jungen Erwachsenen Wünsche auf den Weg: «Dass Sie Freude haben am lebenslangen Lernen, dass Sie ihren Traumjob gefunden haben oder noch finden werden und dass Sie auch künftig Fehler machen dürfen und daraus lernen.»


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