Ein Spiel der Extraklasse
10.08.2021 MuriIn der Sommerserie «Grosse Kisten» wird auf das Osterspiel 2014 zurückgeblickt. Gewöhnungsbedürftig war damals sicherlich einiges. Man musste sich auf eine Inszenierung einstellen, die fast gänzlich abwich von der ursprünglichen Form aus dem Jahr 1250. In Muri wurde eine berauschende Bilderwelt rund um die Themen Sterben und Auferstehung geschaffen.
Davon blieb keiner unberührt
Sommerserie «Grosse Kisten»: Die Neuinszenierung des Murianer Osterspiels
Vom 23. Juli bis 30. August 2014 fand das Freilichttheater «la mih beruoren dih» im Klosterhof Muri statt. Das Osterspiel polarisierte und lockte rund 5000 Besucher an. Viele haben heute noch bleibende Erinnerungen an das Stück.
Susanne Schild
«Noch lange nach der Premiere stand das Publikum in kleinen Gruppen zusammen und diskutierte über das Stück», erinnert sich Jakob Strebel, der damalige Leiter von Muritheater, zurück. Die Uraufführung sollte damals mehr bieten als anregende Unterhaltung. Sie sollte berühren, bewegen, unter die Haut gehen. Herz und Seele sollten mitschwingen.
Als Murikultur damals Paul Steinmann anfragte, ob er bei einer Freilichttheater-Produktion mithelfen möchte, kam ihm sofort das «Osterspiel von Muri» in den Sinn. «Gleichzeitig wurde mir klar, dass man nicht mehr das Original würde aufführen können», schrieb der Autor damals im Programmheft. «ich ahnte damals nicht, wie viel Verunsicherung, Erkenntnisse und Arbeit mit dieser Ausgangsidee verbunden sein würden», so Steinmann weiter.
Ein Stück, das niemals ganz fertig war
Auch Jakob Strebel räumt heute ein, dass, wenn er gewusst hätte, was mit dem Osterspiel auf ihn zukommen würde, er es sich wahrscheinlich 2013 nochmals überlegt hätte, die Leitung von Muritheater zu übernehmen. «Alles ist in sich gewachsen. Es war eine andere Liga», so Strebel. Das Stück sei niemals ganz fertig gewesen, erklärt er. «Was mich verwirrte, war die Erkenntnis, dass meine ersten geschriebenen Texte und Szenen für das Theater untauglich waren», hielt Paul Steinmann im Programmheft fest. Bewegend sei für ihn gewesen, wie sich die Regisseurin Barbara Schlumpf auf den Prozess des Schreibens einliess und so zur Mit-Autorin wurde. «Es war faszinierend, zu sehen, wie dann die Inszenierung in einem kreativen Dialog zwischen der Kostümbildnerin Madlaina Capatt, Bühnenbildner Peter Scherz und Musiker Jimmy Gmür mit der Regisseurin in einem steten Prozess zu wachsen begann», erklärt Jakob Strebel. «Barbara war schon speziell. Sie war eine anspruchsvolle Regisseurin. Sie sagte immer: ‹Alle müssen begeistert sein, ansonsten geht es nicht. Alle müssen gleich denken›», ist Jakob Strebel heute noch in Erinnerung. «Es gab einige Differenzen zu lösen. Der Vermittler im Hintergrund war ich», so Strebel weiter. «Theater ist ein Biotop zum Ausprobieren», war die Überzeugung von Barbara Schlumpf.
Spiegelfolie und Hunderte von Schuhen
Steinmann und Schlumpf spielten nicht brav das Stück nach, sondern liessen Menschen von heute über seine Botschaft diskutieren. Dafür hatten sie eine Situation gefunden, die geschickt den Kontext der Aufführung aufnahm: Ein Laienensemble probt im Klosterhof von Muri das Osterspiel und reibt sich in unterschiedlicher Weise am Text. Der Bühnenbildner Peter Scherz hatte die ganze Spielfläche mit Spiegelfolie belegt. Mittendrin lag die Hölle als Kreis von Hunderten von Schuhen.
Der Musikalische Leiter Jimmy Gmür suchte nach akustischer Musik, die zur Ostergeschichte passt, die jammernd schreien, rasant treiben sowie melancholisch weinen kann und sich letztlich in sphärische Klänge verwandeln lässt.
Polarisiert, revolutionär, fasziniert und berührt
Vielen Murianern ist das Stück heute noch in bleibender Erinnerung. Wer es besuchte, erhielt zwei Stücke in einem: erst eine misslungene Theaterprobe als Mix zwischen Komödie und philosophischen Diskussionen. Und danach eine bilderreiche und lange nachwirkende Traumsequenz. Für Urs Pilgrim, den damaligen Präsidenten von Murikultur, stand schon vor der Premiere fest, dass das Stück nicht allen gefallen wird. «Es ist völlig anders als die früheren Aufführungen», erklärte er. «Darauf muss man sich einlassen können. Wenn das gelingt, dann wird man mit Sicherheit berührt», versprach er weiter. Ähnlich sah es auch Regisseurin Barbara Schlumpf: «Das Stück wird zu reden geben.»
Geredet wurde in der Tat viel und noch lange über die Inszenierung. Der damalige Murianer Pfarrer Georges Schwickerath war auf positive Weise beeindruckt: «Das Stück verlangt dem Publikum ein aktives Mitgehen ab, da es sehr dynamisch und lebendig ist», sagte er. Er selber schaute sich das Stück nochmals an, um sich mit den vielschichtigen Aussagen und Eindrücken erneut auseinanderzusetzen. «Selbst nach zehn Aufführungen habe ich immer wieder etwas Neues entdeckt», erinnert sich auch Jakob Strebel zurück.
«Die Übertragung eines Osterspiels in die neue Zeit ist spannend. Der Umgang mit einer Maria, die tanzend Zigarre raucht, und einem Jesus mit rothaariger Perücke, der sich kaum blicken lässt, ist vor den Klostermauern in Muri schon etwas revolutionär und gewöhnungsbedürftig», fand die Ständerätin Christine Egerszegi nach der Premiere.
«Das war eine Wucht. Vor allem der zweite Teil ist unglaublich intensiv», empfand Gemeinderat Heinz Nater das Stück. Und Gemeindepräsident Hans-Peter Budmiger ging es wie vielen anderen im Publikum. «Das, was man im Osterspiel sieht, ist sehr schön und schwierig in Worte zu fassen. Man sollte das selber sehen, um sich eine eigene Meinung bilden zu können», erklärte er. Gesehen haben das Stück trotz dem schlechten Wetter rund 5000 Besucherinnen und Besucher. «Der Applaus am Ende war immer wieder ein wunderbares Gefühl», schwärmt Jakob Strebel noch heute. «Ein Erfolgsgefühl, das uns bestätigte, es richtig gemacht zu haben, unsere Ziele erreicht zu haben.»
Profis und Bühnenneulinge
Seit November 2013 wurde in Muri geprobt. Die 41 Akteure waren zwischen 10 und 75 Jahre alt, einige waren Bühnenneulinge, andere bereits sehr erfahren. Sie kamen aus der näheren Umgebung, aber auch von weiter her – etwa aus Zug. Steinmann hatte vielen der Mitwirkenden Wünsche, die sie an ihre Rolle hatten, während der Probenarbeit erfüllt. Eine Rollenhierarchie gab es nicht und praktisch alle Figuren waren ständig auf der Bühne.
Jan Weber war damals mit zehn Jahren der jüngste Schauspieler. «Es war für mich eine sehr intensive Zeit. Wir alle waren sehr gespannt, wie das Stück wohl beim Publikum ankommt», erinnert er sich zurück. Bei der Premiere sei er schon nervös gewesen, gibt er zu. Doch nach dem Applaus sei die Erleichterung dann gross gewesen. «Bei den Proben haben alle auf mich Rücksicht genommen. Es war eine familiäre Atmosphäre. Ich hatte das Privileg, das Nesthäkchen zu sein», meint er mit einem Lächeln. Damals kam er durch seine Mutter zu der Rolle als Pilatus. «Ich wollte schon immer Schauspieler werden. Bereits nach dem ersten Übungstag war es klar für mich, dass ich bei der Inszenierung dabei sein wollte.» Auch für Jakob Strebel war die Inszenierung eine runde Sache. «Ich habe viele interessante Leute kennenlernen dürfen und viel Schönes erlebt. Probleme lösen gehört einfach zu einem Projekt dazu.»