Der Weg aus dem Labyrinth

  03.08.2021 Muri

Gleich zwei Regierungsratsmitglieder hielten eine Festansprache im Bezirk Muri

Jean-Pierre Gallati in Waltenschwil, Dieter Egli in Muri. Zwei der fünf Regierungsräte sprachen im Bezirk Muri zum Volk. Beide sprachen über die aktuellen Herausforderungen, die die Schweiz zu bewältigen hat.

Susanne Schild, Annemarie Keusch

«Was haben Sie vor einem Jahr gemacht? Vermutlich haben Sie zu Hause Ihren freien Tag genossen. An einer Bundesfeier waren Sie ganz sicher nicht.» Regierungsrat Dieter Egli sprach in seiner Rede darüber, was die Bevölkerung im letzten Jahr in Atem hielt: die Coronapandemie. «Geschlossene Grenzen, betagte Angehörige, die nicht besucht werden dürfen, gar Todesfälle. Wir wurden immer wieder auf die Probe gestellt.»

Egli betonte aber, dass der Dialog einen Weg aus allen Krisen bringen könne. Er habe eine gute Nachricht für die Bevölkerung: «Wir haben ein altbewährtes Mittel, um Lösungen zu finden – unsere offene Diskussionskultur, unsere direkte Demokratie.» Aber Egli hatte auch eine schlechte Nachricht: «Auch ich weiss nicht, wann wir den Ausweg aus diesem Labyrinth gefunden haben werden und wie es dort aussieht.»

Vieles hat sich verändert

Regierungsrat Jean-Pierre Gallati sprach in seiner Heimat Waltenschwil über den rasanten Wandel der vergangenen Jahre, der in den Gemeinden und der ganzen Schweiz festzustellen ist. «Vieles hat sich seit meiner Kindheit hier verändert.» Als sein Vater noch Gemeindeammann von Waltenschwil war, wäre es undenkbar gewesen, dass ein Wohler an der Bundesfeier in Waltenschwil teilnimmt, erinnerte er sich zurück. Um den Wandel und die damit verbundenen Herausforderungen zu meistern, sei es nötig, die wichtige Rolle der einzelnen Gemeinden und von deren Milizsystem zu erkennen. «Die Bundesfeier findet ja auch nicht nur in Bern statt, sondern in jeder einzelnen Gemeinde.»

Darum sei es umso wichtiger, dass es «in der Region stimmt». Freiheit und Sicherheit seien hier die Basis für die Entfaltung. Eine gute Gemeinde mache nicht nur der Steuerfuss aus, sondern vor allem ihre Vereine.


«Der Dialog ist die Lösung»

Die Coronapandemie, ihre Folgen und wie die Leute damit umgehen. Diese Thematik stellte Regierungsrat Dieter Egli ins Zentrum seiner 1.-August-Rede. Er ist überzeugt, dass für das Lösen von Problemen ein altbewährtes Rezept hilft: der Dialog. «Wir müssen gemeinsam einen Weg finden und diesen gehen», betonte er.

Annemarie Keusch

Nahe am Rednerpult sitzen nur wenige Leute. Die Mitglieder der Örgeli-Chutze» die vorher für Unterhaltung sorgten. Und die wenigen Leute, die erst kurz vor der offiziellen Festansprache auf den Klosterhof kamen. Wer vorher da war, suchte unter der grossen Linde Schutz vor den Regentropfen, also relativ weit weg von der Bühne. Trotzdem waren es gegen hundert Leute, die der Bundesfeier beiwohnten und die nach der Rede von Regierungsrat Dieter Egli kräftig applaudierten.

Er habe sich im Vorfeld überlegt, ob er in seiner Rede die Pandemie thematisieren wolle. «Corona hat unser Leben zu sehr auf den Kopf gestellt, um einfach zum Alltag zurückzukehren, den es so überhaupt noch nicht gibt», gab er die Antwort gleich selber. So erläuterte Egli, zu wie viel Unsicherheit die Pandemie und ihre Folgen geführt haben. «Wir mussten merken, wie verletzlich unsere Gesellschaft ist und wie zerbrechlich unsere Werte.» Die Pandemie habe aber auch gezeigt, dass die Solidarität in der Schweiz lebe. «Wir rückten näher zusammen, trotz Abstand.»

Immer grössere Abhängigkeit von anderen Entscheiden

Weiterhin dominiere aber die Unsicherheit. Diese zeige sich auch am Bundesfeiertag, wo viele Gemeinden ihre Festivitäten auch wegen der Pandemie absagten. «Diese Unsicherheit bleibt, trotz Impfung, Maske und Abstand. Dessen sind wir mittlerweile alle überdrüssig.» Auch weil die Unsicherheit, die die Pandemie mit sich brachte, nicht die einzige sei. Egli nennt die Globalisierung als zweites Beispiel. «Wir wissen nicht, was mit Arbeitsplätzen passiert, beispielsweise. Immer mehr sind wir als Land abhängig von Entscheiden, die andere fällen.» Braucht es noch Menschen, wenn Maschinen miteinander kommunizieren? Braucht es noch Personal und physische Läden, wenn alle alles im Internet bestellen? «Das sind Fragen, die verunsichern.»

Ebenso mache das Klima Sorgen. «Wir spüren, dass wir etwas machen müssen, wissen aber nicht, was oder ob es etwas bringt.» Und dann ist da eben noch die Pandemie. «Sie ist keine Gewitterfront, die am Horizont Unheil ankündet. Sie ist ein Platzregen, einer, der sich lange hinzieht.»

Stolz, wie das Land funktioniere

Und Egli stellt in seiner Ansprache fest, dass es verschiedene Wege gebe, mit solchen Unsicherheiten umzugehen. «Die einen verdrängen, verleugnen, geben anderen die Schuld. Die anderen diskutieren, suchen Lösungen.» Man müsse nicht gleicher Meinung sein, was die Wirksamkeit der Impfung oder der Masken betreffe, um miteinander in den Dialog zu treten, einen gemeinsamen Weg zu suchen und diesen als Gesellschaft zu gehen. «Wir dürfen uns aber nicht in eine Blase zurückziehen, wo alle gleicher Meinung sind.»

Für Regierungsrat Dieter Egli ist klar: «Wir machen das gar nicht schlecht. Auch wenn die Schritte nicht gross sind, kommen wir schrittweise voran.» Die Gesellschaft überlebe die Krise nicht nur, sie finde zusammen einen Weg. «Das war in der Geschichte der Schweiz immer wieder so. Die Voraussetzungen sind in unserem Land aber nicht einfach.» Egli spricht von einem zusammengewürfelten Haufen. «Wir kommen aus der Stadt oder vom Land, sprechen unterschiedliche Sprachen, haben alle unsere Geschichten.» Die Schweiz sei nicht eine Nation, sondern bestehe aus verschiedenen Nationen. «Diese Verschiedenheit ist eine Herausforderung, kann aber auch ein Vorteil sein», ist Egli überzeugt.

Schlechtes Wetter und Pandemie bewegen die Leute

Er sei stolz, wie die Schweiz als Land funktioniere, wie öffentlich über ganz wichtige Themen hart diskutiert werde. «Diese Kultur des Dialogs und unsere direkte Demokratie müssen wir zu jedem Preis erhalten.» Für den Weg aus der Krise sei es entscheidend, dass die Bevölkerung das Zusammen immer wieder neu definiere. «Der Dialog ist die Lösung.»

In eine ähnliche Richtung gingen die Worte, die Gemeindepräsident Hans-Peter Budmiger wählte. Er wählte das untypische Wetter und Corona als die monumentalen Ereignisse, die die Gesellschaft bewegen. «Im Vergleich zu anderen Ländern sind wir bei beidem mit einem blauen Auge davongekommen.» Das sei aber kein Zufall. «Wir stehen auf solider Basis, haben eine intakte Infrastruktur.» Auszuruhen, sei aber nicht möglich. «Es werden nächste Ereignisse kommen, heftige und weniger heftige. Dafür müssen wir bereit sein.»

Budmiger sagte aber auch, dass die Spontanität, zu der die Menschen aktuell viel mehr gezwungen sind, auch Gutes mit sich bringe. «Was rar ist, wird wertvoller», sagt er zu den persönlichen Treffen, die zeitweise kaum möglich waren. «Man kann jeder Situation etwas Positives abgewinnen.»


« Anpacken und mitmachen»

Regierungsrat Jean-Pierre Gallati als Festredner in seiner Heimat Waltenschwil

Viel Persönliches war in dieser Rede über den Regierungsrat zu erfahren. Jean-Pierre Gallati gab einige Erinnerungen an seine Kindheit in Waltenschwil preis. Weiter sprach er über die Wichtigkeit und Notwendigkeit des Milizsystems.

Susanne Schild

«Die Gemeinde Waltenschwil hat sich in den letzten 40 Jahren stark verändert.» Als er hier Kind war, sei vieles anders gewesen, blickte Jean-Pierre Gallati zurück. Die Einwohnerzahl stieg beispielsweise von 800 auf 3000. «Daran kann man erkennen, dass Waltenschwil vorbildlich unterwegs ist. Man zieht nur dorthin, wo man sich wohlfühlen kann.» Obwohl er mittlerweile in Wohlen lebe, bleibe er dennoch im Herzen ein Waltenschwiler. In der Region müsse es stimmen.

Nur der Wandel ist konstant

Die stärkste Konstante, die die Schweiz in der Vergangenheit habe erfahren dürfen, sei, dass sich alles verändert, stellte Jean-Pierre Gallati fest. Wandel beinhalte aber nicht nur Veränderungen, sondern Wandel bedeute auch, dass etwas passieren kann, was sich nicht beeinflussen lasse. «Daher ist es umso wichtiger, sich über den Sinn und Zweck der Schweiz im Klaren zu werden», forderte er weiter. «Wo wollen wir hin, wie bewältigen wir Schwierigkeiten, wo liegen unsere Stärken und wo unsere Schwächen?», fragte er. Diese Fragen müssten beantwortet werden, um eine Überlebensstrategie entwickeln zu können.

Freiheit und Sicherheit sind die Basis für eine Entfaltung. Die Schweiz steht bei vielen Statistiken an erster Stelle. «Wir sind ein soziales Land, in dem Chancengleichheit herrscht. Der Kern des Erfolges unseres Landes ist das Milizprinzip», ist Gallati überzeugt. 99 Prozent aller Politiker würden ihr Amt nebenberuflich ausüben. Auch ohne Vereine würden die Gemeinden grosse Probleme haben, so der Regierungsrat. «Vereine sind die gelebte Miliz, die über Generationen geht. Das kann man gut an der Musikgesellschaft Waltenschwil sehen, wo teilweise Mitglieder in der dritten Generation spielen.» Durch die Vereine würden der Dorfgeist und der Zusammenhalt gestärkt. Waltenschwil sei hier mit seinen 20 Vereinen vorbildlich.

Nähe bringt Verbundenheit

Die Miliz schaffe die Nähe von Bürger und Staat. «Diese Nähe bringt Verbundenheit und Verständnis. Die Miliz ist die Basis unserer Gesellschaft und dient zum Erreichen des Staatszweckes», ist Gallati überzeugt.

Rund 150 Gäste trotzten dem mässigen Wetter

Wer sich nicht irgendwo engagiere, sich mit einer Sache aktiv und intensiv auseinandersetze, könne diese Zusammenhänge nicht verstehen. Wer hingegen aktiv in einem Verein mitmache, lebe die Miliz vor. «Daher machen Sie mit und packen Sie mit an und bringen Sie sich in einen Verein ein», forderte er die Bevölkerung am Ende seiner Festansprache auf. Auch der Männerturnverein hat an diesem Sonntag tatkräftig mit angepackt. Er organisierte die Bundesfeier in Waltenschwil. Trotz Regen sind rund 150 Einwohnerinnen und Einwohner gekommen, die gut bewirtet und unterhalten wurden.

 

 


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