Im Schlaf zum «grossen Geld»

  20.07.2021 Region Oberfreiamt

Wie sich Töne auf den Tiefschlaf auswirken – Reportage als Proband einer Schlafstudie

«Wir suchen gesunde Teilnehmer zwischen 60 und 85 Jahren und Teilnehmer derselben Altersgruppe, die eine Verschlechterung ihres Gedächtnisses beobachten» – so die Über-

Richard Gähwiler

schrift einer Ausschreibung für Probanden für eine nationale Studie der Universitätsklinik für Alterspsychiatrie und Psychotherapie Bern. Sowohl vom Alter her als auch bezüglich der Gedächtniskriterien glaubte ich, in den gesuchten Raster zu passen. Nach meiner Interessen-Bekundung per Mail erhielt ich detailliertere Informationen zum Ablauf der einwöchigen Studie im Schlaflabor in Bern. Gleichzeitig wurde ein Termin für ein Telefonat vereinbart, in dem abgeklärt werden sollte, ob ich als Versuchsperson für die genannte Studie infrage komme.

Zahlenreihen und Aufzählungen

Am Telefon checkte mich dann Versuchsleiterin Céline Zeller während rund 30 Minuten mit Fragen zum Lebensstil, Schlafgewohnheiten und gesundheitlichen Aspekten. Aber auch Zahlenreihen, die ich zu ergänzen, sowie Substantive und Berufe, die ich in einem Zeitlimit aufzuzählen hatte, gehörten zum Fragen-Repertoire. Trotz «Hotel-Komfort» – Zimmer mit Dusche und WC, inklusive Frühstück, könne das Ganze nicht als Ferien eingestuft werden, machte sie schon am Telefon klar.

Neben der Entnahme von Blutproben, Gedächtnistraining, Aufmerksamkeitsaufgaben und dem Schlafen mit Verkabelung sei das eine anstrengende Woche. Aber immerhin – das Ganze wird mit einer Aufwandsentschädigung von 400 Franken abgegolten, ein willkommener Zustupf für einen Pensionisten.

Einrücken zum Probeschlafen

Meine Eigenschaften entsprachen schliesslich den Vorgaben für eine Studienteilnahme und ich wurde aus Datenschutzgründen als namenlose Versuchsperson mit einer spezifischen Ziffernfolge im Projekt gelistet. Ein paar Wochen später dann das erste persönliche Kennenlernen in Bern mit anschliessender «Gewöhnungsnacht»: Samstagabend, kurz nach 20 Uhr, begrüsste mich Assistentin Samira Senti im Laborgebäude der UPD Waldau. Ausführlich erläuterte sie das weitere Vorgehen und zeigte mir meinen «Arbeitsplatz», meinen Schlafraum für die nächsten Tage. Gleich nebenan ein Bereitstellungsraum sowie die Mess- bzw. Überwachungsstation. Wie in der zugestellten Terminübersicht angekündigt folgten diverse Fragebögen zum allgemeinen Befinden, verbunden mit einem kleinen Konzentrationstest.

Verkabelt von Kopf bis Fuss

Dann Ausmessen des Kopfes zur Auswahl der optimalen EEG-Haube. Diese sieht aus wie eine Art Badekappe mit insgesamt 128 integrierten Elektroden, welche die Verbindung zu meinen Hirnaktivitäten schaffen sollen. Die Farbcodierung auf dem Bildschirm zeigte aber vorerst nur wenige Kontakte mit optimaler Verbindung, diese waren rot markiert. Also mussten die meisten Elektroden mit einer leitfähigen Paste unterlegt werden. Bei dieser kniffligen Handarbeit wurde Samira Senti von der Assistentin Thuvarakha Thillaiyampalam unterstützt. Trotzdem dauerte das ganze Prozedere über eine Stunde, während der ich mit einem Film über Patagonien unterhalten wurde. Die EEG-Haube war das eine, Senti hatte aber für die «Gewöhnungsnacht» das ganze Programm versprochen, das heisst, es wurden auch die Beine, Brust und Bauch für das EMG und EKG sowie Mund und Nase zur Kontrolle der Atmung berücksichtigt. «So sehen wir, ob während der Schlafphase Atemstillstände oder andere Unregelmässigkeiten auftreten, was für die Studie ungünstig wäre», erklärte mir Samira Senti. So sass ich wie ein Ausserirdischer auf der Bettkante und fragte mich, ob in dieser Ausrüstung ein Schlafen überhaupt möglich ist.

Auch verkabelt lässt sichs schlafen

Es war möglich. Aber um Druckstellen auszuweichen, drehte ich mich mehrfach von der Rücken- in die Seitenlage und wieder zurück, immer bedacht, dass ich mich nicht in den zahlreichen Kabeln verheddere. Ich war jedenfalls überrascht, als es an der Tür klopfte und Assistentin Thuvarakha Thillaiyampalam den Kopf hereinstreckte: «Es ist halb acht, haben Sie gut geschlafen?», fragte sie frohgelaunt in sympathischem Berndeutsch. Ein Ja wäre nicht ehrlich gewesen – aber immerhin. Das Entfernen der EEG-Kappe verlief dann eindeutig schneller als deren Platzierung am Vorabend. Was auf dem Kopf zurückblieb waren Warzen-ähnliche Rückstände der Elektrodenpaste. Darum duschen, anziehen und natürlich der obligate Fragebogen, genannt «Morgenprotokoll». Dann aber das «kleine Frühstück» mit frischem Kaffee und der freundlichen Einladung zur Fortsetzung des Programmes anderntags um 21 Uhr.

In ähnlicher Art und Weise verliefen die weiteren vier Übernachtungen, das Schlafen am Kabel wurde fast zur Gewohnheit. Was hingegen täglich änderte, waren die Konzentrations-, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsaufgaben. Mit Farben und Formen, Symbolen, Gesichtern und Berufen wurde ich am PC echt gefordert. Ergänzt wurden diese mentalen Tests durch Blutentnahme, Blutzuckerbestimmungen sowie Blutdruckund Cholesterinmessungen. Diese Prozeduren inklusive der Montage der EEG-Haube am Abend beziehungsweise der Demontage am Morgen dauerten jeweils rund zwei Stunden – nachher hatte ich jeweils frei.

Auswertungen werden noch Monate dauern

Doktorandin Céline Zeller hatte recht, als sie schon bei der Evaluation am Telefon einräumte: «Das sind dann keine Ferien!» Aber spannend war es alleweil. Denn auch als gealterter Pensionist sticht einen der Ehrgeiz, und man möchte bei all den Tests nicht als Mittelmass eingestuft werden oder gar in die «Demenzgruppe» absinken. An zwei späteren Nachfolgeterminen wurde ich nochmals mit den bekannten Aufgaben konfrontiert und über erste allgemeine Erkenntnisse informiert. «Die Studie läuft weiter mit zusätzlichen Probanden. Die Auflistung und Auswertung aller Daten und deren Interpretation wird noch Monate dauern. Die entsprechende Dissertation möchte ich bis Ende 2023 eingereicht haben», schaut Céline Zeller in die Zukunft. Die über allem stehende Gretchenfrage «Kann durch akustische Stimulation verbesserter Tiefschlaf das Gedächtnis stärken?» kann dann wahrscheinlich in einem wissenschaftlichen Journal nachgelesen werden. Wie auch immer, für mich war es eine spannende und interessante Erfahrung. Einen vergleichbarer Einsatz als Proband kann ich all jenen empfehlen, die auch im Alter noch ein bisschen neugierig sind.


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