Ihr Glück liegt im Norden

  20.07.2021 Region Unterfreiamt

Vor Kurzem wanderte die Familie Bär von Villmergen nach Schweden aus

Schon länger war Auswandern ein Thema für Anja und Pascal Bär. Mit ihren Söhnen Yanick und Finn wollen sie sich den Traum der Selbstversorgung verwirklichen. Lange war Frankreich ein Thema, später Deutschland. Jetzt zog es die junge Familie nach Schweden. Sie sucht die Ruhe. Auch, um besser mit der Krankheit von Anja Bär zu leben.

Annemarie Keusch

Es ist ein Chaos. Anders lässt sich das nicht ausdrücken. Aber es ist auch verständlich, dass hier ein Snowboard liegt, da das Spielzeug des Hundes und dort ganz viele alte Sachen, die nicht mehr gebraucht werden. Es ist einer der letzten Tage, an denen Anja und Pascal Bär Villmergen ihr Zuhause nennen. «Das geht jetzt nicht mehr ohne Chaos», sagt Pascal Bär und lacht. Sie sitzen draussen vor ihrem Haus. Gegen tausend Quadratmeter messe ihr Grundstück hier in Villmergen. Genug Platz für eine vierköpfige Familie mit mittlerweile drei Hunden, eigentlich. Aber die Bärs wollen mehr. Sie wollen Selbstversorger sein. «Das geht hier in der Schweiz, ist aber teuer», weiss Pascal Bär.

Zusammen mit seiner Frau beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit dem Auswandern. Auch, weil sie gemerkt haben, dass es für sie finanziell nicht möglich ist, im Freiamt einen Bauernhof zu kaufen. «Aber das ist unser Traum», sagen die beiden. Lange fassten sie Frankreich ins Auge, auch weil Pascal Bärs Grosseltern dort leben. Dann sollte es Deutschland werden. Einen passenden Hof fanden sie schnell, kauften diesen vor zwei Jahren. Für die Landwirtschaftsschule war er schon angemeldet, als die böse Überraschung kam. «Unser Hof war in der Schutzzone, was vorher niemand merkte, auch der Notar nicht», sagt Anja Bär. Ein Jahr dauerte der Prozess, den sie schliesslich gewannen.

Multiple Sklerose und psychische Krankheit

Aber die Lust am Auswandern war vorläufig verrogen. Der Traum hingegen lebte weiter. Und Anja Bärs Krankheit lässt sie kaum mehr Hitze ertragen. Sie leidet an schubförmiger Multiple Sklerose. «Ist es zu heiss, habe ich den ganzen Tag keine Energie. Vorher liebte ich den Sommer, die Hitze, das geht jetzt nicht mehr.» Entsprechend kam sie im Januar – also vor weniger als einem halben Jahr – mit der Idee, das Leben in Schweden weiterzuführen. «Für mich war das ein Traum. Ich wollte schon immer in den Norden», sagt Pascal Bär. Die Weite, die Ruhe, das suche er, der sich mehrmals selbstständig machte. Seine Brandschutzfirma hat er aus gesundheitlichen Gründen verkauft, seine Hauswartungsfirma gibt es noch. Seit zwei Jahren ist Bär aber krankgeschrieben. Seiner Psyche geht es nicht gut.

Beide hoffen, im Norden besser mit ihren Krankheiten leben zu können. «Wir wollen einfach mehr Zeit haben, vor allem für uns als Familie.» Die beiden haben zwei Söhne, Yanick ist sechs Jahre alt, Finn vier. «Natürlich spielt das Bildungssystem eine wichtige Rolle bei der Wahl der neuen Heimat», betont Anja Bär. Vom schwedischen lasen und hörten sie nur Gutes. «Es sei mehr auf die Praxis bezogen als bei uns», ergänzt Pascal Bär. Und der Sozialstaat Schweden sorgt dafür, dass alle Kinder zur Schule gehen können. Um 7.30 Uhr werden sie abgeholt, um 15 Uhr nach Hause gebracht. «Das gibt uns mehr Zeit, uns zu erholen», sagt Anja Bär.

Ein Sozialstaat mit hohen Steuern

Ende Juni ging die Reise los. Vater, Mutter, Katzen und Hunde reisten mit dem Auto. Die beiden Söhne flogen mit dem Grossvater nach. Gegen 24 Stunden betrug die reine Fahrzeit inklusive Fähre. «Dort können wir schlafen», meint Pascal Bär. Bis sie in Tandsjöborg ankamen, dauerte es gegen 40 Stunden. Tandsjöborg, ihre neue Heimat, ein Dorf mit 27 Einwohnern. «In der Pampa», sagen Anja und Pascal Bär. Die nächste Stadt, Mora, ist 90 Kilometer entfernt. Auch zum Einkaufen müssen sie sich ins Auto setzen und 45 Minuten fahren. «Auf diese Ruhe freuen wir uns», sagen sie wenige Tage vor der Abreise.

Über Schweden wussten die beiden bis vor wenigen Monaten fast nichts. «Dass es ein Königreich ist, ein Sozialstaat. Dass die Zufriedenheit der Bevölkerung hoch ist, aber auch die Steuern», zählt Anja Bär auf. Pascal Bär kennt einiges aus der nordischen Mythologie. Schwedisch lernen beide. «Ich schlage mich damit durch», sagt Pascal Bär. Schon bei den Verhandlungen zum Hauskauf habe er seine neue Sprache eingesetzt.

Ein Umweg zum Traumhaus

Anja Bär hat ihr neues Haus zum ersten Mal gesehen, als sie nach der langen Fahrt vor wenigen Tagen ankamen. Sie lächelt. «Ich vertraue meinem Mann.» Er fuhr schon mehrmals nach Schweden, für die Hauskaufverhandlungen und um erste Frachten zum neuen Haus zu bringen. Dabei war es mehr als Zufall, dass sie das Haus kauften, in dem sie sich nun einleben. «Auf Bildern haben wir im Internet unser Traumhaus gesehen», erzählt Pascal Bär. Auf dem Weg zu diesem Haus rang er sich zu einem Abstecher durch. «Wir sahen eben noch ein anderes Haus, das uns anhand der Bilder aber nicht wirklich gefiel. Wir wollen abgeschieden leben, dieses Haus ist von vielen Gebäuden umgeben.» Die vier Stunden Extraweg nahm er trotzdem in Kauf und fuhr via Tandsjöborg. «Erst da merkte ich, dass all diese Gebäude dazugehören.» Keine Stunde später hatte er den Zuschlag, am Abend war der Vertrag unterschrieben.

Eine gehörige Portion Spontanität ist den Bärs nicht abzusprechen. Innerhalb weniger Stunden kaufte Pascal Bär ein Haus samt Inventar – vom Schneetöff bis zu Kanus –, mit Gästehaus und Waldparzelle. «Das ist doch gut. So mussten wir nicht alle Möbel zügeln», meint er und lacht. Ansonsten wurde aber in Villmergen alles feinsäuberlich verpackt und inventarisiert. «So gab es am Zoll keine Probleme.»

Baden, fischen, einleben

Von ihrer Auswanderung ist die junge Familie überzeugt. Auch die Kinder freuen sich. «Auf das Fischen», sagt Yanick. Auf die Abenteuer. Und wenn sie so viel Platz haben rund um die Liegenschaften, wollen die Kinder Tiere. Schafe, Ziegen, Schweine. Die Eltern lachen. «Es braucht Tiere für einen Selbstversorgungsbetrieb. Aber das besprechen wir später.» Überhaupt ist vieles nicht durchgetaktet. Das Haus auf Vordermann bringen, das Gästehaus herrichten, um es vermieten zu können. Wenn nötig, nimmt Pascal Bär eine Arbeit an. «Wir wollen uns keinen Luxus leisten. Wir wollen so viel Geld verdienen, wie wir zum Leben brauchen. Und wenn es reicht, dass wir einmal im Jahr in die Schweiz fliegen könnten, wäre das toll», sagt Anja Bär.

Mittlerweile sind die ersten Wochen in der neuen Heimat vergangen. Die Bärs leben sich langsam ein, fischen, gärtnern, baden in einem der unzähligen schwedischen Seen. «Uns geht es gut», schreibt Anja Bär. «Wir


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote