Wo ein Geschäft zum Erlebnis wird

  15.06.2021 Region Bremgarten

Ein Blick hinter die Kulissen mobiler WC-Häuschen – unterwegs auf einer Tour

Sie sind ein wichtiges Utensil bei allen grösseren Bautätigkeiten. Man sieht sie bei privaten Feiern und an Grossveranstaltungen: die mobilen Toiletten-Anlagen. Zweifellos eine fantastische Erfindung, ein wertvoller Beitrag zu einer nachhaltigen Hygiene. Wie sieht die Zukunft aus dieser «Telefonkabinen» mit sanitärer Infrastruktur?

Richard Gähwiler

Zugegeben, es braucht etwas Mut und Überwindung, wenn man als 67. Benutzer ein solches Kabäuschen betritt. Ein alter Spruch der Musikbranche lautet: «Bei Rockfestivals ist ein Klogang wie eine Bergwanderung: nur nicht in die Tiefe schauen.» Das Geruchlich-Visuelle entspricht vielfach nicht unsere Hygiene-Vorstellungen.

Aber bei dringlichen menschlichen Bedürfnissen und in Ermangelung alternativer sanitärer Einrichtungen sind diese Toilettenkabinen trotzdem für den Benutzer ein Geschenk des Himmels.

«Rote WC-Hüsli» aus dem Freiamt

Erfunden von einem Amerikaner (siehe Kasten) gibt es neben der «Toi-Toi»-Gruppe» schweizweit ein paar Dutzend weitere, meist lokale Anbieter von mobilen WC-Häuschen. Das Freiamt, die angrenzenden Kantone Basel, Zürich und Zug werden nebst von anderen Anbietern auch von der Firma Hüsser WC-Vermietung AG, Bremgarten, betreut. Das Unternehmen wurde 2001 von Christoph Hüsser mit Mut, einer Idee und 20 mobilen Toilettenkabinen gegründet. Mit seinem Engagement wurden die «roten WC-Hüsli» bald einmal zu einem Markenzeichen für Qualität und Top-Service.

Nach einem Hallen-Neubau, Sortimentserweiterungen und administrativen Aufrüstungen übergab er im Jahr 2020 die Geschäftsführung an seine Tochter Manuela Forlin-Hüsser und deren Ehemann Michael Forlin. «Das Unternehmen bleibt damit ein inhabergeführtes Familienunternehmen», ergänzen die beiden stolz.

Ihnen ist der persönliche Kontakt zu den zwölf Mitarbeitenden Grundlage zu einem erfolgreichen KMU: «Sind unsere Chauffeure mit ihrem Job glücklich und stolz auf das Geleistete, spiegelt sich das in ihrer Arbeit, was wiederum zufriedene Kunden hinterlässt», so die hüsserische Philosophie. Für Manuela Forlin ist klar: «Service ist das A und O in unserem Business. Hier können wir punkten. Wir sind preislich nicht die Billigsten, aber unsere Dienstleistungen, mit hohem hygienischem Standard, werden von unseren Kunden geschätzt».

So sind aus den anfänglich 20 Kabinen heute rund 1000 der «roten WC-Hüsli» im regelmässigen Einsatz. Grösster Geschäftsbereich sind die Baustellen, der kleinere Teil sind Events und Privatanlässe. Das hatte den Vorteil, dass die Coronazeit ohne allzu grosse Einbussen überbrückt werden konnte – gebaut wurde durchgehend.

Die gebräuchlichen mobilen WC-Anlagen, ob blau, rot oder mit originellem Logo, sind anschlussfrei, unabhängig von Wasserzufuhr und Kanalisation und daher fast überall zu positionieren. Deren Ausstattung kann hingegen unterschiedlich sein. Vom einfachen Bau-Kabäuschen, zweckmässig für den täglichen Gebrauch, bis zur komfortablen «Designer-Kabine» mit Licht und Heizung reichen die Angebote.

Unterwegs mit dem Servicefahrzeug

Grundausrüstung bei allen sind die sanitarischen Einrichtungen sowie ein Wassertank mit biologisch abbaubarem Sanitärkonzentrat. Letzteres wird zusammen mit den Fäkalien in regelmässigen Abständen von speziellen Servicefahrzeugen durch das Unternehmen abgepumpt und in Kläranlagen umweltgerecht entsorgt. Das wollte der Autor dieses Beitrages, genauer sehen. Unterwegs mit dem Servicefahrzeug. Auf Tour.

Pius Lang, seit acht Jahren Chauffeur bei der Firma Hüsser WC-Vermietung AG in Bremgarten, erklärte den Tourenplan. «Wir machen heute Morgen die Mutschellen-Runde. Das sind mehrere Baustellen und eine öffentliche Kabine in der Region ennet der Reuss», sagts und startet das Servicefahrzeug, das er bereits beladen und ausgerüstet hat mit einer Reserve-Kabine, einer Vakuumpumpe mit Fäkalientank, einer Hochdruck-Reinigungsanlage, einem Wassertank mit Frischwasser und diverses Kleinmaterial zur Reinigung.

Bei der Anfahrt zur ersten Station erzählt Lang von seinem Werdegang, seiner Lehre als Automechaniker, den paar Jahren Praxis, ohne wirklich Freude am Job zu haben, und dem Umstieg auf seine heutige Tätigkeit. «Heute liebe ich meine Arbeit effektiv, den Kontakt mit Kunden, deren Wertschätzung meiner Arbeit und vor allem die kollegiale Atmosphäre in unserem Team in Bremgarten», schwärmt er.

Dann die erste Aktion: Mit Maske und festen Handschuhen entrollt Lang den schwarz-gelben Schlauch zur WC-Kabine. Die vorne angebrachte Lanze taucht er durch die Klobrille in den Toilettentank und mit Vakuum werden die sich darin befindenden Fäkalien abgesaugt. Mit der Routine eines Profis dann die Umstellung auf die Hochdruckanlage, mit der er die Kabine innen und aussen sorgfältig reinigt. Anschliessend befüllt er die WC-Tankanlage mit Wasser und einer blauen Flüssigkeit, ergänzt das Verbrauchsmaterial und sprüht zuletzt einen «Touch Frühlingsduft» in den Innenraum der Toilette. Mit dieser frischen Brise sollen die Sitzungen der nächsten Benutzer zu einem nachhaltigen Erlebnis werden.

Komposttoilette – Sitzung wird zum Erlebnis

Nach sechs weiteren Arbeitsfolgen ist es Zeit, den Fäkalientank zu leeren. Dies geschieht in der Kläranlage in Bremgarten. Man kennt sich und Klärmeister Urs Jäggi ist mit dem Schlüssel für den Schacht zur Stelle, als Lang den Servicewagen zum Entladen einparkiert. Er informiert Jäggi, was und wie viel da abgeladen wird. Das Entsorgen ist gebührenpflichtig und die darin beendliche «Blaue Chemie» muss biologisch abbaubar sein. Ohne Chemie, eine ökologische Richtung, verfolgte ein Team des Startups «Netzwerk Bodensee»: Mit dem System einer Komposttoilette wird der natürliche Kreislauf der Nährstoffe aufrechterhalten. Die heimeligen Holztoiletten funktionieren nach dem Prinzip des Plumpsklos, ohne Wasser und Chemie. «Gespült» wird nach jedem Toilettengang mit Streu und Holzspänen, die auch zur Geruchsneutralisierung beitragen. Die Toiletten werden regelmässig entleert, die Feststoffe kompostiert und als stabile Humuserde wieder dem Kreislauf zugeführt. Heute werden die ökologischen Toilettenhäuschen von Kompotoi AG, einem zwischenzeitlich gegründeten KMU aus Zürich, schweizweit vermietet. Kompotoi setzt neben den mobilen Mietanlagen auch auf den Einsatz fest installierter Komposttoiletten.

Solche finden Anwendung durch touristische Anbieter, in entlegenen Berg- und Waldhütten und zunehmend auch im öffentlichen Raum. Allein schon wegen des heimeligen Aussehens hätte dieses «Herzli-Häuschen» einen «Mobile Toilet Award» verdient.

Kabine ist nicht einfach gleich Kabine

Der Vergleich von WC-Kabine mit Telefonkabinen mag auf deren Grösse zutreffen, nicht aber auf deren Verfügbarkeit. Während Telefonkabinen im öffentlichen Raum (fast) verschwunden sind, ist eine markante Zunahme der mobilen WC-Kabinen festzustellen. Dies sicher auch aufgrund der gesetzlichen Vorgaben für Baustellen. Wenn nun noch der Vorschlag, Telefonkabine mit WC-Kabine zu ersetzen, Gefallen findet, steht einer weiteren Optimierung der Hygienemassnahmen im öffentlichen Bereich nichts mehr im Wege. Denn es ist nicht anzunehmen, dass sich in Zukunft das elementare menschliche Bedürfnis, die diskrete Entsorgung von Stoffwechselabbauprodukten, grundsätzlich ändern wird.


Von der Erfindung zum Weltmarktführer

Der Werdegang der WC-Häuschen

Wie kam es überhaupt zu den WC-Häuschen? Ein kleiner Rückblick: Neben der körperlichen Erleichterung wollte der in Deutschland stationierte, amerikanische Soldat Fred Edwards auch im Feld ein bisschen Privatsphäre am stillen Örtchen. Dies erreichte er, indem er in den 1970er-Jahren aus Fiberglasplatten das erste transportable Klo zimmerte.

Fred Edwards gründete im deutschen Essen die erste Firma für mobile Sanitärsysteme. Dieses, offiziell als Freifallkabine bezeichnetes Häuschen, nannte er sofort «Dixi-Toilette».

Seine Erfindung wurde mit Erfolg in Europa vermarktet, bis rund zehn Jahre später der Deutsche Harald Müller die WC-Vermietung «ToiToi» gründete.

Aus dem einfachen, funktionalen Kunststoff-Klo von Edwards gestaltete Müller eine Designertoilette, die sich auch ästhetisch präsentierte. Form und Grösse dieser Häuschen blieben und erinnern aus der Ferne an Telefonkabinen – was auch schon zu Verwechslungen führte. «Dixi» und «ToiToi» wurden zu den Weltmarktführern. Sie fusionierten 1997 zur ADCO-Unternehmensgruppe und seit 2019 ist das Investmentunternehmen Apax Partners der neue Mehrheitsgesellschafter der Unternehmungsgruppe. Mehr als 300 000 Toilettenhäuschen und -container werden heute von diesem Unternehmen vermietet. --rig


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote