Strebels Märchengeschichte

  26.03.2021 Sport

«Freiämter Olympionike» Pascal Strebel

Pascal Strebel ist 2012 mit seiner Olympia-Qualifikation in die Fussstapfen seines Vorbildes Reto Bucher getreten.

Dieser «Pasci» Strebel ist einfach ein vorbildlicher Sportler und ein feiner Typ. Seit über einem Jahrzehnt gehört er zur nationalen Spitze im Ringen, ist Captain der RS Freiamt und Publikumsliebling. Sein grösster Karrierewurf gelang ihm 2012, als er die Olympia-Qualifikation schafft. An Olympia ist zwar nach nur einem Kampf Schluss, doch er und seine Fans erlebten trotzdem eine unvergessliche Zeit. --spr


Strebel und die Feierbiester

Serie «Freiämter Olympioniken»: Ringer Pascal Strebel an den Olympischen Spielen in London 2012

Die Olympia-Qualifikation war ein erfüllter Bubentraum. Doch schon in der ersten Runde war Schluss. Das hinderte Pascal Strebel und seine 80 Fans nicht daran, das «House of Switzerland» in eine Partyzone zu verwandeln.

Stefan Sprenger

Vier Jahre für vier Minuten. Pascal Strebel erlebt in London die brutale Härte des Ringersystems. Nach vier Jahren voller Entbehrungen, knallharten Trainings und unzähligen Trainingsstunden ist es am 7. August 2012 so weit. Olympia, Achtelfinals, 66 kg Greco. Der Gegner ist der amtierende Weltmeister aus Georgien: Manuchar Tskhadaia. «Ich fühlte mich hervorragend. Ich wusste, wenn alles passt, hole ich eine Medaille. Ich war überzeugt vom Erfolg», erzählt Strebel. Er verliert 1:3. Der Olympia-Traum schon nach einem Kampf vorbei. «Der Gegner war einfach stärker.»

Olympia war viel mehr als nur dieser eine Kampf. «Ich denke ab und zu noch an diese Zeit zurück.» Beispielsweise an den 27. Juli. Aus dem Olympia-Dorf läuft Strebel zur Eröffnungsfeier im riesigen Olympia-Stadion. «Je näher ich kam, desto grösser wurde dieser Tempel. Einfach nur wow», erzählt der heute 32-Jährige. 80 000 Zuschauer sind bei der Eröffnungsfeier dabei. «Bombastisch. Da hat man das Ausmass von Olympia gesehen. Mir stehen heute noch die Haare zu Berge, wenn ich daran denke.»

Besonders: Nach der Eröffnungsfeier fliegt Strebel zurück in die Schweiz, bereitet sich im Freiamt vier Tage lang auf seinen Einsatz vor, reist dann wieder nach London. Nach seinem verlorenen Kampf geniesst er die Stadt und die Stimmung.

Der «Vorfall» im «House of Switzerland»

Er ist live dabei, als Usain Bolt den 100-m-Final gewinnt, vertreibt sich die Zeit im Olympia-Dorf und geht in den Ausgang. Bis halb fünf Uhr morgens, dann gibts einen Burger vom McDonald’s und ab ins Bett. Jetzt darf er ja wieder. Nach vier Jahren der Vorbereitung fällt nach dem Olympia-Turnier viel Ballast ab von seinen breiten Ringerschultern. Strebel zieht mit anderen Sportlern umher. «Mit den Ruderern habe ich mich prima verstanden», sagt er. Er plaudert mit Läufer Viktor Röthlin oder Tennisspieler Stanislas Wawrinka. «Alle Sportler hatten absolut keine Allüren.»

Strebel musste sogar feiern, auch wenn es ihm gar nicht danach zumute war. Am Kampftag beispielsweise. Er sei «sehr enttäuscht gewesen», ging trotzdem mit seinen Fans feiern. Diese ziehen mit einem «Datzelwurm» durch die Wettkampfhalle. Ehrensache, dass er mitfeiert, denn Strebel wurde von rund 80 Freunden, Familienmitgliedern, Ringerkumpels und Fans in London angefeuert.

Lachend erzählt er vom «Vorfall» im «House of Switzerland». Die Stimmung im Haus war eher gehoben, Cüpliglas statt Bierflasche, Anzug statt Kapuzenpulli. Als Strebel und seine Entourage – mehrheitlich aus dem Freiamt – eintreffen, steigt die Stimmung gewaltig. Ueli Maurer und Beni Thurnheer sehend lachend zu, wie die Strebel-Sause steigt. Mit dabei die RS-Freiamt-Trainer Marcel Leutert, Reto Gisler und Strebels Betreuer Andrey Maltsev – und viele mehr vom Verein. «Vom Cüpli- wurde es schnell zu einem Bierevent», erzählt Strebel lachend.

Alles blieb gesittet, wie Strebel erzählt. Allerdings gab es nach einiger Zeit ein ziemliches Problem. Die Barfrau sucht Pascal Strebel auf und flüstert ihm folgenden Satz ins Ohr: «Entschuldigen Sie. Wir haben fast kein Bier mehr. Könntet ihr langsam gehen?» Ohne Bier keine Party. Der Strebel-Partyzug zieht logischerweise weiter.

«Man darf gar nicht alles erzählen»

Das Treffen mit Pascal Strebel wegen dieser Olympia-Story findet in Muri statt. Bei der Beltech AG, wo der Elektroinstallateur schon seit bald zwei Jahrzehnten arbeitet, empfängt er diese Zeitung in seinem Büro. Dort ist er Projektleiter und stellvertretender Geschäftsführer. Sein Chef heisst Adi Bucher, früherer Ringer und RS-Freiamt-Trainer. Er sitzt während des Gesprächs am Computer und hört mit. Auch er war dabei in London. Immer wieder blickt er von seinem Bildschirm rüber und bestätigt mit einem Lachen: «Das war wirklich eine geniale Zeit. Man darf gar nicht alles erzählen.»

Strebel denkt sehr gerne zurück an diesen ereignisreichen Tag. Der 7. August 2012. Die Anspannung, das Adrenalin, die Enttäuschung, der Stolz. «Als ich mit fast 100 Menschen feierte, war die Frustration weg – sie kam dann einen Tag später zurück.» Denn er hätte so gerne gezeigt, was er draufhat. Dass er gleich den amtierenden Weltmeister zugelost erhält und aus dem Turnier rausfliegt, war einfach nur Pech. «Ich brauchte einige Tage, wenn nicht sogar Wochen, um diese Niederlage zu verdauen», meint er.

Stolz ist er trotzdem. «Olympia ist etwas vom Grössten für einen Sportler.» Das Ausnahmetalent aus Aristau entstammt einer Ringerfamilie. Schon im Kadettenalter macht er auf sich aufmerksam, als er an den Europameisterschaften 2005 Bronze holt. 2010 gibt es den 7. Rang an der Weltmeisterschaft bis 66 kg Greco.

Unterstützung von allen Seiten

Dann folgt im April 2012 der grosse Wurf. Der 2. Rang am Olympia-Qualifikationsturnier in China. Er löst sich das Ticket für London, ein Traum wird wahr, das Freiamt steht kopf, eine Ringer-Euphorie entsteht – und Strebel tritt in die Fussstapfen seines Vorbildes Reto Bucher. «Eine Riesen-Sache.» Am Flughafen in Kloten holen ihn rund 80 glückliche Menschen ab. «Unvergleichbare Momente», meint er.

Die Qualifikation ist ein erfüllter Bubentraum. Er steigerte damit den Bekanntheitsgrad – von sich selber und der ganzen Sportart. In London war er der einzige Schweizer Ringer. «Ich erlebte von allen Seiten enorm viel Unterstützung – ohne Gegenleistung. Ich bin meinen Weg gegangen, und das Freiamt und meine Freunde, Familie und Sponsoren haben mir das alles ermöglicht. Etwas, wofür ich heute noch sehr dankbar bin.»

Pascal Strebel gehört nach wie vor – seit mittlerweile über einem Jahrzehnt – zu den Leistungsträgern bei der RS Freiamt. Der Mannschaftscaptain hofft nach zuletzt zwei Finalniederlagen gegen Willisau, dass er bald wieder den Meisterpokal in Händen halten kann. «Aller guten Dinge sind drei.»

Rücktritt im 2013, Papi seit Kurzem

International hat er ein Jahr nach Olympia seinen Rücktritt gegeben. 2013 war dies, als er vor dem heimischen Publikum in der Halle in Muri verkündet, dass er nach fünf Jahren im internationalen Ringerbusiness nicht mehr zu 100 Prozent dahinter stehen kann. «Ich war nicht mehr davon überzeugt, dass es 2016 wieder an die Olympischen Spiele reicht. Ich habe einiges erreicht, es passte so für mich. Und ich wollte nicht mehr so viele Entbehrungen haben in meinem Leben.»

Familie und Freunde, Job und das Leben, das war ihm fortan wichtiger als Trainingslager in der Ukraine und unzählige Trainingsstunden im Ringerkeller in Aristau. Heute lebt er mit seiner Frau Jenny Strebel-Rey in Muri, ist seit wenigen Monaten Vater einer Tochter namens Elea. Bei der RS Freiamt hilft er im Nachwuchs mit oder als Greco-Trainer, wenn Andrey Maltsev mal verhindert ist. «Ich möchte schon noch einige Jahre aktiv ringen», versichert er. Der Publikumsliebling der RS Freiamt ist noch lange nicht satt.

Strebel erinnert sich an das Jahr 2008. Sein erstes internationales Jahr. Im Trainingslager in der Ukraine hiess es: «Ich nehme den Schweizer, dann ist das Training nicht zu hart.» Jahre später wählte dann Olympionike Strebel aus, gegen wen er trainieren will, damit es nicht zu hart wird. Er hat sich in dieser Zeit den Respekt und die Achtung der Ostblock-Ringer erarbeitet. «Schon cool», meint er lachend.

«Man muss an seinen Traum glauben»

Strebel reiste Jahre später mit einem Grüppchen der RS Freiamt zurück nach London. Besuchte dabei auch das frühere Olympia-Dorf. Erinnerungen kamen hoch. «Man muss an seinen Traum glauben, egal was andere sagen», so Strebel, der Vollbluts-Olympionike. Mit Wille, Fleiss und Glaube könne man alles erreichen. «Und manchmal muss man auch Dreck fressen.»

Denn auch wenn er nach nur einem Kampf an den Olympischen Spielen rausflog, so ist seine Geschichte trotzdem ein wahrgewordenes Olympia-Märchen, die unzählige Menschen glücklich machte.


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