2000 Tonnen pro Güterzug

  23.03.2021 Region Bremgarten

Vom Hafen in Hamburg bis ans Mittelmeer oder noch weiter. Das ist der Weg von unendlich vielen Güterzügen. Und alle rattern als Container-Kompositionen durchs Freiamt. Als eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen ist die Linie durch das Freiamt sehr stark frequentiert. Ein Güterzug schleppt schon mal bis zu 2000 Tonnen Material.

Die kunterbunten Container werden verschifft, umgeladen und auf der Schiene transportiert. Letztlich entsteht eine kombinierte Logistik mit Schiff, Bahn und LKW. Und durch das Nadelöhr mit dem Namen Freiamt fahren praktisch alle dieser Güter. Das sind dann gegen 240 Güterzüge innert 24 Stunden. Eine grosse Dimension. Bis zu 750 Meter lang können laut der SBB Cargo AG diese Kompositionen sein. --dm


Ein Abbild der weiten Welt

Container aus aller Welt sind mit Güterzügen durchs Freiamt unterwegs

Sie kurven regelmässig durch die Schweiz, die Güterzüge von SBB Cargo. Als eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen wird die Linie durch das Freiamt stark frequentiert. Häufig sind es ganze Kompositionen, beladen mit Containern unterschiedlicher Grösse und Herkunft. Was macht diese «Umverpackungskisten» so erfolgreich?

Richard Gähwiler

Wer hat nicht schon an einer Bahnschranke gewartet – es gibt immer noch einige im Freiamt – und schliesslich gestaunt über die Länge und Vielfalt eines vorbeifahrenden Güterzuges. Bis 750 Meter lang können laut der SBB Cargo AG diese Kompositionen sein mit über 40 unterschiedlichen, meist lärmsanierten Wagentypen. Als Bahnanrainer und stiller Beobachter des Bahn-Geschehens kann man dies bestätigen.

Zeit gekürzt – Energie gespart

Bereits seit 2013 ist der Korridor 1 «Rhein–Alpen» in Betrieb, der die Häfen Hamburg, Rotterdam und Antwerpen über die Schweiz mit Genua verbindet. Mit der Fertigstellung der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) und der Inbetriebnahme des Ceneri-Basistunnels wurde die Flachbahn zwischen Basel und dem Tessin Ende 2020 Realität. Dies werde eine 20-prozentige Volumensteigerung ermöglichen, schrieb SBB Cargo AG in einer Medienmitteilung. Erhöhte Kapazitäten, da diese Strecke nun als durchgängiger Vier-Meter-Korridor ausgebaut sei, um auch Sattelauflieger mit einer Eckhöhe von vier Metern zu transportieren.

Rund 20 Tunnels mussten ausgebaut und Perrondächer angepasst werden. Auf der Strecke durch das Freiamt wurden teilweise auch neue Signal- und Fahrstrom-Anlagen montiert.

Flachwagen und Container – ein eingespieltes Team

Noch ist die Kapazität dieser Nord-Süd-Transversale (und umgekehrt) durch das Freiamt nicht ausgeschöpft und die SBB Cargo AG wünschte sich noch mehr Gütertransporte: seien es Huckepack-Transporte von LKW oder deren Aufliegern, geschlossene Güterwagen mit Stückgut oder Kesselwagen mit Treibstoff oder «Chemie».

Einen eigentlichen Boom erlebt man für den Transport von Fracht-Containern. Ganze Züge sind bestückt mit Flachwagen, die für den Transport dieser Grossraumbehälter geeignet sind. Was macht diese Gebinde so attraktiv?

Kombinierte Logistik mit Schiff, Bahn und LKW

Die heutigen Stahlgebinde wurden in dieser Art bereits im 18. Jahrhundert als hölzerne Umverpackungskisten eingesetzt. Aber erst ab den 1960-Jahren wurden Material und Masse dieser Transportbehälter in international gültigen Massen geregelt. Gängig ist hierbei der 20-Fuss-Stahl-Container, der sogenannte «Twenty Foot Equivalent Unit» (TEU) mit den gerundeten Massen von 6 × 2,4 × 2,6 m.

Durch diese ISO-genormten Grossraumbehälter wurde das Handling massiv erleichtert: das Verladen, der Transport, das Lagern und das Entladen von Gütern unterschiedlichster Art. Das alles vereinfacht auch die kombinierte Logistik für Strasse, Bahn und Schiff, die sogenannte multimodale Transportweise. Mit Kran oder Containerstapler (Reach-Stacker) können die genormten Container in Kürze von Schiff, Bahn und LKW umgeladen und dem End-Bestimmungsort zugeführt werden.

Transport einer populären Frucht aus fernen Landen

Diese Transportweise sei am Beispiel von Bananen veranschaulicht. Die in Mittel- und Südamerika noch grün geernteten Früchte werden in sogenannten «Returnable Plastic Banana Container» (kurz RPBC, kleine Plastik-Boxen) geschichtet. In grossen Kühlcontainern (bei 13 bis 15 °C) werden diese für den Seetransport nach Europa verladen. Mit Containerschiffen, die grössten transportieren über 20 000 der erwähnten 20-Fuss-Stahlcontainer, landen die Bananen nach rund zwei Wochen in den Häfen von Antwerpen und Hamburg. Als multimodaler Transport gelangen die Container per LKW oder vermehrt mit der Bahn in die Schweiz.

Die Strecken führen dann von Basel durch den Bözberg via Brugg und Birr oder durch den Hauenstein via Aarau durch das Freiamt. Vielleicht werden Container bereits in einer der Umschlaganlagen, Aarau/Buchs oder Birrfeld auf LKW zur Feinverteilung umgeladen. Die beiden Linien werden in Hendschiken wieder zusammengeführt und die Güter durch das Freiamt weiter nach Süden geschickt.

«Das sind dann immerhin rund 260 Güterzüge in 24 Stunden», bestätigt Reto Widmer, Präsident der Kommission ÖV Freiamt, die sich mit strategischen Aufgaben der beiden Regionalplanungsverbände Oberes Freiamt und Unteres Bünztal befasst. Zusammen mit den Regionalzügen kann dies tagsüber auch schon mal zu einem Eisenbahn-Stau führen.

Es wird eng im Freiamt

Und wirklich – trotz der erwähnten Optimierungen und Kapazitätserweiterungen gibt es tagsüber immer wieder Engpässe auf dem Freiämter Schienennetz. Öfters müssen Güterzüge zwischen Dottikon und Wohlen oder in Muri für längere Zeit vor dem Signal «Rot» warten – anderer Verkehr hat Vortritt. «Wir werden weiterhin aktiv bleiben, dass der Personenverkehr auch in Zukunft Vorfahrt hat», sagt Widmer. «Die S-Bahn-Verbindungen aus dem Freiamt sollen weiter optimiert und zusätzliche, attraktive Verbindungen in allen Richtungen angeboten werden. So wie zum Beispiel die neue Wochenend-Verbindung mit dem Südbahn-Express Richtung Arth-Goldau und weiter ins Tessin», betont er mit Freude.

Zurück zur Containerreise. Während der Wartezeiten auf Gleis 1 kann man in Ruhe beobachten, wer und was so alles auf diesen Wagen mitreist. Dutzende von Firmen teilen sich den Logistik-Kuchen, was sich in fantasievollen Logos und Namen auf ihren Containern manifestiert: P&O, MSC, Cosco, Maersk, Hapag-Lloyd, Bertschi, Hoyer.

Neben den prägnanten Beschriftungen und Kennzeichen sind es die lädierten Bleche, verbogenen Streben und angerosteten Scharniere, die lange und abenteuerliche Reisen erahnen lassen.

«Der Süden rückt näher»

Die Botschaft der SBB aus den Jahren 2019/20 galt primär für den temporären Fahrplan zum Personen-Transport aus dem Freiamt. Die Praxis zeigt, dass dies heute auch für den Güterverkehr im Nord-Süd-Korridor «Rhein–Alpen» zutrifft. So weit, so gut. Das führt jedoch zu weiteren Engpässen und zu Diskussionen betreffend zukünftige Nutzung der Bahntrassen für Güterzüge, Regionalzüge und Fernverkehrszüge.

Lindenbergtunnel versus Mehrspurausbau

Es gibt Lösungsvorschläge zu dieser Problematik. Einerseits den Lindenbergtunnel, eine Neubaustrecke für den reinen Transitgüterverkehr. Zweckmässiger und realistischer bezüglich Kosten-Nutzen-Verhältnis und Finanzierbarkeit erscheint der partielle Mehrspurausbau durch das Freiamt. Dies wurde im kantonalen Richtplan immerhin schon als Projektidee für eine allfällige spätere Ergänzung des Schienennetzes als Vororientierung aufgenommen.

Welche Variante realisiert wird, wenn überhaupt, deren Umsetzung bis zur Fertigstellung liegt in ferner Zukunft. Es bleibt also noch Zeit, um entlang der Freiämter Bahntrasse oder auf Gleis 1 in Muri die Vielfalt an Containern zu betrachten und ihnen die gebührende Beachtung zu schenken. Sie sind immerhin Teil einer Kette, die unser Leben mit so vielen elementaren Grundbedürfnissen versorgt, womit unser Lebenskomfort auf beachtlichem Niveau gehalten werden kann.


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