Die humorvolle Nummer 9

  19.03.2021 Sport

Serie «Unsere Regionalfussballhelden»: Walter Seiler aus Oberwil-Lieli spielte in der Nati und war Trainer des FC Muri

Als kleiner Bub wollte er Natispieler werden und die Num mer 9 beim FC Zürich tragen. Beides hat der Stürmer geschafft. Der 66-jährige Walter Seiler findet heute sein Glück beim Cabriolet-Fahren.

Stefan Sprenger

«Ich weiss noch jedes Detail meiner Länderspielkarriere.» Mit dieser Aussage beweist Walter Seiler seinen frischen Sinn für Humor. Denn er trug das Trikot der Schweizer Nationalmannschaft nur einmal. 1976 war das. Der Trainer hiess Miroslav Blazevic, der Goalie Erich Burgener, im Mittelfeld wirbelte Umberto Barberis und im Sturm ging Daniel Jeandupeux auf Torejagd. Der Gegner in diesem WM-Qualifikationsspiel war Schweden. Die Schweiz verlor 1:2. Walter Seiler spielte 90 Minuten durch, setzte gar einen Kopfball an die Latte.

Das gab Sprüche: Mit der «AG»-Nummer ins FCZ-Training

Für mehr Einsätze reichte es ihm nicht. Unverständlicherweise. Denn Walter Seiler war zu jener Zeit ein Topstürmer, erzielte beispielsweise für die Grasshoppers ein paar Monate zuvor einen Hattrick gegen Biel. Trotzdem blieb es bei diesem einen Nati-Einsatz. «Ich war einmal dabei. Traum erfüllt. Das passt so», meint er heute. Während er in seinem schicken Haus in Oberwil-Lieli sitzt und an seinem Kaffee nippt, zeigt sein zufriedenes Lächeln, dass dies keine leeren Worthülsen sind.

Seiler ist ein ausgeglichener Mensch. Auch wegen seines Wohnortes, wie er sagt. Seit 1979 lebt er in Oberwil-Lieli, der Aargauer Steueroase. Seit 1987 lebt er im selben Haus. «Hier gefällts mir, hier will ich bleiben», sagte er sich schon damals – und hielt Wort. Er erinnert sich noch, als er nach seinem Wohnortswechsel in den Aargau beim FC Zürich ins Training fuhr und plötzlich mit der «AG»-Autonummer auftauchte. «Da gab es einige Sprüche. Ich musste den Mitspielern dann erklären, wo dieses Oberwil-Lieli überhaupt liegt.»

Dem Zürcher passt es bestens im Freiamt. Das Dorf ist nach seinen Angaben «fest in Zürcher Hand». Schon von Anfang an bemerkte er aber, dass hier andere Begebenheiten herrschen als in Zürich. «Hier grüsst man sich auf der Strasse, die Menschen sind bodenständiger und die Region ist einfach wunderschön.» Seine Heimat würde er niemals verleugnen, sagt aber trotzdem: «Ich bin ein kleiner Freiämter geworden.»

Dass er heimisch wurde, hat er auch seinem Job zu verdanken. Seiler war selbstständiger Immobilienmakler und Partner der Firma Immovendo in Wohlen. Er kurvte den ganzen Tag durch das Freiamt und verkaufte viele Liegenschaften. «Ein wahrer Bauboom fand im Freiamt statt in den letzten zwei Jahrzehnten», so der Immobilien-Experte.

Mit Sforza den Vertrag unterzeichnet

Zurück zu Seilers Fussballkarriere. Der Stürmer bestritt 271 NLA-Partien und schoss dabei 127 Tore. Sein wichtigstes, wie er erzählt, war das entscheidende 2:1 (beim 3:1-Sieg) für den FC Aarau im Cup-Halbfinal gegen Servette. Das war 1985. Aarau zieht in den Final ein. Wenige Monate später herrscht Euphorie pur beim FC Aarau. Unter Jungtrainer Othmar Hitzfeld holt das Team den Cupsieg. 1:0 gegen Xamax. Der ganze Kanton Aargau stand kopf. «So eine riesige Begeisterung habe ich nie mehr erlebt. Alle sind ausgerastet.»

Ein weiteres Karrierehighlight erlebte er beim FC Zürich, jenem Verein, in den er sich schon als kleiner Junge verliebt hat. Mit dem FCZ – für den er total 62 Tore schoss – wurde Seiler 1981 Schweizer Meister. Er trug dabei die Nummer 9. «Ein weiterer Bubentraum ging in Erfüllung.» Neben dem FC Zürich und dem FC Aarau lief er auch für Wettingen, Lausanne und GC auf. «Fussball bedeutete mir sehr lange sehr viel», meint Seiler und erzählt, wie es nach drei Leistenoperationen und dem damit verbundenen schleichenden Karriereende im Jahr 1987 weiterging.

Pech beim FC Muri

Er wurde 1988 Trainer beim FC Dübendorf und dann Sportchef beim FC Aarau. «Eine intensive Zeit», meint er und erklärt, dass er nach der Trainerentlassung von Hubert Kostka rund 100 Bewerbungen von Trainerkandidaten erhalten hat. Spannender Fakt: Nach seiner Zeit als Sportchef war er Inhaber von drei Selbstbräunungsstudios.

Der FC Aarau landete unter Sportchef Seiler einen Transfercoup. Ein junger Spieler namens Ciriaco Sforza hatte gerade etwas Mühe bei den Grasshoppers Zürich – und wollte weg. Sportchef Seiler war einer der Initianten des Transfers. Das Wohler Jahrhunderttalent Sforza wechselte dann ins Brügglifeld. Seiler und Sforza unterschrieben gemeinsam den Vertrag.

Und Seiler wurde 1991 Trainer des FC Baden. Nach zwei Jahren übernahm er 1993 den FC Muri in der 1. Liga. «Das war eine enorm kameradschaftliche Truppe mit tollen Charakteren und Spielern im Team. Wir hatten viel Pech und haben leider zu viele Spiele verloren.»

Muri legte unter Startrainer Walter Seiler eine schwache Saison ab. Trotzdem erinnert er sich gerne zurück: «Ich kann nichts Schlechtes über den FC Muri sagen. Spieler wie Daniel Weiss, Enrico Bizzotto oder Rico Benito sind mir bis heute in guter Erinnerung.»

Er verabschiedete sich nach seiner Zeit auf der Brühl aus dem Trainerbusiness und sagt: «Heutzutage würde ich einiges anders machen als Trainer. Ich war damals zu distanziert zur Mannschaft.» Es sei ein guter Entscheid gewesen, als Trainer aufzuhören.

Seit einem Jahr ist Walter Seiler pensioniert. Der 66-Jährige hat aber noch viel vor in seinem Leben. Eigentlich wäre er jetzt in Kalifornien, um Englisch zu lernen. Corona machte ihm einen Strich durch die Rechnung. «Egal, das hole ich nach.» Er will in Zukunft viel auf Reisen gehen, Dinge erleben und sehen. «Ohne Ziel und Zeitdruck», wie er meint. Und – ganz wichtig: Er möchte viel mit seinem 40-jährigen Sohn unternehmen. «Wir haben eine geniale Beziehung zueinander. Sicherlich auch, weil ich in meinen Jahren als Profifussballer viel Zeit für ihn hatte.» Dies sei wohl «der unbezahlbarste Vorteil» seiner Profikarriere gewesen.

Lieber Wirtschaft und Cabriolet statt Fussball

Sein Knie verhindert, dass er sich gross sportlich betätigen kann. Gartenarbeit oder Spazieren ist da schon das Höchste der Bewegungsgefühle. Als Immobilienmakler ist er in beratender Funktion tätig. Und der Fussball ist nur noch im Fernsehen präsent, wenn er sich beispielsweise Champions-League-Spiele ansieht. Oder wenn er sich einmal pro Jahr mit den Legenden des FC Zürich trifft. «Mir geht es supergut, ich brauche nicht mehr gegen einen Ball zu hauen.» Er interessiert sich mittlerweile mehr für wirtschaftliche Themen und liest gerne Zeitung. Seine grosse Leidenschaft ist heute das Cabriolet-Fahren. Auch wenn Seiler nicht viel von Autos versteht, so ist er bei schönem Wetter oft mit seinem Mercedes oder Aston Martin unterwegs. «Ich liebe das.» Mit dabei ist oftmals – wie der Single-Mann etwas mysteriös ausdrückt – «eine fantastische Mitfahrerin».

«Glücklich, wie es gelaufen ist»

Während des Cabriolet-Fahrens kommt es schon mal vor, dass er 60 Jahre zurückdenkt. Damals, als kleiner Junge, wollte er einmal für die Nationalmannschaft spielen und die Nummer 9 des FC Zürich werden. Der Stürmer hat beides erreicht. «Ich bin glücklich, so, wie es gelaufen ist.» Zu seinem einzigen Länderspieleinsatz hat der sympathische Walter Seiler noch einen litzigen Spruch auf Lager: «Ich hatte eigentlich drei Einsätze in der Nati. Den ersten, den letzten und keinen mehr.»


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