Olympionike aus Muri

  16.03.2021 Sport

1984 startete Radfahrer Stephan Joho an den Olympischen Spielen in Los Angeles. Ein Eiterzahn machte ihm allerdings einen Strich durch die Rechnung. Der Bremgarter, der für den VC Wohlen fuhr, lebt heute in Muri und erinnert sich trotzdem gerne an Olympia zurück. --spr


Eiterzahn in Los Angeles

Serie «Freiämter Olympioniken»: Stephan Joho aus Muri/Bremgarten – Olympia 1984 in Los Angeles

Ein eitriger Zahn verhinderte den Olympia-Start in der Mannschaftsverfolgung. Trotzdem blickt Ex-Radprofi Stephan Joho gerne auf die Olympischen Spiele zurück. Der heute 57-Jährige erinnert sich zurück an seine Glanzzeiten, als er einen sechsstelligen Betrag pro Jahr verdiente.

Stefan Sprenger

Die Fachwelt traute dem Talent eine Olympiamedaille zu. Stephan Joho, damals 20 Jahre jung, durfte aufgrund seiner starken Leistungen als Amateur an die Olympischen Spiele in die USA fliegen. In Los Angeles angekommen, spürte er allerdings schnell, wie seine Kräfte nachliessen. «Ich bin kaum vom Fleck gekommen», erinnert er sich. Im Punktefahren hatte er sich noch als letzter Fahrer für den Final qualifiziert. In der Einzelverfolgung und im Final vom Punktefahren zeigte Joho dann aber eine ungewohnt schwache Leistung. In der Vierer-Mannschaftsverfolgung wurde er deshalb nicht mehr eingesetzt.

Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er aufgrund eines Eiterzahns nicht auf Touren kam. «Ich war nicht mehr in Form, fühlte mich schlapp.» Die Olympischen Spiele in Los Angeles 1984 waren sportlich gesehen ein Reinfall. «Immerhin: Ich war einmal bei Olympia dabei», erzählt er.

Radball in Bremgarten, dann zum VC Wohlen

Joho begrüsst den Journalisten dieser Zeitung in seinem modernen Terrassenhaus, hoch oben über Muri. Man blickt vom grossen Esstisch aus über das halbe Freiamt. Am Tisch sitzt ebenfalls seine Frau Doris. Gemeinsam haben sie zwei Kinder, Stefanie (Jahrgang 1989) und Tamara (1991). Seit drei Jahren sind sie Grosseltern des kleinen Manuel. «Die Zeit rennt», sagen beide nachdenklich – und doch lachend.

Wenn Stephan Joho aus seinem Leben erzählt, dann kommen viele spannende Details ans Licht. Beispiel: Er wuchs in einem Bauernhaus in Bremgarten auf und war das drittjüngste von total elf Geschwistern.

Er schildert die Anfänge seiner Karriere. Über den Schulsport fand er zum Radball in Bremgarten. Sein Jugendkumpel Arno Küttel – in der Veloszene und im Freiamt bestens bekannt – begann wenig später an Velorennen teilzunehmen. Sie wechseln beide zum Veloclub Wohlen. Dort trainieren sie, schleifen an ihrem Talent und schmieden grosse Träume. 1979, mit 15 Jahren, startete Joho erstmals an einem Rennen. Ein Jahr später folgt am Brugger Abendrennen der erste grosse Sieg in der Hauptkategorie.

In seiner Zeit beim VC Wohlen lernte er den Ex-Nationaltrainer Samuel Kaderli kennen. «Kaderli war seiner Zeit voraus. Er hat mich durch seine Trainingspläne geprägt und ihm gehört auch ein grosser Anteil meiner späteren Erfolge als Radprofi», so Joho.

An Olympia zum Zusehen verdammt

Nach der Junioren-Weltmeisterschaft 1981 in Leipzig und der Bahn-Weltmeisterschaft 1983 in Zürich-Oerlikon folgte gleich sein grösstes, internationales Highlight: die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles. Ein Jahr zuvor schliesst er die Lehre als Schreiner ab. Die Abschlussnote 5,3 ist die drittbeste im ganzen Kanton Aargau. Im Beruf und im Sport ist er gleichermassen ehrgeizig und zielstrebig.

Der sportliche Lohn seiner Leistungen ist das Ticket für Olympia. An der Eröffnungsfeier war er nicht dabei. «Wir wurden geschont», erzählt er. Bei der Abschlussfeier war er schon wieder zurück in der Rekrutenschule in der Schweiz. Dort wurde auch der eitrige Zahn entdeckt, der ihn so schwach werden liess.

Dazwischen liegen etwas mehr als zwei Wochen Olympia, die aufgrund dieses Zahnproblems schwierig verlaufen. Seine Leistungen nehmen markant ab in den USA. «Ich durfte beim Rennen der Vierer-Mannschaftsverfolgung nur zusehen, wie meine Teamkollegen ein olympisches Diplom erreichten. Trotzdem erlebte ich den Spirit der Olympischen Spiele und konnte diesen Grossanlass spüren», so Joho. Allerdings erlebte er verhältnismässig wenig von Olympia. Joho, der damals kein Englisch sprach, meint heute: «Als Radfahrer hatte man sowieso keine Zeit für anderes. Disziplin ist enorm wichtig. Und Herumspazieren ist schlecht für die Beine eines Radsportlers.»

Acht Tage Leader bei der Tour de Suisse

Trotz seiner schwierigen Olympia-Zeit: Der Grossanlass gab ihm wertvolle Erfahrungen, die ihn fortan begleiten. Als er 1985 beim Zürcher Sechstagerennen den Dominator Urs Freuler auf der Bahn beim Sprint bezwingt, steigt er auch bei den Profis auf. Vom Nobody zum Topfahrer.

1986 wird er Profi. Das spanische Team KAS nimmt ihn unter Vertrag. Die Bilanz im ersten Jahr: Bei über 100 Rennstarts fährt er 25 Mal auf das Podest, gewinnt 10 Rennen. Nach zwei Jahren wechselt er zum italienischen Team Ariostea. Nach einem Abstecher 1991 zum belgischen Team Weinmann–Eddy Merckx geht er zurück zu Ariostea und beendet 1992 seine Profikarriere.

Was waren seine Höhepunkte? Stephan Joho atmet tief durch. «Einige», meint er. Er gehörte jahrelang zu den besten Schweizer Radprofis. Er holte drei Etappensiege beim Giro d’Italia, zwei Etappensiege bei der Tour de Romandie, zwei Etappensiege bei der Tour de Suisse und trug insgesamt acht Tage lang das Leadertrikot bei der Tour de Suisse. Der Freiämter gewann unter anderem die Aragon-Rundfahrt und den Grand Prix Pino Cerami. 1988 holte er den 4. Rang beim Radklassiker Paris– Roubaix. Mehrfach startete Joho als Profi bei Weltmeisterschaften auf der Strasse. 1991 gewann er gemeinsam mit seinem Jugendfreund Werner Stutz das Zürcher Sechstagerennen.

Wenn er einen Erfolg herausheben müsste, dann ist das der Etappensieg beim Giro d’Italia, als er nach 211 km Soloflucht ins Ziel fährt. «Ich war fast das ganze Rennen alleine unterwegs. Die Zieleinfahrt war sehr emotional.»

Die Frau im «Don Paco» in Wohlen kennengelernt

Seine Frau Doris schaute sich dieses Rennen schwanger vor dem Fernseher an. Kennengelernt haben sie sich im Wohler Club «Don Paco». Er aus Bremgarten, sie aus Benzenschwil. In seiner ersten Profisaison war er kurzzeitig verletzt und ging ausnahmsweise in den Ausgang. Durch seinen Bruder Christoph lernte er dann Doris kennen. «Und dann ging es schnell», erzählen die beiden. Wie im Sport gab Joho auch in der Liebe Vollgas. Ein Jahr nach dem Kennenlern-Abend im «Don Paco» sind sie verheiratet und zwei Jahre später kam Tochter Stefanie auf die Welt.

Seine Frau Doris begleitete ihn die ganze Profikarriere hindurch. Beim Gespräch in ihrem Zuhause in Muri erzählt sie, dass sie ihn immer angefeuert hat und ihm zur Seite stand. Sie war sein grösster Fan. «Ja, sie stand immer hinter mir», sagt Stephan Joho. Einen Alltag habe es durch den Sport kaum gegeben. Als «Privileg» beschreiben sie dies.

Zu Beginn 30 000 Franken

Joho verdiente mit seiner Leidenschaft seinen Lebensunterhalt. Im ersten Jahr als Profi gab es 30 000 Franken und eine Prämie von bis zu 3000 Franken pro Sieg. Im dritten Profijahr stieg das Salär markant an. Ab dann verdiente Joho jährlich einen sechsstelligen Betrag – plus Preisgelder. Joho relativiert: «Weil ich damals für ein italienisches Team fuhr, wurde in Italien fast ein Drittel davon für Sozialleistungen und Steuern abgezogen.»

Rückblickend sagt er: «Für mich hat das bestens gepasst. Ich konnte meiner Leidenschaft nachgehen und als Schreiner hätte ich nicht so viel verdient.» Dank dem Radfahren konnte er schon mit 27 Jahren in sein erstes Eigenheim in Benzenschwil einziehen. «Mit 8 Prozent Hypothekarzins im Jahr 1990», meint er. Und Joho weiss über Immobilien bestens Bescheid. Nach seiner Karriere arbeitete er zuerst bei Swisslife im Aussendienst und liess sich zum Finanzplaner ausbilden. Er rutschte dann in die Immobilienbranche und machte sich im Jahr 2000 selbstständig. Die im Jahr 2016 von seiner Tochter Stefanie gegründete Joho Immobilien AG ist heute in Geltwil zu Hause. Er unterstützt diese als Präsident des Verwaltungsrates und steht mit Rat und Tat zur Seite.

Er gibt die Erfahrungen an Miro Schmid weiter

Er distanzierte sich vom Radfahren – aber kehrte dem Sport nie ganz den Rücken. Nach dem Karriereende legte er gerade mal 300 Kilometer pro Jahr auf dem Rad zurück. Heute sind es rund 5000 Kilometer pro Jahr. Neben dem Radfahren sind Langlaufen, Joggen und Golfen weitere Hobbys von Stephan Joho. Von 2009 bis 2011 betreute er als Trainer die U23-Strassen-Nationalmannschaft.

Mit dem Murianer Radtalent Miro Schmid pflegt er seit diesem Jahr einen engen Kontakt und er gibt ihm gerne seine Erfahrungen weiter. «Er ist ein toller Typ und er kann es weit bringen.» Hat Miro Schmid das Zeug dazu, ein zweiter Stephan Joho zu werden? «Er ist auf jeden Fall auf dem richtigen Weg», lächelt er.

Joho liebt das Radfahren nach wie vor. Und er weiss, wo seine Wurzeln sind. Das zeigt der Fakt, dass er bis vor Kurzem noch Beisitzer im Vorstand des VC Wohlen war. 15 Jahre lang war der gebürtige Bremgarter im Vorstand des Vereins dabei. Joho meint: «Durch meine Karriere durfte ich enorm viel erfahren und erleben. Das Velofahren hat so viel Positives in mein Leben gebracht, ich würde es wieder tun. Und ich gebe nun gerne meine Erfahrungen weiter.»

Erzählt er den jungen Nachwuchssportlern auch von den Olympischen Spielen in Los Angeles, die er wegen eines Eiterzahns teilweise verpasste? «Natürlich», meint er. Denn Joho ist trotzdem ein Olympionike. Übrigens durfte er an den Olympischen Spielen 1988 und 1992 nicht mehr teilnehmen. Profis waren ausgeschlossen von Olympia. Schade eigentlich, denn leistungsmässig hätte es ihm allemal gereicht und die Fachwelt hätte ihm sicherlich eine Medaille zugetraut.


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