Ganz nah am Rhonegletscher

  09.03.2021 Muri

Der Murianer Raphael Knecht drehte als Maturarbeit einen rund einstündigen Dokumentarfilm

«Auf dünnem Eis» heisst der Film. Raphael Knecht zeigt darin, wie sich das Schmelzen des Rhonegletschers auf das Leben der Einheimischen auswirkt.

Annemarie Keusch

Ein Mitarbeiter der Furka-Dampfbahn-Bergstrecke, ein Glaziologe, ein Landwirt, eine Politikerin, der Betreiber der Eisgrotte, ein über 90-jähriger Gommer, ein Strahler, ein Bergführer und ein Förster aus dem Goms. Sie alle leben ganz nah am Rhonegletscher und sie alle leben ein Stück weit mit dem ewigen Eis. Und sie alle kommen im Dokumentarfilm «Auf dünnem Eis» von Raphael Knecht zu Wort.

Zehn Tage verbrachte der Murianer im Goms. «Dahinter steckt natürlich viel mehr Aufwand», sagt der 18-Jährige. Recherchieren, planen, Interview-Gäste suchen, koordinieren.

Fast alles machte Knecht für seine Maturarbeit alleine. «Hilfe bekam ich in erster Linie von Pascal Kreuzer, einem Walliser, der im Unterland lebt», erzählt Knecht. Er öffnete ihm Türen zu verschiedenen Leuten in der Region, er war sein Fahrer und er bediente die zweite Kamera.

Höchstnote für seine Arbeit

Entstanden ist mit «Auf dünnem Eis» ein rund einstündiger Dokumentarfilm, der die vielen verschiedenen Perspektiven der Gletscherschmelze beleuchtet, der aufrüttelt, aber nicht mit dem Finger zeigt. «Auch wenn ich im Nachhinein das eine oder andere anders machen würde, bin ich sehr zufrieden», sagt der Murianer. Eine aufgerundete Höchstnote erhielt er für seine Maturarbeit. Aber noch mehr als das Erreichen einer guten Note reizt Knecht das Anstossen einer Diskussion über die Zukunft der Gletscher.


Weil das Thema alle betrifft

Raphael Knechts Dokumentarfilm «Auf dünnem Eis» zeigt, welche Folgen die Gletscherschmelze mit sich bringt

Fotografieren und Filmen sind zwei grosse Leidenschaften von Raphael Knecht. Zudem hat er ein besonderes Flair für die Natur und geografische Fragestellungen. Für seine Maturarbeit verband er die zwei Themengebiete und drehte einen Dokumentarfilm über das Schwinden des Rhonegletschers.

Annemarie Keusch

«Nein, ich bin nicht Teil der Klimajugend und nein, ich finde nicht, dass Verbote der richtige Weg sind, um die Erderwärmung aufzuhalten. Aber ja, ich bin dafür, dass sich jeder Einzelne an der Nase nimmt und sich überlegt, wo er Energie einsparen kann.» Raphael Knecht wählt klare Worte. Er will nicht in eine Schublade gesteckt werden. Er will nicht Klischees entsprechen. Aber er will aufrütteln. «Viele Leute, die den Film gesehen haben, sagten, er habe sie zum Nachdenken gebracht. Genau das will ich», sagt der 18-Jährige.

«Auf dünnem Eis – das Schicksal des Rhonegletschers» ist Knechts Maturarbeit. Es ist nicht der erste Film, den er plant, dreht, schneidet und produziert, fast in Eigenregie. Schon im Rahmen des Projektunterrichts in der dritten Kanti wollte er einen Film über die Gletscherschmelze drehen. «Geografische Fragestellungen interessierten mich schon immer. Und die Gletscher schmelzen schneller und schneller», begründet er. Der Haken damals, der Film entstand in den Wintermonaten. «Im Winter über die Gletscherschmelze drehen, passt nicht.» Knechts Alternative zu jener Zeit: ein Dokumentarfilm über das kleine Skigebiet Sattel-Hochstuckli und wie die lokale Bevölkerung damit umgeht, dass es dort immer weniger schneit.

Mit Turnschuhen auf den Gletscher

Zu sagen, «Auf dünnem Eis» wäre Raphael Knechts Erstlingswerk, ist also falsch. Aber der Film vor einem Jahr war es. «Ich hatte nur diese Erfahrung», sagt Knecht. Und seine unbändige Neugier für das Metier Film und Fotografie. «Fasziniert hat mich die Fotografie schon als Kind. Von klein auf knipse ich vor allem Landschaften», sagt er. Etwas Reales festhalten, das ist es, was ihn begeistert. Via «Youtube» kam er zum Film. «Ich habe mir alles selber beigebracht», sagt Knecht. Dokumentationen sind seine liebste Sparte. «Sie sind am nächsten an der Realität.»

Und diese Realität bildet Knecht in seiner Maturarbeit rund um die Schmelze des Rhonegletschers ab. Warum die Wahl auf diesen Walliser Gletscher fiel? «Ich kannte die Region schon, war vor fünf Jahren letztmals da. Und Gletscher faszinieren mich einfach.» Zugute kam dem Murianer auch, dass der Rhonegletscher quasi in Turnschuhen erreicht werden kann. «Hätte ich einen anderen Gletscher gewählt, zu dem ich stundenlang hochsteigen müsste, hätte mich das viel mehr Zeit gekostet.» Zudem hat Knecht dank Pascal Kreuzer, einem Bekannten seiner Familie, der aus dem Obergoms stammt und in Naters aufwuchs und seit Jahren im Unterland lebt, einen Zugang zu den Oberwallisern. «Sie sind ja nicht gerade bekannt für ihre offene Art.»

Für die einen Vlies, für andere «Leichentücher»

Aber der Rhonegletscher versprach auch am meisten Drama. Der Grund ist das Vlies, mit dem die Eisgrotte abgedeckt wird. Weisses Vlies reflektiert die Sonnenstrahlen besser und lässt so das Eis darunter weniger schmelzen. Für Philipp Carlen, den Betreiber der Eisgrotte, ein Muss, damit diese Attraktion möglichst lange Touristinnen und Touristen anzieht. Für andere, etwa Bergführer Kilian Volken, sind die Tücher ein Grund, weshalb er nicht mehr auf dem Rhonegletscher unterwegs ist. Leichentücher ist bei einigen ein Synonym für das Vlies.

Die Kombination von sozialen Komponenten, von Naturwissenschaften, von Schicksalen ist es, die Raphael Knecht an diesem Thema reizte. Entsprechend wichtig war es ihm, Leute aus dem Goms zu finden, die direkt von der Gletscherschmelze betroffen sind oder eine klare Meinung dazu haben. «Filme über Gletscher gab es schon unglaublich viele. Mit den persönlichen Geschichten wollte ich einen Mehrwert schaffen.» So spricht nicht nur der Walliser Glaziologe und Grossrat David Volken, sondern etwa auch Landwirt Elias Imfeld, der mit dem Schmelzwasser seine Felder bewässern kann. Besonders beeindruckt hat Raphael Knecht der 92-jährige Gommer Raphael Kiechler. «Seit Jahrzehnten notiert er die Temperaturen, beobachtet das Wetter. Das war eindrücklich.»

Einen Tag unterwegs, zehn Sekunden im Film

Eindrücklich ist auch der Film, den Knecht aus den über 20 Stunden Rohmaterial zusammenschnitt. «Das Kürzen war nicht einfach.» Wenn aus einer eintägigen Wanderung, um den Gletscher von der anderen Seite zu filmen, zehn Sekunden im Film werden, tue das schon weh. Knecht war froh, auf Fachleute zählen zu dürfen, die ihm Tipps und Tricks verrieten. Investiert hat der Murianer unzählige Stunden in das Projekt. «Wie viele es genau sind, ist schwierig zu sagen.» Auch, weil ihm diese Tätigkeit Spass macht. «Dann kann ich mich in kleinsten Details stundenlang verlieren, die der Zuschauer später nicht einmal bemerkt.»

Mit dem Resultat ist Knecht mehr als zufrieden. Nicht in erster Linie, weil die Arbeit mit der Höchstnote bewertet wurde. «Ich wollte, dass klar wird, dass alle von der Gletscherschmelze irgendwie betroffen sind. Und das habe ich geschafft.» Zudem habe er viel gelernt, viele Eindrücke gesammelt. Ob er sich beruflich auch in Richtung Film orientiert, weiss Raphael Knecht noch nicht. Zuerst stehen im Sommer die Maturprüfungen an, dann wartete die Rekrutenschule. «Momentan tendiere ich dazu, Geografie zu studieren», sagt der 18-Jährige. Das Filmen und Fotografieren werde er so oder so als Hobby beibehalten.

Hoffentlich bald öffentlich zeigen

Ganz abgeschlossen ist das Projekt «Auf dünnem Eis» nicht. Für seinen Dokumentarfilm ist Raphael Knecht für den Rotary Preis der Kanti Wohlen nominiert, steht im Final von «Schweizer Jugend forscht» und steht zur Auswahl für den schweizerischen Maturarbeitspreis im bildnerischen Gestalten der Hochschule der Künste Bern. Und Knecht will seinen Dokumentarfilm einer breiteren Öffentlichkeit bekanntmachen. «Das ging die letzten Wochen leider nicht. Ich hoffe, es wird bald möglich, meinem Film etwa in einem Kino zu zeigen.»

Die Gletscherschmelze betrifft alle. Das macht Knecht, der in seiner Freizeit als Murianer Jungwacht-Leiter tätig ist und joggend, wandernd auf den Ski oder mit dem Snowboard viel Zeit in der Natur verbringt, deutlich. «Aber ich will nicht pessimistisch sein, auch wenn es die als ewiges Eis bezeichneten Gletscher vielleicht nicht ewig gibt.» Vorschreiben wolle er niemandem, wie er oder sie zu leben hat. «Klar ist aber, dass wir es nur gemeinsam schaffen.»

Mehr Informationen zu Raphael Knecht und zu seinem Film «Auf dünnem Eis» unter www.raphaelknecht.com.


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