Unverhoffter Sprung in Politik
18.12.2020 MuriNach fast 20 Jahren tritt die Murianerin Milly Stöckli aus dem Grossen Rat zurück
Am 1. Mai 2001 startete Milly Stöckli als Grossrätin, Ende Jahr ist Schluss. Die Murianer Bäuerin, Familienfrau, Unternehmerin und seit elf Jahren Gemeinderätin blickt auf eine spannende Zeit zurück. Turbulent war vor allem ihre überraschende Wahl.
Annemarie Keusch
Es war Fasnacht. Milly Stöckli erinnert sich genau. Ein Sonntag im März 2001. Weil sie drei Jahre zuvor dem Vorstand der SVP Bezirk Muri beigetreten war und zwei Jahre zuvor die Ortspartei Muri mitbegründet hatte, kam Stöckli auf die SVP-Liste für die Grossratswahlen, die damals noch zehn Namen umfasste. «Wohl vor allem auch, weil ich eine Frau und eine Bäuerin bin», sagt die 58-Jährige und schmunzelt. Sie war die einzige auf der Liste. Und sie startet von ziemlich weit hinten ins Rennen – von Listenplatz sieben.
«Frohe» Botschaft hupend verbreitet
Dass sie den vierten Listenplatz erreicht, das prophezeite ihr der damalige SVP-Bezirk-Muri-Präsident und Grossrat Lukas Bütler. Dass das für einen Sitz im Grossen Rat reichen würde, damit rechnete niemand, am wenigsten Milly Stöckli selber. «Ich war glücklich mit meinem Listenplatz, auch weil ich überzeugt war, dass ich von da aus sicher nicht gewählt werde.» 38-jährig war Milly Stöckli damals, Mutter dreier kleiner Kinder. Dann kam der Wahltag. Und plötzlich fuhr Stimmenzähler Albin Stierli beim Sodhof auf, hupend. «Du wurdest gewählt.» Froh war diese Botschaft für Milly Stöckli im ersten Moment nicht. «Ich gebe zu, es war ein kleiner Schock», sagt sie.
Politik hat Milly Stöckli schon immer interessiert. Am Mittagstisch lieferte sie sich schon mit ihrem Vater harte Diskussionen und auch später mit ihrem Mann und ihren Kindern. «Wir setzten uns immer am Sonntag vor Abstimmungen zusammen und diskutierten.» Um gewählt zu werden, kandidierte Stöckli, die in Beinwil aufwuchs, in Merenschwand im Turnverein tätig war und seit Jahrzehnten in Muri lebt, nicht. Gewählt wurde sie trotzdem. Und sie ist geblieben im Grossen Rat, ganze 20 Jahre. Am Dienstag nun hatte sie ihre letzte Sitzung.
Die grosse Liebe zum Politisieren
Nach 20 Jahren im Grossen Rat konzentriert sich Milly Stöckli auf ihre Aufgabe in Muri
Es war ein Erdrutschsieg, den die SVP 2001 feierte. Von 32 auf 74 Grossratssitze. Auch im Bezirk Muri kamen zwei dazu. Einer ging an die damals 38-jährige Milly Stöckli. Nach 20 Jahren im Kantonsparlament ist Schluss. Stöckli will Jüngeren Platz machen. Sie schaut zurück auf viele aufregende Jahre.
Annemarie Keusch
«Nie», sagt Milly Stöckli. Und sie sagt es deutlich, bestimmt. «Nie hat mein Mann gesagt: Jetzt bist du schon wieder weg.» Die Rückendeckung, die sie von ihrer Familie erhielt und erhält, erwähnt Stöckli mehrmals. «Sie wissen es zwar, aber ich kann ihnen nicht genug danken.» Schon als sie überraschend in den Grossen Rat gewählt wurde, sei die Freude bei ihrem Mann Erwin fast grösser gewesen als bei ihr. «Auch die Schwiegermutter freute sich sehr und sagte, dass sie gerne zu den Kindern schaue, wenn ich weg bin.» Es waren nicht nur Phrasen. «Ich verliess das Haus nie mit schlechtem Gewissen, auch wenn ich teilweise keinen Abend pro Woche zu Hause war.» Stöckli wusste die Familie in guten Händen. «Ohne die Unterstützung meiner Familie wäre das nie möglich gewesen.»
Auch darum ist sie so lange im Grossen Rat geblieben. Am Dienstag wurde sie verabschiedet, nach fast 20 Jahren. «Es ist Wehmut dabei», sagt Milly Stöckli. Sie sei immer gerne nach Aarau gefahren, um zu politisieren. «Unmotiviert war ich nie.» Die Zahlen belegen es. Es gibt mehrere Jahre, in denen Stöckli weder eine Grossrats- noch eine Fraktionssitzung verpasste. «Wenn ich fehlte, dann nur, wenn etwas mit den Kindern war oder weil ich auf dem Hof unverzichtbar war.»
Tiefe Freundschaften entstanden An die Wahl erinnert sich Milly Stöckli genau, weil sie so überraschend war. Und auch ihre erste Grossratssitzung hat sie noch präsent. «Die Kinder bekamen extra frei in der Schule, die ganze Familie konnte dabei sein, als ich vereidigt wurde.» Noch heute lächelt sie, wenn sie daran denkt, dass ihre jüngste Tochter kaum über das Geländer der Zuschauertribüne sah. Und am Dienstag schloss sich der Kreis. Ihr Mann konnte dabei sein, als sie das letzte Mal im Kreis der Grossräte sass, wegen der Pandemie in Spreitenbach anstatt in Aarau.
Milly Stöckli spricht voller Freude darüber, was sie in den letzten 20 Jahren im Kantonsparlament erlebte. «Es entstanden etliche Freundschaften und diverse Kontakte, die ich sonst nie erfahren oder erlebt hätte», sagt sie. Vor allem mit Vreni Friker aus Oberentfelden verbindet sie vieles. Beide starteten am 1. Mai 2001 im Grossen Rat. Und beide treten Ende Jahr zurück.
Nach vier Jahren kam die Reduktion der Sitze
Die Liste der Kommissionen, in denen sich Stöckli in den fast 20 Jahren einbrachte, ist lang. Von der Begnadigungskommission über die Justizkommission bis hin zur Kommission für Umwelt, Bau, Verkehr, Energie und Raumordnung. «Das liegt wohl daran, dass es früher viel mehr Kommissionen und nicht nur die stetigen gab, wie es heute ist.» Überhaupt, in den zwei Jahrzehnten im Grossrat hat sich so einiges verändert. Amtsantritt ist nicht mehr im Mai, sondern beim Jahreswechsel. Es sitzen nicht mehr 200 Grossräte im Saal, sondern nur noch 140. «Das war der ungewisseste Wahlkampf», sagt sie über jenen 2005, als der Bezirk Muri nur noch sieben Grossräte stellen konnte.
Den «Kampf» gegen SVP-Kollege Alois Hildbrand aus Boswil entschied sie am Ende für sich und konnte als zweite SVP-Vertreterin des Bezirks im Grossrat bleiben. «Ich war sehr dankbar darüber, weil ich Freude am Politisieren gefunden habe.»
Feuer und Flamme für Einheitspolizei
Politische Erfahrung hatte Milly Stöckli fast keine, als sie 2001 anfing. Das Interesse war zwar immer da, «aber ich musste viel lernen». Heute lacht die Murianerin darüber, dass sie anfangs nicht nachvollziehen konnte, dass zwei Politiker, die sich in der Diskussion im Plenum knallhart gegenüberstehen, in den Pausen gemeinsam lachen. «Heute weiss ich, es sind politische und nicht persönliche Differenzen.» Diese Erfahrung hat sie auch selber gemacht. «Parteiübergreifend kam ich mit den meisten gut aus, auch mit den Linken.»
Persönliche Erfolge in der langen Zeit als Grossrätin auszumachen, fällt Milly Stöckli schwer. «Es ist immer der Erfolg der gesamten Fraktion», sagt sie. Auch wenn die Knochenarbeit in den Kommissionen einzelne Fraktionsmitglieder erledigen. «Treibend, alleine, war ich selten an der Spitze», sagt sie. Trotzdem kann sie positive und negative Momente ausmachen. Dass das Bildungs-Kleeblatt gebodigt wurde, schätzt sie noch heute als Erfolg ein. «Das wäre nicht gut gekommen.» Immer noch bedauert sie, dass die Einheitspolizei, eine Zusammenlegung von Regional- und Kantonspolizei, im Parlament und dann bei der Volksabstimmung keine Mehrheit fand. «Dafür war ich Feuer und Flamme, setzte mich an Podien dafür ein. Umso mehr freut es mich, dass dieses Thema wieder aufs Parkett kommt.»
Bekannt dafür, viele Vorstösse oder Interpellationen einzureichen, war Milly Stöckli nie. 32 kamen über die 20 Jahre zusammen. «Ich habe mich wenn möglich direkt an das entsprechende Departement, den Regierungsrat oder die Verwaltung gewendet, anstatt mich über solche Vorstösse zu profilieren.» Wenn nötig, scheute sie den Schritt aber nicht – etwa, als es um die Nationalhymne ging oder um den Erhalt der katholischen Feiertage. Einer der Vorstösse, die als Einsatz für den Bezirk Muri zu werten sind. Trotzdem sagt Stöckli: «Grossrätin ist man für den ganzen Kanton.»
Bis die «Ecke Frohsinn» entschärft ist
Fast zwei Jahre habe es gedauert, bis sie sattelfest war. «Das erste Jahr hörte ich sowieso nur zu und versuchte zu folgen.» Da gehe es allen gleich. Mittlerweile weiss Stöckli, wie der Hase läuft. Darum war sie vor ihrer letzten Sitzung auch nicht nervös, «ein wenig angespannt vielleicht». Dass es der richtige Zeitpunkt zum Rücktritt ist, davon ist die 58-Jährige überzeugt. «20 Jahre sind genug.» Sie wolle aufhören, solange sie noch Freude an der Sache habe. Und die Tätigkeit als Murianer Vizepräsidentin fordere sie stark genug.
Aus der Zeit als Grossrätin zieht sie nur Positives. «Ich wurde selbstsicherer. Vorher hätte ich mich nie getraut, hinzustehen und für meine Meinung zu kämpfen.» Ob sie Gemeinderätin geworden wäre, ohne Grossrätin zu sein? «Ich weiss es nicht, vermutlich hätte ich es mir nicht zugetraut.» Im Gemeinderat will Stöckli bleiben, «sofern mich meine Partei portiert». «Bis der Kredit für die Entschärfung der Ecke beim Restaurant Frohsinn gesprochen ist», meint sie und lacht.
Ein Stück Freiheit zurück
Die zehn Stellenprozente, die mit dem Austritt aus dem Grossen Rat frei werden, will Milly Stöckli aber nicht nur für die Gemeinde Muri einsetzen. «Ich freue mich darauf, mehr Freizeit zu haben, die ich alleine, mit meinem Mann und mit der ganzen Familie verbringen kann.» Schliesslich werde sie nicht jünger. «Ein Stück weit gewinne ich Freiheit zurück.»
Das sagen Weggefährten
20 Jahre sass Milly Stöckli im Grossen Rat. Mit ihr angefangen hat Walter Stierli aus Fischbach-Göslikon. Er sagt: «Milly ist beharrlich, wenn es bei ihren Kernthemen Wald und Ortsbürger nicht nach ihrem Wunsch läuft.» Sie sei dossiersicher und stehe zu ihrer Meinung, «wenn diese auch nicht immer ganz der SVP-Linie entspricht. Bei geselligen Anlässen ist Milly eine angenehme und unterhaltsame Tischnachbarin, eben Stilly Möckli wie ihr Kosename.»
Die letzten zehn Jahre sass Stöckli mit Flurin Burkard, Waltenschwil, im Grossen Rat. Der SP-Vertreter sagt: «Milly Stöckli hat eine ausgeprägt bodenständige Art, die ich sehr schätze.» Sie habe es verstanden, mit ihrer herzlichen und offenen Art über Parteigrenzen hinaus freundschaftliche Beziehungen zu pflegen. «Eine Eigenschaft, von der es im Parlament zuweilen mangelt.» Stöckli habe die Politik im Bezirk Muri entscheidend mitgeprägt.
So sieht es auch SVP-Bezirkspartei-Präsidentin Nicole Müller. «Ihr langjähriges Know-how half uns stark, und sie sprang ein, wenn Not am Mann war.» Müller ist froh, dass Stöckli nur im Grossrat aufhört, auf Bezirksebene aber weiterpolitisiert.
Weiterhin bleibt Milly Stöckli auch dem Murianer Gemeinderat erhalten. Gemeindepräsident Hans-Peter Budmiger sagt über Stöckli: «Wir waren sehr froh über die Fäden, die Milly bei Bedarf in Aarau ziehen konnte, und bedanken uns für die wertvolle Arbeit, die sie während so langer Zeit als Grossrätin geleistet hat.» --ake