Alle Hürden übersprungen
21.08.2020 Region OberfreiamtDen Sagenweg im Waltenschwiler Wald gibt es seit zehn Jahren
Der Beginn der Geschichte ist harzig. Die beiden Initianten Alex Schaufelbühl und Rafael Häfliger stiessen mit ihrer Idee des Sagenwegs längst nicht nur auf Wohlwollen. Mittlerweile ist der Themenweg kaum wegzudenken und lockt viele grosse und kleine Besucher an.
Annemarie Keusch
An der offiziellen Eröffnung vor zehn Jahren haben sie alle gestrahlt, Alex Schaufelbühl und Rafael Häfliger ganz besonders. Die beiden Künstler sind die Initianten des Sagenwegs. Hinter ihnen lag ein langer Weg. «Sechs Jahre», erinnert sich Rafael Häfliger. Sechs Jahre dauerte es von der ursprünglichen Idee bis zur Eröffnung des Freiämter Sagenwegs.
Am Freiämter Bildhauer-Symposium beim Erdmannlistein wurde der Grundstein gelegt – zumindest gedanklich. «Klar, die Künstlerinnen und Künstler konnten ihre Werke, die sie während des Symposiums gestaltet hatten, nachher in Wohlen ausstellen. Aber wir wollten mehr», blickt Häfliger zurück. Etwas Bleibendes sollte es sein.
Nerven und Zeit gekostet
Den Goodwill der Bevölkerung für ihre Idee spürten Häfliger und Schaufelbühl beim «Klinkenputzen». 100 000 Franken mussten sie sammeln, um aus der Idee Realität werden zu lassen. Vonseiten der Behörden stiessen sie anfänglich auch auf Skepsis. Bis der Standort und die Bewilligung dafür, dort den Sagenweg einzurichten, da war, brauchte es viel Zeit, viel Energie und viel Nerven.
Heute ist das alles fast vergessen. Zehn Jahre sind seit der Eröffnung vergangen. Und der Sagenweg geniesst nach wie vor eine grosse Beliebtheit. Auch weil sich mit Erlebnis Freiamt eine tragende Kraft finden liess. Von einem Vermittlungsangebot war vor zehn Jahren noch nicht die Rede. Heute sind es ganz viele Führungen, die zu allen Jahreszeiten stattfinden, Anlässe, mit denen die Sagen der Bevölkerung nähergebracht werden. «Es ist ein Glück, dass sich all diese Personen getroffen haben», sagen Herbert Strebel, Erlebnis Freiamt, Initiant Häfliger und Erzählerin Irene Briner. Die Skeptiker sind längst verstummt und der Sagenweg ist beliebt bei Jung und Alt.
Das Gewissen der Region
Seit zehn Jahren ziehen die zwölf Skulpturen des Sagenwegs Leute in den Waltenschwiler Wald
Viele Führungen, grosse Feste, eindrückliche Begegnungen – der Sagenweg sorgte in den letzten zehn Jahren für ganz spezielle Geschichten. Zwölf im Freiamt spielende Sagen wurden mittlerweile unzählige Male erzählt. Anfangs für fünf Jahre vorgesehen ist die Zukunft des Sagenwegs für die nächsten fünf Jahre schon sichergestellt.
Annemarie Keusch
54 Sagen aus der Sammlung des einstigen Aarauer Kantilehrers Ernst Ludwig Rochholz standen am Anfang. Aus ihnen konnten die zwölf Künstlerinnen und Künstler eine Sage auswählen, die sie in Form einer Skulptur umsetzen. «Keine wurde doppelt gewählt», erinnert sich Rafael Häfliger. Der Wohler Bildhauer ist einer jener Künstler, die innert zehn Tagen eine Skulptur herstellten. Seine visualisiert die Sage des «Brennenden Mannes» und ist eine rund vier Meter hohe Sandstein-Statue.
Die Geschichten, sie spielen allesamt im Freiamt. Vom Kegler im Uezwiler Wald über den roten Wyssenbacher bis zum Tanzplatz von Zufikon. «Sagen sind das Gewissen einer Region», sagt Irene Briner. Seit vielen Jahren führt sie Gruppen durch den Sagenweg, ist Teil der Begleitgruppe und darin für das Vermittlungsangebot zuständig. Als die Sagen entstanden, konnten die Leute in der Region weder lesen noch schreiben. «Entsprechend erzählten sie sich Geschichten», sagt Briner. Viele stehen in einem Zusammenhang mit der damaligen Unterdrückung durch das reiche und prunkvolle Kloster Muri.
Anfangs 70 bis 80 Führungen jährlich
Herbert Strebel ist Präsident von Erlebnis Freiamt, der Trägerschaft, zu welcher der Sagenweg von Beginn an gehört. «Alleine hätten wir das alles nicht tragen können», sagt Künstler und Initiant Häfliger. Auch wenn er und Künstlerkollege Alex Schaufelbühl nach wie vor für den Unterhalt des Weges und der Skulpturen zuständig sind, übernimmt die Koordination beispielsweise von Führungen Erlebnis Freiamt. Und deren Präsident ist ein perfektes Beispiel dafür, dass der Sagenweg in vielen Leuten die Geschichten aus der Region wieder ins Bewusstsein brachte und weiterhin bringt.
Herbert Strebel spricht von neuen Welten, die sich ihm auftaten. «Ich bin nicht wirklich der musische Typ, habe mich vorher nicht mit Sagen beschäftigt», gesteht er. Der Sagenweg brachte ihn zu diesen überlieferten Geschichten. «Mittlerweile ist es gar so, dass ich ab und zu zu Hause via App eine Sage höre.» Wie ihm geht es wohl einigen. 70 bis 80 Führungen wurden in den ersten drei Jahren des Sagenwegs durchgeführt. Einige sind Irene Briner speziell in Erinnerung geblieben – etwa jene mit einer Gruppe Sehbehinderter und Blinder. «Es war eine ganz spezielle Erfahrung.» Gleiches sagt sie über die Nachtführung mit Jugendlichen des Strafvollzugs Aarburg. «Ihnen fiel schnell auf, dass in jeder Sage auch ein kleines bisschen ihres eigenen Lebens abgebildet wird.»
Viele auf eigene Faust unterwegs
Mittlerweile hat die Zahl der jährlichen Führungen abgenommen. Was nicht heisst, dass weniger Leute auf dem Sagenweg unterwegs sind. «Im Gegenteil, gerade in der jetzigen Coronazeit sind viele Leute im Wald unterwegs, auch auf unserem Themenweg», sagt Herbert Strebel. Die meisten erkunden den Weg auf eigene Faust. «Das war durchaus unser Ziel», sagen Rafael Häfliger, Irene Briner und Herbert Strebel. Vor allem die App für Smartphones kommt gut an und wird rege gebraucht – ob in englischer oder deutscher Sprache. Und es kommt auch vor, dass Irene Briner Lehrerinnen und Lehrer schult und diese den Sagenweg mit ihren Klassen ohne offizielle Führung erkunden.
Die Entwicklung des Sagenwegs ist für alle Beteiligten eine Erfolgsgeschichte. «Fünf Jahre sollten es mindestens sein, damit sich der grosse Aufwand lohnte», erinnert sich Rafael Häfliger an die Gespräche zu Beginn des Projekts. Für mehr als fünf Jahre werden Bauten im Wald auch nicht bewilligt. Mittlerweile wurde der Sagenweg aber zum dritten Mal bewilligt, heisst, die Zukunft für die nächsten fünf Jahre ist gesichert. «Ein Ende ist nicht in Sicht», sagt Herbert Strebel. Höchstens Naturgewalten oder Vandalismus gefährden das Projekt. Denn es ist festgelegt: Verfällt eine Skulptur, darf nicht eine neue hingestellt werden. Reparaturund Instandhaltungsarbeiten sind aber ohne Probleme möglich. «Bisher blieben wir von Vandalismus verschont», sagt Rafael Häfliger.
Nur der Sturm Burglinde fügte den Skulpturen Schaden zu. «Wieder mal Glück gehabt», sagt Herbert Strebel trotzdem dazu. Der Grund: schon vor dem Sturm war ein Sponsoringbeitrag zugesagt, mit dem die Schäden genau gedeckt werden konnten. «Trotzdem hoffen wir, dass wir künftig von solchen Naturgewalten verschont bleiben.»
Nächstes Jahr feiern
Es wäre ein grosses Jubiläumsfest geplant gewesen. Genauso, wie verschiedene Anlässe und Veranstaltungen auf dem Programm gestanden hätten. Aber eben, das Coronavirus hat auch dem Jubiläum des Sagenwegs einen Strich durch die Rechnung gemacht. «Dann feiern wir den zehnten Geburtstag halt am elften im nächsten Jahr», sagt Irene Briner.