Noch älter als zunächst bekannt
24.07.2020 BremgartenDas Koller-Haus an der Reussgasse 10 stammt mindestens aus dem Jahr 1434
Alex Hürlimann hat das Gebäude gekauft und renoviert es nun zusammen mit spezialisierten Firmen. Die Arbeiten gehen Hand in Hand mit Denkmalschutz und Kantonsarchäologie.
André Widmer
Lange stand es unscheinbar dort und der Verputz blätterte vor sich hin. Eine ältere Frau lebte sogar ohne fliessend Wasser und Strom im Gebäude. Doch nun gibt an der Reussgasse 10 in Bremgarten das sogenannte Koller-Haus seine Geheimnisse zumindest teilweise Stück für Stück preis. Denn vor Kurzem hat Alex Hürlimann das alte Wohnhaus gekauft, renoviert es nun selber und zusammen mit spezialisierten Firmen wie der Landolt & Ackeret Bauunternehmung AG (Hägglingen). Derzeit ist die Aussenwand vom früheren Verputz freigelegt und gibt ihre natursteinerne Basis frei.
Beim Koller-Haus handelt es sich um ein bedeutendes Gebäude, wie sich nun zeigt. Deshalb sind auch Denkmalschutz und Kantonsarchäologie involviert worden. «Es ziehen alle am gleichen Strick, es wollen alle das Gleiche erreichen», sagt Eigentümer Hürlimann. Stand heute stammt das Gebäude nicht wie bis anhin gedacht aus dem Jahr 1548, sondern wurde mindestens 1434 gebaut. Dies geht aus einer dendrochronologischen Analyse hervor, bei der die Holzbalken auf ihr Alter untersucht wurden. Weil zu jenen mittelalterlichen Zeiten das zu verbauende Holz nicht auf Vorrat geschlagen wurde, ist vom Baujahr 1434 auszugehen. Interessant zudem: Die Geschichtsschreibung geht von einem Stadtbrand in der Unterstadt Bremgartens im gleichen Jahr, also 1434, aus. Gemäss Cecilie Gut, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kantonsarchäologie Aargau, wurden hingegen (noch) keine Spuren auf ein Vorgängergebäude gefunden.
Die Unterstadt, das ursprüngliche Bremgarten
Das Koller-Haus steht an der Reussgasse nicht direkt an der Reuss, sondern in der zweiten Reihe. Vis-à-vis dem Haus ist die erste Häuserreihe direkt an der Reuss unterbrochen, der Blick vom Koller-Haus zur Reuss hinaus ist frei. Der Grund: An dieser freien Stelle befand sich offenbar eine Anlandungsstelle von der Reuss her, vermutlich für den Warentransport. Die Unterstadt ist das ursprüngliche Bremgarten, es bestand früheren archäologischen Funden zufolge im 11. Jahrhundert dort ein Dorf – darum auch die katholische Kirche in der Unterstadt und nicht oberhalb. Oben, im Bereich der heutigen Altstadt, war die Siedlung Villingen. Erst um etwa 1200 wuchsen die Wohngebiete zusammen. Das Stadtrecht verliehen die Habsburger dann Bremgarten um etwa 1250. In der Unterstadt gab es im Mittelalter eine Getreide-, später Papiermühle sowie ausserhalb der Stadtmauern im Gebiet Austrasse die heute nicht mehr existente Karton- und Papierfabrik Bremgarten.
Das Koller-Haus mit dem Baujahr 1434 war zunächst ein Holzhaus. 1548 erst wurde es auch unter Verwendung der älteren Deckenbalken aus Holz als Steinhaus und kompletter Neubau aufgebaut. Im ersten Obergeschoss im Wohnzimmer ist eine entsprechende Jahreszahl in Stein gemeisselt. In diesem Zimmer, das der Reuss zugewandt ist, befindet sich eine gotische Decke aus Holz. «Das ist ein Bijou», schwärmt Cecilie Gut von der Kantonsarchäologie. Gemäss Gut seien 1605 und dann im 18. und 19. Jahrhundert weitere Umbauten gemacht worden. Der Sichtriegel auf der Südseite soll 1717 verbaut worden sein. Ob das Haus in diesem Jahr dreigeschossig wurde, ist nicht sicher. Auch aufgrund der feudalen gotischen Decke lässt sich darauf schliessen, dass in früheren Jahrhunderten hier eher wohlhabendere Leute gewohnt haben, weil repräsentative Absichten erkannt werden können. «Mitte des 16. Jahrhunderts gab es eine prosperierende Phase. Man hat damals ziemlich investiert», erläutert Cecilie Gut weiter. Gassenseitig gab es frontal Sichtriegel, die rot gefasst waren, und schwarze Verzierungen. «Man wollte etwas darstellen. Das ist kein Zufall.»
Dokumentation wird erarbeitet
Auch Fachwerkelemente lassen sich im dritten Obergeschoss erkennen. Die Kantonsarchäologie fotografiert und zeichnet das Haus und sammelt die dazugehörenden Erkenntnisse. Es wird eine Dokumentation erstellt. Wann dieser Bericht vorliegt, ist noch unklar, da die Bauarbeiten noch nicht beendet sind und entsprechend neue Funde gemacht werden könnten: So hat Bauherr und Eigentümer Alex Hürlimann vor einigen Tagen an einer Wand im ersten Obergeschoss noch eine zusätzliche Entdeckung gemacht. Ob es eine Holztür, ein Durchgang oder ein Bohlenschrank ist, wird sich wohl noch klären. Diese Tür ist noch nicht datiert worden. Auch ein alter «Bremgarter Bezirks-Anzeiger» aus den 40er-Jahren kam zum Vorschein – vielleicht wurde damals die nun vorgefundene ältere Holztür zugemauert.
Eigentümer mit Herzblut
Eigentümer Alex Hürlimann, der das Haus mit seiner Familie im dritten Stock bewohnt, plant drei Wohneinheiten und im Erdgeschoss Platz für ein kleines Gewerbe. «Es ist das Ziel, bis Ende Jahr die Gebäudehülle zu machen», erklärt Hürlimann. Für die Innenausbauten hat er eine Dauer von zwei Jahren eingerechnet. Dies unter anderem auch darum, weil der Qualitätsschreiner aus finanziellen Gründen einen beträchtlichen Teil der Arbeiten selber erledigen will. «Die Innenausbauarbeiten werden natürlich von mir getätigt, für fachspezifische Arbeiten wie Strom, Wasser und Heizung habe ich Firmen engagiert. Der gesamte Ausbau und Umbau dieser Liegenschaft muss bis zu einem Drittel von uns übernommen werden. Sei es in physischer oder auch in finanzieller Form», erklärt Hürlimann. Doch der Aufwand ist es ihm wert: «Es ist eine einmalige Chance, so etwas zu kaufen und sich einen Traum zu erfüllen.» Er habe eine Vorliebe für alte Häuser. Als es zum Verkauf stand, sei er zum richtigen Moment am richtigen Ort gewesen und habe mit der richtigen Person gesprochen. Koller-Haus nennt man das Haus übrigens aufgrund der Koller-Erben. Die Familie Koller dürfte es im 19. Jahrhundert erstanden haben.
Warum nimmt Alex Hürlimann diese riesige Herausforderung mit einem derart alten, baufälligen Haus überhaupt in Angriff? «Wir haben schon Baustopp gehabt. Doch die Geschichte, die hier hervorkommt, muss man erhalten», zeigt er sich überzeugt. «Es ist ein Haus voller Schätze.»