Freiämter Fussball-Unikat
12.06.2020 SportFC Wohlen, FC Muri, FC Dottikon, FC Hägglingen: Marco Haller war im Fussball-Freiamt bekannt als beinharter Verteidiger. Die Technik klein, das Kämpferherz riesig. Und manchmal schoss Haller ganz wichtige Tore. Beispielweise im Derby zwischen Wohlen und Muri. Der heute in Tägerig wohnhafte Haller erzählt aus der Vergangenheit. --red
«Ausgerechnet Haller»
«Regionalfussball-Stars von früher»: Marco Haller, einst Spieler beim FC Muri und FC Wohlen
Marco Haller hat im Freiamt beim FC Dottikon, FC Hägglingen, FC Wohlen und FC Muri gespielt. Überall ist er als unermüdlicher Kämpfer in der Defensive in Erinnerung geblieben. Mit einem Spiel hat er sich aber einen ewigen Eintrag in den Freiämter Fussballgeschichtsbüchern gesichert, im Derby zwischen Muri und Wohlen 1997.
Josip Lasic
Es gibt Momente im Leben, in denen man den Eindruck bekommt, dass es so etwas wie Schicksal oder eine höhere Macht geben muss. Die seltenen Momente, in denen das Leben so verlaufen kann wie im Hollywood-Film. Der Dottiker Marco Haller erlebte einen solchen Moment am 5. Oktober 1997.
Freiämter Derby in der 1. Liga. Der FC Muri, seit fünf Jahren in der Liga vertreten, empfängt Aufsteiger Wohlen. In Muris Defensive steht Marco Haller. Vier Jahre zuvor lief Haller noch für den FC Wohlen auf, ehe er nach Unstimmigkeiten mit Trainer Hanjo Weller den Verein verliess und über Seon nach Muri ging. Ein Wechsel zum regionalen Erzrivalen. Ein «No-Go».
Mitten ins Wohler Herz
1250 Zuschauer sehen im Herbst 1997, wie sich Favorit Muri gegen Wohlen schwertut. Bis zur 41. Minute. Eckball Wohlen. Muri-Keeper Pavel Karpf fängt den Ball ab. Seine Mitspieler Salvatore Romano und Marco Haller rennen wie von der Tarantel gestochen los. Der Weg des Balles ist einfach erklärt. Karpf zu Romano, Romano zu Haller, Haller ins Tor. «Ich habe ihn mit dem Schienbein erwischt. Der Ball ist langsam ins Tor gerollt. Aber ich glaube, dass das trotzdem zählt», sagt Haller heute lachend.
Es bleibt bei diesem Treffer und Favorit Muri behält gegen ein gut spielendes Wohlen die Oberhand. Das Rückspiel sollte Wohlen mit 1:0 gewinnen – und am Ende der Saison trotzdem absteigen. Für Marco Haller spielt das allerdings keine Rolle. An diesem Tag hat er ein Stück Freiämter Fussballgeschichte geschrieben.
«Es war beinahe so, als müsste dieses Spiel so verlaufen», sagt Haller. Tatsächlich wirkt die Geschichte rund um dieses Spiel wie ein Werk eines Drehbuchautors aus Hollywood. Da wäre zum Beispiel die Tatsache, dass Haller in dieser Partie gar nicht spielberechtigt gewesen wäre. Im Spiel gegen Bellinzona sah der Dottiker nach einer Notbremse die Rote Karte. Die Strafe: drei Spielsperren. Muris damaliger Sportchef Christian Zemp bezahlte allerdings 500 Franken für einen Rekurs, damit sein Defensivmann im Duell gegen den Ex-Verein auf dem Platz stehen durfte. Der Rekurs wurde später abgewiesen. Haller musste die drei Spielsperren absitzen. Gegen Wohlen stand er aber auf dem Feld.
Ausserdem war der ehemalige Fussballer nicht per Zufall in der Defensive zu Hause. «400-mal den Ball jonglieren, Dribblings, Aussenristpässe, das war alles nicht meine Welt», erzählt Haller. «Ich war ein harter Arbeiter auf dem Platz.» Er war vieles, aber kein Goalgetter. Ihm fällt kein weiteres Tor während seiner Zeit bei Muri ein.
Umso erstaunlicher war es, dass der heute in Tägerig wohnhafte Abwehrspieler nach dem Eckball so nach vorne stürmte. Im Herbst 1997 sagt Goalie Pavel Karpf gegenüber dem «Wohler Anzeiger», dass das ein einstudierter Spielzug war. Haller erinnert sich aber nicht daran, dass das irgendwie geplant war. «Es war völlig unlogisch, dass ich so losgesprintet bin. Ich hatte kaum noch Luft nach dem Tor und dem Jubel.»
Er musste sich selber herauskaufen
Im Buch «100 Jahre FC Wohlen» wird dieses Derby beschrieben. Wo es heisst, dass Marco Haller der Torschütze war, steht noch der Satz «Ausgerechnet Haller.» Der gleiche Satz steht in einem Artikel der «Aargauer Zeitung» zu diesem Derby. Ausgerechnet der Mann, der keine Tore erzielte und der den FC Wohlen einige Jahre zuvor nach Unstimmigkeiten verliess.
Dabei war der Wechsel zu Muri nicht der erste kontroverse Transfer innerhalb des Freiamts für Marco Haller. Der Abwehrspieler ist in Dottikon aufgewachsen. Sein Stammverein ist der FC Dottikon, wo er alle Juniorenstufen absolviert hat und danach Spieler der 1. Mannschaft war. Dann kam der FC Hägglingen und hat angefragt, ob er daran interessiert sei, für sie zu spielen. «Von Dottikon nach Hägglingen zu wechseln, war zur damaligen Zeit ähnlich verpönt wie von Wohlen nach Muri», erzählt Marco Haller. «Dottikon hat den Transfer geblockt. Ich musste mich selbst herauskaufen.» Später ging er von Hägglingen nach Wohlen.
Die Transfers innerhalb der Region waren vielleicht kontrovers, aber Marco Haller hatte bei den Wechseln nie eine böse Absicht. Er suchte stets die sportliche Herausforderung. Dottikon war zu seiner Zeit ein «Fahrstuhlteam» zwischen 2. und 3. Liga, Hägglingen ein gefestigter Zweitligist und Wohlen ein Club, der in der 2. Liga vorne mitspielen konnte. «Ich wollte mir immer beweisen, dass ich es bei einem stärkeren Verein auch packen kann.»
Keine Rachegefühle
Das war auch der wichtigste Grund für den Wechsel zu Muri. Haller verstand sich zwar nicht gut mit dem damaligen Wohlen-Trainer Hanjo Weller, wollte aber dem Verein auf keinen Fall eins auswischen. Im Gegenteil. Obwohl er von Wohlen direkt zu den Klosterdörflern hätte gehen können, kam der Transfer erst ein halbes Jahr später zustande. Haller hatte dem damals sportlich schwächeren FC Seon bereits zugesagt, als Muri auf ihn zukam. Er hielt sein Wort gegenüber Seon. Und im «Wohler Anzeiger» stand ein langer Kommentar zum Thema, wie man jemanden wie Haller ziehen lassen kann. Einen Spieler aus der Region, der sich für den Verein zerreisst.
Als er das Tor im Derby gegen den FCW erzielen konnte, waren laut seiner Aussage keine Revanche- oder Rachegelüste im Spiel. «Jeder in der Region weiss, was das Derby zwischen Muri und Wohlen bedeutet. Ich würde lügen, würde ich behaupten, dass es kein geiles Gefühl war, vor einer Kulisse von 1250 Zuschauern das Siegestor zu erzielen. Aber Hanjo Weller war da schon lange nicht mehr Trainer des FC Wohlen. Es gab keinerlei Differenzen mehr.»
Dass das der Wahrheit entspricht, konnte man spätestens dann sehen, als Marco Haller zum FCW zurückkam. Der Dottiker hatte schon beim FC Muri mit Rückenproblemen zu kämpfen und konnte nur unter Schmerzmitteln spielen. Als die IV dem Flachdach-Isoleur eine Umschulung finanziert hat und er sich von den Baustellen verabschieden konnte, konnte er noch einige gute, schmerzfreie Jahre mit dem FC Wohlen bestreiten.
Heute in Tägerig zu Hause und wenig mit Fussball zu tun
Die Wohler stiegen unter Ryszard Komornicki von der 2. in die 1. Liga auf und wären dann unter Martin Rueda beinahe in die Nationalliga B durchmarschiert. Im Rückspiel der 1. Aufstiegs-Play-off-Runde erzielte Haller gegen Chênois das entscheidende Tor. «Das war der zweitwichtigste Treffer meiner Karriere», sagt er. Wohlen scheiterte danach allerdings an Locarno. Der Aufstieg in die NLB sollte zwei Jahre später folgen – ohne Marco Haller. Er kickte noch einige Jahre bei den Senioren des FCW, bevor der Rücken seine Karriere endgültig beendete.
Heute wohnt der mittlerweile 51-Jährige in Tägerig, ist Filialleiter bei einem Transportunternehmen und Vater zweier Töchter. Mit Fussball hat er nur noch wenig zu tun. «Ich bin arbeitsbedingt selten zu Hause. Da wollte ich es meiner Frau nicht antun, am Wochenende noch auf die Niedermatten oder die Brühl an ein Spiel zu gehen.» Im Stadion war er lange nicht mehr. «Es gibt verschiedene Phasen im Leben. Bis ich 33 Jahre alt war, spielte Fussball eine sehr grosse Rolle. Die Zeit möchte ich nicht missen. Jetzt bin ich aber in einer neuen Phase.»
Andenken an schöne Zeiten
Seine Töchter sehen sich hin und wieder sein Album an, wo er Artikel über seine Fussballzeit gesammelt hat. «Das sind die Andenken, die ich behalten habe. Für ihn ist es das schönste Andenken, wenn er einen Weggefährten aus alten Zeiten trifft, egal von welchem Verein, und über die Spiele von damals sprechen kann. «Meistens werde ich dann auf das Derby von 1997 angesprochen», sagt er lachend. Damals, als es so sein musste, dass ausgerechnet Haller den FC Muri gegen Wohlen zum Sieg schiesst.