Acht Jahre bis zum Traum

  04.05.2021 Sport

Serie «Freiämter Olympioniken»: Andreas Aeschbach – Olympia 1992 in Barcelona

Als Mitglied des Veloclubs Wohlen hat Andreas Aeschbach die Freiämter Farben an den Olympischen Spielen vertreten. Noch heute fühlt er sich dem Freiamt verbunden. Seine Radsportkarriere und Olympia sieht er als eine grosse Lebensschule.

Josip Lasic

Olympia 1992 in Barcelona. Das Punkterennen der Radsportler auf der Bahn läuft. Zwei Runden vor Schluss ist Andreas Aeschbach auf Bronze-Kurs. Dann muss der damals 22-jährige Radsportler Lehrgeld zahlen. Einige andere Fahrer haben taktiert, sich zurückfallen lassen, um im Endspurt noch anzugreifen. «Der Italiener, der die Goldmedaille gewonnen hat, hat mir im Nachhinein erklärt, was da für Spielchen liefen», sagt Aeschbach. Das Mitglied des Veloclubs Wohlen beendet den Wettkampf auf dem 8. Rang. Aeschbach verpasst zwar die Medaille, aber holt ein olympisches Diplom. «Das hat für mich einen hohen Stellenwert.»

Aeschbach betont, dass er keine zwei Jahre Erfahrung auf der Bahn gehabt hat, als er an den Olympischen Spielen gestartet ist. «Wenn ich das den Fahrern aus anderen Ländern erzählt habe, konnten die das kaum glauben. Genauso wenig, dass ich neben dem Sport noch gearbeitet habe.» Barcelona 1992 war für Andreas Aeschbach ein prägendes Erlebnis.

Training mit den grossen Vorbildern

Seine sportliche Ausbildung hat Aeschbach beim Veloclub Wohlen genossen. Dabei stammt der Radsportler eigentlich aus Dürrenäsch. Sein Vater hat eine Sportart für ihn gesucht. Der junge Andreas Aeschbach ist vom Radfahren fasziniert. «Damals gab es noch kein Google. Er musste sich also im Bekanntenkreis umhören, wo es Radsportvereine gibt, die eine gewisse Qualität mitbringen. Alle waren relativ weit entfernt von Dürrenäsch. Wohlen war einer der nächsten und der besten.» Sein Vater bringt den damals Zwölfjährigen jeden Mittwoch ins Training. «Wir haben uns mit der Radsportschule jeweils in Waltenschwil getroffen, sind eine Trainingsrunde gefahren und dann wieder nach Hause gegangen.»

Zwei Jahre später finden die Olympischen Spiele in Los Angeles statt. Aeschbach sitzt vor dem Fernseher und sieht sich die Eröffnungsfeier an. Der «Rocket Man» fliegt mit einem Jet-Pack in das Stadion. «Wahnsinn. Ich war so begeistert von dieser Eröffnungsfeier, dass ich zu mir gesagt habe, dass ich eines Tages auch dabei sein will.» Zu dieser Zeit haben die Getränkeflaschen in der Migros und im Coop Sticker der Schweizer Olympiateilnehmer auf den Deckeln. Andreas Aeschbach beginnt diese zu sammeln. Darunter sind Leute wie Stephan Joho und Daniel Huwyler vom Veloclub Wohlen. «Das war ein grosser Vorteil. Ich konnte mit meinen sportlichen Vorbildern trainieren.»

Mit der Zeit fährt er mit dem Rad nach Wohlen ins Training. «Und Werner Stutz oder Stephan Joho haben regelmässig mit mir trainiert. Sie kamen sogar deswegen nach Dürrenäsch. Ich war jeweils fix und fertig, wenn ich mit ihnen trainiert habe. Aber das war es wert.»

Auch während seiner Lehre als Hochbauzeichner legt er täglich grössere Distanzen zurück. Während dieser Zeit wird der Olympia-Traum noch konkreter. Als er in der Berufsschule sagt, dass sein Ziel eine Olympiateilnahme ist, rät ihm ein Lehrer dazu, diesem Ziel nachzugehen. «Er hat mir empfohlen, nach der Ausbildung voll auf die Karte Sport zu setzen und zu sehen, wie weit es mir reicht. Danach könne ich nach wie vor ins Berufsleben zurück.» Aeschbach befolgt den Rat. 1991 schafft er den Sprung in die Schweizer Rad-Nationalmannschaft. Ein Jahr später folgt die Olympia-Qualifikation. Acht Jahre sind vergangen, seit der 14-jährige Radsportler vor dem Fernseher von Olympia geträumt hat.

Eine riesige Lebensschule

Die Olympischen Spiele haben beim Radsportler ihre Spuren hinterlassen. Er hat zahlreiche Anekdoten und Geschichten aus Barcelona mitgenommen. Ebenso wichtige Lebenserfahrungen. Ein besonderes Erlebnis für ihn war der Umgang mit Medien. Auf diesen war er nämlich nicht vorbereitet. «Bis zu den Olympischen Spielen hatte ich höchstens Kontakt mit Regionalzeitungen wie dem ‹Wohler Anzeiger› oder dem ‹Wynentaler Boten›. Plötzlich wollten der ‹Blick› und das Schweizer Fernsehen mit mir sprechen. Damit war ich ein wenig überfordert. Ich glaube, dass heutige Athleten mehr in diese Richtung geschult werden.»

Eine weitere eindrückliche Erfahrung war der Austausch mit anderen Sportlern. Er lernt den Freiämter Ringer Ludwig «Ludi» Küng kennen, ebenso wie den Leichtathleten Werner Günthör, den Turner Daniel Giubellini oder die Synchronschwimmerinnen Claudia Peczinka und Caroline Imoberdorf. «Vorher dachte ich beispielsweise, dass Synchronschwimmen ein bisschen Rumgeplansche im Wasser ist. Dann haben mir Peczinka und Imoberdorf erklärt, wie viel Aufwand sie betreiben. Der Respekt vor den anderen Athleten, insbesondere in den Randsportarten, ist deutlich gewachsen.» Es gab ebenso Athleten, die den gegenteiligen Eindruck hinterlassen haben. Wie der Tennisspieler Jakob Hlasek. Die Olympiateilnehmer erhalten vom Schweizerischen Olympischen Verband Kleidung. «Wir bekamen unter anderem Massanzüge. All das war für mich und andere Olympioniken eine grosse Ehre. Für Hlasek war das alles wertlos. Er ging und hat alles in Barcelona gelassen. Das erschien mir unglaublich arrogant.»

Zwischen «Dream-Team» und Feiern

Andreas Aeschbach blieb von der Eröffnungs- bis zur Schlussfeier in Barcelona. «Ich war ein sehr grosser Sportfan und habe mir alle möglichen Wettkämpfe angesehen.» Darunter auch ein Basketballspiel des ersten amerikanischen «Dream-Teams» mit den Superstars Michael Jordon, Magic Johnson oder Larry Bird. «Wir haben nach den Wettkämpfen auch viel gefeiert», gibt der Radsportler zu. «Das wäre heute gar nicht mehr möglich. Da würden schnell Bilder in den sozialen Medien landen. Aber ich habe die Erfahrung Olympia in allen Bereichen ausgekostet.»

Nach den Olympischen Spielen dauert die Karriere von Aeschbach nicht mehr lange. 1996 gibt er den Rücktritt vom Radsport. Die letzten zwei Jahre ist er noch als Profi unterwegs. «Ich habe nicht ausserordentlich viel verdient. Aufwand und Ertrag standen in einem Missverhältnis.» Achtmal wird Aeschbach insgesamt Schweizer Meister. Er erzählt eine Anekdote, wie er am Arbeitsplatz von einem Zweitligafussballer darauf angesprochen wird. «Er wollte wissen, wieso ich mit all meinen Titeln überhaupt noch arbeite. Ich habe ihm dann erklärt, dass es für eine Schweizer Meisterschaft nur rund 700 Franken Prämie gibt. Als er nachgefragt hat, ob das monatlich oder jährlich sei, musste ich ihm sagen, dass diese einmalig ausgezahlt werden.»

Kurz bevor er seine Karriere beendet, startet sein vier Jahre jüngerer Bruder Alexander als Radsportler durch. Die Medien wollen sie als Aargauer Brüderduo verkaufen, das den Radsport aufmischt. «Die Enttäuschung war gross, als ich mitgeteilt habe, dass ich nicht mehr lange fahren werde.»

Weitere Olympionikin ausgebildet

Heute arbeitet Andreas Aeschbach als Lehrer für Allgemeinbildung an der Berufsschule Lenzburg. Vor einigen Jahren ist die Eisschnellläuferin Ramona Härdi seine Schülerin. Sie verfasst eine Arbeit über ihren Sport. Das Projekt hat die Olympiateilnahme zum Ziel. 2018 in Pyeongchang ist sie dabei. Aeschbach will das Sportstudio besuchen. Als sie beim Schweizer Fernsehen erfahren, dass er ehemaliger Olympionike ist, wird er prompt zum Gast des Tages. «Härdi ist leider gestürzt bei ihrem Wettkampf. Für mich war ihr Projekt aber eine schöne Verbindung von meinem Beruf mit meiner Leidenschaft für den Sport.»

Die Erinnerungen an Olympia hält der Sportler in Ehren. Die deutsche TV-Grösse Günther Jauch veröffentlicht ein Buch über die Olympischen Spiele in Barcelona. Dort ist Aeschbach auf einer Doppelseite zu sehen. «Ich war an so vielen Wettkämpfen. Im In- und Ausland, war an Weltmeisterschaften. Die Andenken an all das sind heute in einem Karton verstaut. Diejenigen an Olympia aber nicht.»

Verbindung ins Freiamt geblieben

Eine Zeit lang war Aeschbach dem VC Wohlen untreu. «Nach mir, Stephan Joho und Werner Stutz kam nicht mehr viel nach in Wohlen. Ich wechselte daraufhin zum VMC Hirslanden-Zürich.» Mittlerweile lebt Andreas Aeschbach in Boniswil. «Seit dem Jahr 2000 bin ich wieder beim VC Wohlen. Joho und Stutz kamen damals auch zurück.»

An Wohlen hatte er immer positive Erinnerungen geknüpft. «Ich war dort häufig im Ausgang. Als Mitglied des VC Wohlen war das Bünzmatt-Kriterium eines der wichtigsten Rennen für mich. Und ich konnte mit meinen sportlichen Vorbildern in Wohlen trainieren. Ohne sie hätte ich mir den Traum von Olympia vielleicht nie erfüllen können.»


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