Alle unter einem Dach

  23.02.2021 Sport

Noah Lüscher pendelt in den USA zwischen Quarantäne und Fussballplatz

Seit 2017 studiert Noah Lüscher an der Binghamton University und spielt Fussball für das Universitätsteam. Im vergangenen März kehrte er wegen der Coronapandemie in die Schweiz zurück. Jetzt ist er wieder in den Vereinigten Staaten und will angreifen. Um die Saison fertigspielen zu können, sitzt sein Team bis April aber in Quarantäne.

Josip Lasic

«Wir sind nicht eingesperrt», sagt Noah Lüscher über die Situation der Binghamton Bearcats. In rund einer Woche geht für sein College-Fussball-Team die Saison los. Damit diese reibungslos über die Bühne läuft, hat sich das Team darauf geeinigt, bis zum Ende der Meisterschaft im April die sozialen Kontakte auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. «Wir können spazieren gehen, einkaufen, fahren ins Training, an die Spiele. Es ist nicht so, dass wir gar nicht an die frische Luft können. Aber wirklich viel unternehmen können wir auch nicht.»

Seit 2017 ist der Meisterschwander Teil der Binghamton University. Er studiert «Business Administration» in der Stadt, die rund drei Stunden Autofahrt von New York City entfernt ist. Daneben spielt er Fussball für das Universitätsteam – die Bearcats. Und der 23-Jährige ist in beidem sehr gut. Auf sportlicher Ebene so sehr, dass er auf dem Radar der US-amerikanischen Profivereine aus der Major League Soccer landete. Im vergangenen Sommer hätte er ein Probetraining mit DC United aus Washington absolvieren sollen. Gespräche mit weiteren MLS-Teams waren am Laufen. Es bleibt beim Konjunktiv. Die Coronapandemie macht auch vor den USA nicht halt. Im Gegenteil. Der Bundesstaat New York, wo sich die Universität befindet, wird zum absoluten Hotspot innerhalb der Vereinigten Staaten. Der Meisterschwander packt seine Sachen und reist zurück zu seiner Familie in die Schweiz. Weiterstudieren kann er online. Der Traum vom Profifussball – er ist vorerst auf Eis gelegt.

In Meisterschwanden fit gehalten

Von März bis August war der Fussballer, der drei Kurzeinsätze für den FC Aarau in der Challenge League sammeln konnte, bei seiner Familie in Meisterschwanden. Dann reist er wieder in die USA. Die Saisonvorbereitung steht an. Doch die Meisterschaft wird verschoben. Im November geht es wieder zurück in die Schweiz. Jetzt – nach langem Hin und Her – soll auf den US-Universitäten wieder gekickt werden.

Seit rund einem Monat ist Noah Lüscher wieder in den Vereinigten Staaten und freut sich auf die Meisterschaft. «Ich habe von März bis August kaum trainiert. In Meisterschwanden habe ich mich in einem selbst eingerichteten Kraftraum fit gehalten. Fussballtraining kam zu kurz. Es wird Zeit, dass wieder ein geregelter Spielbetrieb stattfindet.»

Ein Dutzend Spieler lebt zusammen

Um diesen zu gewährleisten, muss die Mannschaft Opfer bringen. Bis die Meisterschaft zu Ende ist, begibt sich das Team in Quarantäne. Das sind rund acht Wochen. «Wir haben in unserer Conference sechs garantierte Spiele. Wenn wir die Play-offs erreichen, kommen noch zwei Partien hinzu. Dann haben wir es überstanden.»

Doch ganz so leicht ist das nicht. Die Athleten schränken sich ziemlich ein. «Wie gesagt, wir sind nicht eingesperrt. Aber die Vorlesungen finden grösstenteils online statt. Die wenigen Präsenzveranstaltungen sind mit Social Distancing und Maskenpflicht verbunden. Und Restaurants oder grössere Menschenversammlungen dürfen wir nicht besuchen.» Und zu allem Überfluss: Vom 26-Mann-Kader der Bearcats wohnt Lüscher mit elf weiteren Kollegen in einer Wohnung. «Nicht ganz. Es sind zwei Wohnungen, die miteinander verbunden sind. In unserer Wohnung leben also – mich eingeschlossen – ‹nur› sechs Mitspieler zusammen.» Durch die Verbindung zu der anderen Wohnung gibt es zwar Kontakte, doch es ist beispielsweise untersagt, dass die Spieler aus den beiden Appartements gemischte Fahrgemeinschaften bilden. Auch die regelmässigen Coronatests sind auf verschiedene Pools nach Wohnungen unterteilt. «Wir brauchen mindestens 15 Spieler und einen Coach, um antreten zu dürfen. Durch diese Trennungen muss im Falle eines positiven Coronatests nicht das gesamte Kader in Quarantäne gesteckt werden.»

Kollegen um sich von Vorteil

Noch sieht der offensive Mittelfeldspieler Vorteile darin, mit fünf Teamkameraden zusammenzuwohnen. «Die Wohnungen sind sehr gross und so hat man Leute um sich, mit denen man etwas unternehmen kann und mit denen einem nicht langweilig wird.» Befürchtet der Meisterschwander, dass man irgendwann zu sehr aufeinandersitzt? «Aktuell geht es», sagt er lachend. «Aber so viele junge Männer im Alter zwischen 20 und 23 auf so engem Raum … Ich weiss nicht», ergänzt er, nach wie vor lachend.

Der Fussballer versucht das Beste aus der Situation zu machen. «Ich habe mehr Zeit für andere Hobbys. Ich lese viel, nehme an anderen universitären Aktivitäten teil, bin Mitglied in der Leadership Academy und der Fashion Society, designe für Letztere Logos und Poster, designe selbst Kleider. Ich habe genug zu tun.»

MLS ist eine der Optionen

Tut sich Lüscher das wirklich nur für den Profifussball an? «Ich versuche den Traum nach wie vor zu leben. Durch die Pandemie hat sich alles jetzt ein wenig verschoben. Aber ich peile den MLS-Draft 2022 an und sollte vorher noch einige Probetrainings mit MLS-Teams absolvieren können.» DC United hat nach wie vor Interesse am Sportler, ebenso der New York City FC und die New York Red Bulls. «Mein Trainer an der Uni hat ausserdem Kontakt zum neusten MLS-Team aus Austin herstellen können. Auch Toronto soll Interesse haben.» Hinterlässt Noah Lüscher einen guten Eindruck im Probetraining, könnte ein Profivertrag noch vor dem Draft zustande kommen. «Dann ist die Wahrscheinlichkeit noch höher, dass man eingesetzt wird. Und sonst habe ich einen guten Abschluss, eine hochwertige Ausbildung und wertvolle Erfahrungen gesammelt. Egal, wie es endet, mir stehen alle Türen offen.»

Und dafür ist es ihm auch wert, bis Ende April die Türen seiner Wohnung möglichst verschlossen zu halten, sich fast zwei Monate in Quarantäne zu begeben und möglichst viel Harmonie in den Fussballerhaushalt einkehren zu lassen.


«Es wäre nicht mehr das Gleiche»

Ex-FCW-Spieler Michael Weber geht den anderen Weg als Noah Lüscher

Von 2014 bis 2016 hat Offensivmann Michael Weber für den FC Wohlen gespielt. Nach einem Abstecher zum SC Kriens ging auch er wie Noah Lüscher 2017 in die USA zum Fussballspielen und zum Studieren. Zuerst am Georgia Gwinnett College bei den «Grizzlies», danach am Menlo College in Kalifornien bei den «Oaks».

Beruflich Fuss fassen und nebenbei Fussball als Hobby

«Ich habe mir meinen Abschied aus den USA anders vorgestellt, aber das ist jetzt höhere Gewalt.» Weber ist im April 2020 in die Schweiz zurückgekommen. «Zuerst wollte ich im August zurück. Es war wegen der Pandemie aber nicht möglich. Dann wollte ich im Januar zurück. Es war wegen der Pandemie nicht möglich. Also lasse ich es bleiben.»

Weber ist 26 und damit drei Jahre älter als Lüscher. «Ich habe damals, als ich die Challenge League verlassen habe, mit dem Profifussball abgeschlossen. Es wäre mehr Aufwand als Ertrag. Das Gleiche gilt, wenn ich jetzt zurück in die USA gehen würde. Unter solchen Restriktionen bringt es mir nichts, dort Fussball zu spielen.» Der Ex-FCW-Spieler kann seine Kurse und Vorlesungen online belegen und wird im Mai abschliessen. Er hat Business Administration studiert und ging zuletzt in Richtung Sportmanagement. In der Schweiz arbeitet er bei der «Post Finance» und spielt seit letztem Sommer wieder für seinen Stammclub SC Zoongen in der 2. Liga interregional.

«Jetzt an die Universität zurückzukehren, wäre nicht mehr das Gleiche. Ich will beruflich in der Schweiz Fuss fassen und Fussball als Hobby daneben spielen.» Dass Weber nicht mit so einem Ende seines US-Abenteuers gerechnet hat, beweist die Tatsache, dass er immer noch viele Sachen in den Staaten hat. «Die werden mir demnächst in einer grossen Box rübergeschickt. Ich werde sicher auch irgendwann rübergehen, um mich von den Menschen dort richtig zu verabschieden. Für mich ist das Kapitel USA aber beendet.» --jl


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