Artenschutz durch Kooperation
22.04.2022 KelleramtNaturschutzverbände lancieren Gewässerinitiative
Der Kanton soll zusammen mit den Gemeinden dafür sorgen, dass so viele Feuchtgebietsflächen geschaffen werden, dass die Biodiversität gesichert und gestärkt wird – das fordern die Umweltverbände mit ihrer Gewässerinitiative. Die Bedeutung von Feuchtgebieten zeigt sich in der Reusstal-Landschaft.
Roger Wetli
«Wir haben hier im Reusstal gute Beispiele dafür, wie wir uns eine Umsetzung der Initiative vorstellen können», erklärt Pro-Natura-Aargau-Geschäftsführer Matthias Betsche. «Denn in Feuchtgebieten der Reusslandschaft vereinen sich eine grosse Artenvielfalt und Naturschutz mit der landwirtschaftlichen Nutzung, dem Hochwasserschutz und dem Speichern von Wasser sowie der Naherholung.» Betsche betont, dass mit der kantonalen Gewässerinitiative zum Dialog angeregt werden soll, wo neue Feuchtgebiete im Aargau entstehen könnten. Zu den Initianten gehören neben Pro Natura Aargau auch der Aargauische Fischereiverband, Bird Life Aargau, WWF, der Landschaftsschutzverband Hallwilersee und die Organisation «Kultur Landschaft Aare-Seetal KLAS».
Wie gross diese Fläche sein soll, wird im Initiativtext bewusst nicht erwähnt. «Das müssen wir auch nicht. Denn unser politisches Anliegen fusst auf einer Untersuchung des Kantons. Diese macht klar, wie viel Fläche erforderlich ist. Der Kanton kommt nämlich zum Schluss, dass die heutigen Restflächen von Feuchtgebieten nicht reichen, um die Biodiversität, also unsere natürliche Lebensgrundlage, zu schützen», gibt der Pro-Natura-Aargau-Geschäftsführer zu bedenken. «Mit anderen Worten: Aktuell sterben lokal trotz Schutzbemühungen Tier- und Pflanzenarten aus. Um diesen Vorgang zu stoppen, taxiert diese Studie den aktuellen Status als ‹besorgniserregend mit dringendem Handlungsbedarf›. Laut dieser Studie müssen 1000 Hektaren neue Feuchtgebiete geschaffen werden.»
Extensiv statt intensiv
Da Siedlungsgebiete schlecht vernässt werden können, werden diese Flächen wohl im Wald und auf Landwirtschaftsland umgesetzt. «Die 1000 Hektaren klingen zuerst nach viel», ist sich Matthias Betsche bewusst. «Zieht man aber in Betracht, dass 90 Prozent der ursprünglichen Aargauer Feuchtgebiete vernichtet wurden und das rund 14 000 Hektaren entspricht, möchten wir nur einen Bruchteil davon, also rund 7 Prozent, wieder für die Natur aufwerten. Das sollte doch möglich sein. Diese 1000 Hektaren sind denn auch f lächenmässig bedeutend weniger, als was mit dem Auenschutzpark im Aargau bereits aufgebaut wurde. Aber mit diesen zusätzlichen Flächen kann sehr viel erreicht werden.» Zumal die Initiative eine weitere forstund landwirtschaftliche Nutzung nicht ausschliessen würde.
Wie dramatisch die Situation sei, erklärt der Pro-Natura-Aargau-Geschäftsführer anhand der Vögel: «40 Prozent aller Aargauer Brutvögel sind auf der roten Liste aufgeführt. Bei Arten von Feuchtflächen sind es gar 64 Prozent. Das zeigt sich am Beispiel, dass nur noch an wenigen Orten Kiebitze, Zwergdommeln und Bekassinen brüten. Andere Arten wie der Grosse Brachvogel ziehen ihre Jungen schon länger nicht mehr in unserem Kanton auf.»
Nutzungen überdenken
Wird die Gewässerinitiative angenommen, müssen Kanton und Gemeinden diese zusätzlichen 1000 Hektaren Feuchtgebiete innert 20 Jahren schaffen. «Diese Flächen werden landwirtschaftlich genutzt und würden an der Nahrungsmittelerzeugnis- und an der Ernährungssicherheit der Schweiz nichts ändern», ist Matthias Betsche überzeugt. «Denn einerseits gibt es im Aargau 60 000 Hektaren Landwirtschaftsflächen, anderseits nutzt man diese heute sehr ineffizient.» So wachse auf 43 Prozent der Ackerflächen Futter für Kühe und Schweine. Besser sei es, hier Gemüse und Früchte anzubauen, die den Mensch direkt ernähren können.
Grosses Potenzial für eine bessere Versorgungssicherheit durch Schweizer Lebensmittel sieht der Pro-Natura-Aargau-Geschäftsführer in der Vermeidung von Food-Waste: «In der Schweiz fallen 2,8 Millionen Tonnen Food-Waste pro Jahr an. Der Landverbrauch für den Anbau der weggeworfenen Lebensmittel entspricht der Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Flächen der Schweiz.» Hier müsse man ansetzen und gleichzeitig den Artenschwund in Feuchtgebieten mit 1000 Hektaren zusätzlichen Flächen stoppen.
Bessere Verzahnung
Um dieses Ziel zu erreichen, sieht Betsche eine Verzahnung von verschiedenen Nutzungen vor – so, wie es im Reusstal an verschiedenen Orten vorgemacht wird. «Potenzial gibt es bei Pumpwerken im Feld, welche mit viel Energie grössere Flächen künstlich entwässern. Diese erreichen alle in den nächsten Jahren ein Alter, wo über einen Ersatz, teure Reparaturen oder die Aufgabe entschieden werden muss. Bevor man dabei saniert, sollte man sich fragen, ob das Kosten-Nutzen-Verhältnis noch sinnvoll ist oder ob man nicht besser die Pumpen abstellt und die Gebiete zurückvernässt», so Betsche. Es gäbe diverse Kulturen, die auf nassen Böden gedeihen würden und genutzt werden könnten. «Schliesslich muss aber von Ort zu Ort geschaut werden, ob eine Vernässung sinnvoll ist oder nicht. Statt der enormen Kosten für die Trockenlegung durch Pumpwerke sollen die Land- und die Forstwirtschaft bei der Umstellung ideell, fachlich und finanziell unterstützt werden.»
Wichtige Rolle des Hochwasserschutzes
Der Pro-Natura-Aargau-Geschäftsführer begrüsst die Planung eines verbesserten Hochwasserschutzes im Reusstal. «Gerade die Orte, an denen bei Bedarf Wasser abgeleitet werden kann, haben grosses Potenzial. Auch hier sind mehrere Nutzungen gleichzeitig möglich. Die Schweiz verliert zum Beispiel mit dem Klimawandel zunehmend jährlich mehr Wasser, als sie durch Schnee und Regen wieder erhält. Diese Feuchtgebiete wirken wie ein Schwamm und halten das Wasser vor Ort.» Wurde bisher vor allem für feuchte Landwirtschaftsgebiete gesprochen, rücke hier die Bedeutung des Wasserhaushaltes ins Zentrum. «Das Feuchtgebiet speichert und reinigt das Wasser und bietet wertvolle Lebens- und Erholungsräume», so Matthias Betsche.
Er glaubt fest daran, dass gemeinsam der Artenschwund gestoppt werden kann. «Dazu müssen Scheuklappen und Vorurteile beiseitegelegt werden. Gemeinsam finden wir gangbare Wege», ist er optimistisch. «Dass es geht, haben die Pioniere für den Naturschutz im Reusstal schon vor mehreren Jahrzehnten bewiesen. Jetzt ist ein nächster Schritt notwendig.»