Auf die Kleider kommt es an

  01.04.2021 Muri

Die Murianerin Regula Marthaler ist Kostümbildnerin und erhielt 2020 den Zürcher Filmpreis

Sie ist im Säuliamt aufgewachsen, lebte lange in Zürich und seit wenigen Jahren in Muri. Als Kostümbildnerin ist sie viel unterwegs, in Theater-Fundi, auch mal ans Set von Kino- oder TV-Filmen. «Film funktioniert nur im Team», das gefällt mir. Kreativ ist sie aber auch zu Hause, etwa im eigenen Atelier in einem ehemaligen Kuhstall.

Annemarie Keusch

Rückblickend beschreibt sich Regula Marthaler als «Set-Tiger». 14 Stunden am Tag – und das über bis zu zehn Wochen hinweg. «Das war mein Alltag und ich liebte es.» Damals war sie Garderobiere, mittlerweile ist sie Kostümbildnerin, auch Aufträge als Kostümbild-Assistentin nimmt sie an. Die Unterschiede? «Die Kostümbildnerin fertigt das Konzept an, die Assistentin hilft ihr und die Garderobiere ist immer am Set, schaut, dass alles gut aussieht, dass der Kragen sitzt, dass die Schuhbändel passend aussehen, dass niemand friert oder schwitzt.»

Im Film-Metier bewegt sich die 45-jährige Murianerin schon lange. Dass es sie nicht in die Modewelt verschlägt, war der in Hausen am Albis aufgewachsenen Frau schnell klar. «Dafür interessierte mich Mode zu wenig.» Trotzdem wählte sie die Lehre als Damenschneiderin, hängte eine Zusatzausbildung als Theaterschneiderin an. «Es gefällt mir, zu sehen, was ich erarbeitet habe.» Über Kostümbildnerin Sabine Maurer rutschte sie in die Theater- und Filmszene. Und dort blieb sie hängen.

Vorzüge des Landlebens kennengelernt

Kleider ein- und ausladen. Ganze Sprinter voller Textilien hin- und herfahren, waschen, bügeln. Den ganzen Tag Hektik, das Zirkusleben, heute hier, morgen da. Regula Marthaler schaut gerne zurück auf ihre Zeit als Garderobiere. «Als Kostümbildnerin kannst du deine Arbeit noch so gut machen, wenn die Garderobiere am Set nicht in Höchstform ist, kommt es anders als gewollt.» Marthaler kennt beide Seiten. Und sie weiss, wie hart umkämpft der Markt in der kleinen Schweizer Filmszene ist. «Mit fünf Garderobieren ist der Markt in der Deutschschweiz gesättigt», sagt sie. An Aufträgen mangelte es ihr aber nie. Regula Marthaler arbeitete am Set «Lüthi & Blanc», bei «Der Kreis», bei «Der Verdingbub», beim «Tatort». Und trotzdem wechselte sie, wurde Kostümbildnerin. «Die Tätigkeit als Garderobiere ist unglaublich schlecht vereinbar mit einer Familie.»

Diese Familie hat sie. Ihren Mann lernte sie am Set kennen. «Set-Liebe.» Sie lacht. Er ist Tontechniker. Zusammen haben sie zwei Kinder. Und wegen ihm kam Marthaler vor vier Jahren nach Muri. «Mein Mann kann schlecht in der Stadt leben.» Sie selber konnte das ganz gut, 23 Jahre war Zürich ihr Zuhause. «Ich vermisse die Urbanität», sagt Regula Marthaler, die Vorzüge des Landlebens lernte sie aber auch kennen. Dass es sie nach Muri verschlug, sei eigentlich Zufall gewesen. «Das Objekt gefiel uns, und es ist nahe bei Zürich und nahe bei meiner Heimat, dem Säuliamt.» Ein Haus mit angebautem Stall sind sie immer noch daran umzubauen. «Es gefällt uns schon hier», sagt die 45-Jährige und lacht. Ein Teil ihres Herzens werde aber immer der Stadt Zürich gehören.

Sich einer fiktiven Person annähern

Immer zu Hause ist Regula Marthaler nach wie vor nicht. «Aber es ist regelmässiger.» Seit sie als Kostümbildnerin tätig ist, kann sie sich die Arbeitszeit besser einteilen. Das Drehbuch lesen, Bilder zeichnen, wie sie sich die einzelnen Charaktere vorstellt, recherchieren – vieles geht auch von zu Hause. «Aber gerade für Recherchen bin ich oft unterwegs, speziell, wenn es um historische Filme geht.» Und diese sind eins ihrer Lieblings-Genres. Herausfinden, was, in welchem Milieu getragen wurde, sich mit der Geschichte auseinandersetzen – das gefällt ihr. «So nähere ich mich Schritt für Schritt einer fiktiven Person an, indem ich sie ankleide.» Richtig oder falsch – das gibt es eigentlich nicht. «Ich bin immer wieder erstaunt, mit wie wenig man welche Wirkung erzielen kann.» In eine andere Welt abtauchen, das ist es, was ihr am Film gefällt.

Wie in der Filmbranche fast alle, ist Regula Marthaler freischaffend. «Wir sind es gewohnt, mit keinem regelmässigen Einkommen zu planen», sagt die Murianerin. Gerade jetzt, wo die Aufträge pandemiebedingt ausbleiben, helfe ihr das. Filme werden wenige produziert. «Die Kinos sind geschlossen, es gibt keine Premieren.» Das trifft viele in der Branche hart. Marthaler hält sich mit Aufträgen in der Werbebranche über Wasser. «Mein Brotjob», sagt sie.

Verleihung gar nicht verfolgt

Aber die Filmbranche ist ihr Zuhause. Dass von Streaming-Diensten auch in der Schweiz investiert wird, dass die Arbeitsbedingungen fair sind, die Unterstützung durch das Bundesamt für Kultur gewährleistet ist, dass die Fernsehverträge gut sind, dafür setzt sie sich als Vorstandsmitglied des SSFV ein, des Schweizer Syndikats Film und Video. «Diese Branche liegt mir am Herzen.» In der kleinen Film-Schweiz kennt man sich schnell, alles ist sehr persönlich.

Besonders schätzt Marthaler denn auch die Rückmeldung von Fachleuten. Die Auszeichnung mit dem Zürcher Filmpreis im letzten Jahr für ihre Arbeit im Film «Moskau einfach» von Regisseur Micha Lewinsky war für sie ein grosses Highlight. Mit fieberbedingt erhöhter Temperatur sass sie vor dem Nachtessen, als eine Nachricht nach der anderen auf ihrem Handy aufleuchtete. Dass die Vergabe des Filmpreises via Livestream stattfand, hatte Marthaler vergessen. Umso grösser waren die Überraschung und die Freude. «Natürlich, es freut mich für mich, aber es freut mich auch, dass unser Berufsstand ausgezeichnet wird.»

Und was erhofft sich Regula Marthaler für die Zukunft? «Dass schöne Projekte auf mich warten, egal wo», sagt die Wahl-Murianerin. Ein Schweizer Western, der oberhalb der Baumgrenze gedreht wird, würde sie ganz besonders reizen. Sie lacht. In neue Welten eintauchen – das fasziniert sie immer aufs Neue. Sei es in einem riesigen Fundus, im Atelier in Muri oder am Set, irgendwo.


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