AUSTAUSCHJAHR
26.10.2021 Region BremgartenMarc Wehrli, Dänemark.
Vorlesungen und die Universität
Um acht Uhr morgens begann meine erste Vorlesung an der Universität in Kopenhagen. Der Kurs behandelt Demokratietheorien sowie politische Innovationen, die eine Demokratie verändern können. Da mich das Thema interessiert, habe ich mich sehr auf die Vorlesung gefreut. Leider konnte ich meinen Unterrichtssaal nicht gleich auf Anhieb finden, weshalb ich ziemlich knapp vor Unterrichtsstart noch in den Raum stürmte. Im Zimmer angekommen, hörte ich nur Dänisch sprechende Studierende. Zuerst war ich ein wenig verwirrt, ob ich mich im richtigen Raum befinde, da der Kurs in englischer Sprache unterrichtet wird. Doch relativ schnell stellte ich fest, dass ich im richtigen Kurs bin. Die Mehrheit der Studierenden dieses Kurses sind Däninnen und Dänen. Glücklicherweise sprechen alle hervorragendes Englisch und waren mir gegenüber sehr zuvorkommend.
Etwas speziell für mich ist, dass der Professor geduzt wird und mit persönlichem Vornamen angesprochen wird. Meine Mitstudierenden haben mir erklärt, dass es keine Seltenheit sei, mit den Professoren und Professorinnen ein Bier zu trinken. Mit einem Dozenten seien sie angeblich sogar mal in einen Club feiern gegangen. Dies ist dann aber doch eher eine Ausnahme. Das Verhältnis zwischen Studierenden und Dozierenden ist also lockerer als an meiner Uni in St. Gallen und die Hierarchien flacher.
Ebenfalls aussergewöhnlich sind die «Friday Bars» der Universität. Alle Fakultäten besitzen jeweils einen Gemeinschaftsraum mit einer Theke, die Kaffee, Tee und Softgetränke anbietet. Man kann sich das wie ein Wohnzimmer mit Tischen und Sofas vorstellen, wo Studierende zusammenkommen, um eine Gruppenarbeit zu planen oder gemeinsam einen Kaffee zu trinken. Am Freitagabend ist dies jedoch anders. Jeden Freitag verwandeln sich die Gemeinschaftsräume der unterschiedlichen Fakultäten in verschiedene Bars, die unter Studierenden «Friday Bars» genannt werden. Die Bars bieten Bier und Cocktails zu sehr günstigen Preisen an. Dies kann sich durchaus lohnen, da die Preise für alkoholische Getränke in Kopenhagen ziemlich hoch sind.
Die Bars unterscheiden sich klar voneinander, jede ist ein bisschen anders. Beispielsweise ist die Bar der Jus-Fakultät bekannt für ihren eleganten Dresscode, die der Fakultät für Geschichte für ihre günstigen Getränke und die Bar der politikwissenschaftlichen Fakultät für ihre gute Musik. Jeder ist selbstverständlich davon überzeugt, dass seine eigene Fakultät die beste «Friday Bar» besitzt. Manche Bars verwandeln sich sogar in kleine Tanzflächen, gewissermassen entsteht ein Mini-Club an der Uni. Die Campus der Uni sind selten so gefüllt wie an Freitagabenden. Für mich ist es unfassbar, dass die Infrastruktur und die Einrichtungen der Universität für den Ausgang und Partys verwendet werden dürfen, und dies jeden Freitagabend. Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht sicher, ob meine Uni in der Schweiz dies zulassen würde.
Der 23-jährige Marc Wehrli aus Zufikon studiert Internationale Beziehungen an der Universität St. Gallen (HSG) und verbringt ein Austauschsemester an der Universität Kopenhagen. Regelmässig berichtet er von seinen Erfahrungen und Erlebnissen.