«Chronologie ist unglücklich»
18.11.2025 Sport, RingenDer Fall Ayshkanov sorgt für Kopfschütteln – Verbandspräsidentin Nadine Pietschmann nimmt in der Halle in Muri Stellung
Fast ein halbes Jahr geschieht nichts. Und ausgerechnet vor dem Halbfinal wird Magomed Ayshkanov von der RS Freiamt gesperrt. Das ...
Der Fall Ayshkanov sorgt für Kopfschütteln – Verbandspräsidentin Nadine Pietschmann nimmt in der Halle in Muri Stellung
Fast ein halbes Jahr geschieht nichts. Und ausgerechnet vor dem Halbfinal wird Magomed Ayshkanov von der RS Freiamt gesperrt. Das sorgt für Gesprächsstoff, wird gar als «Skandal» betitelt.
Sie hat sich gewagt, in die «Höhle des Löwen», in die Murianer Bachmattenhalle. Nadine Pietschmann, die berühmteste Schweizer Ringerin, einstiges Mitglied der RS Freiamt und heutige Verbandspräsidentin. Nach dem Entscheid im Fall um Magomed Ayshkanov musste sie sich an diesem Abend sicherlich einiges anhören? «Ich wurde wenig darauf angesprochen, und zum Glück steht die Leidenschaft für den Ringsport bei den Gesprächen, die ich habe, noch immer im Vordergrund», sagt die 40-Jährige.
Über dem Halbfinal schwebt trotzdem die Sperre von Ayshkanov, den die Freiämter so sehr gebraucht hätten, um den Willisauern in den oberen Gewichtsklassen noch mehr entgegenzusetzen. Doch der Freiamt-Tschetschene musste zusehen. Zur Erklärung: Am 28. Juni verpasst Ayshkanov beim «grossen Preis von Baden-Württemberg» (DE) seinem Gegner einen Kopfstoss. Die Deutschen bestrafen ihn mit einer Disqualifikation, einer Geldbusse und er darf 2026 nicht an jenem Turnier teilnehmen. Vor Ort sind auch Vertreter der Swiss Wrestling Federation (SWFE). Doch es gibt zunächst keine Sanktionen, Ayshkanov bestritt danach mehrere NLA-Kämpfe für die Freiämter. Bis vor wenigen Wochen. Kurz vor der heissen Finalphase in der Premium League wird Ayshkanov gesperrt. Das sorgt für Unmut auf Freiämter Seiten und selbst der neutrale Ringerfan fragt sich angesichts des langen Zeitraums, ob dies das richtige Vorgehen ist. Zudem informierte der Verband nicht öffentlich über jene Sperre und kommuniziert auch nur das Nötigste. Pietschmann verteidigt den Entscheid im Interview.
Kopfnuss im Juni. Sperre im November. Das ausgerechnet vor der heissen Phase der Meisterschaft. Diese Vorgehensweise und der Zeitpunkt sind sehr fragwürdig. Was sagen Sie?
Nadine Pietschmann: Die vorgeschriebenen Prozesse zur Verfolgung und Ahndung von Ethikverstössen nehmen keine Rücksicht auf den Wettkampfplan. Mir ist bewusst, dass die Aufarbeitung des Falls und die Konsequenzen zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt kommen. Wir haben nach Bekanntwerden des Vorfalls umgehend reagiert, und unser Ethikverantwortlicher hat mit der Rückendeckung des Zentralvorstands entsprechende Massnahmen ergriffen. Die Frage, warum wir erst so spät Kenntnis von dem Vorfall erlangt haben, ist berechtigt.
An jenem 28. Juni waren doch Vertreter Ihres Verbands vor Ort am Turnier in Deutschland?
Richtig. Doch es hat niemand etwas mitgeteilt. Das ist ein grober Fehler. Das arbeiten wir im Moment verbandsintern auf. Es ist gut möglich, dass daraus weitere Konsequenzen erfolgen. Leider sagte auch niemand sonst etwas. Und auch die Freiämter haben geschwiegen und nichts gesagt.
Es ist doch nicht das Versäumnis der Freiämter, solch einen Vorfall beim Verband zu melden.
Das sehe ich anders. Wir unterstehen alle, überall auf der Welt – nicht nur in der Schweiz – unseren Ethik-Regeln. Das gilt für Athleten wie auch für Funktionäre und Trainer. Auf jeden Fall hatten wir monatelang keine Kenntnis, was sich Ayshkanov dort auf und neben der Matte geleistet hat.
Was hat Ayshkanov denn getan?
Ich gehe nicht auf Details ein, da wir die Persönlichkeitsrechte achten. Allerdings gab es nebst der Kopfnuss weitere Ethik-Verstösse von Ayshkanov. Auch das ist in die Sanktion gegen ihn eingeflossen. Der Recht- und Ethikchef unseres Verbandes hat daraufhin eine Sanktion ausgesprochen. Die Freiämter legten Rekurs ein. Und die Rekurskommission – in der auch Anwälte dabei sind – bestätigte den Entscheid weitestgehend. Die RS Freiamt hat weiterhin die Möglichkeit, Rechtsmittel gegen die Sperre einzulegen.
Vergehen im Juni. Sperre im November. Man hätte seine eigenen Fehler doch auch eingestehen und es nach solch einer langen Zeit gut sein lassen können.
Der Verband selbst hat keinen Fehler gemacht, den es einzugestehen gäbe. Wir müssen und werden sicherstellen, dass solche Informationen künftig besser fliessen. Da müssen wir bei unseren eigenen Mitarbeitern anfangen. «Es gut sein lassen» ist keine Option – das wäre die Bankrotterklärung für sämtliche Ethik-Regeln.
Nun kommt es aber einer Bankrotterklärung für den Ringerverband gleich.
Finden Sie? Warum?
Weil es ein ungewöhnlich langer Zeitraum ist vom Vergehen bis zur Sanktion. Weil der Verband es monatelang verschlafen hat. Weil dieser Entscheid kurz vor dem Halbfinal fällt. Und weil die Sperre sogar die ganze Meisterschaft entscheiden kann.
Ungewöhnlich ist der lange Zeitraum zwischen dem Vergehen und der Information an unseren Ethik-Verantwortlichen. Das stimmt. Dass sich die Chronologie nun auf den Halbfinal auswirkt, ist unglücklich, aber es gibt keinen Zusammenhang. Man muss sich an die Regeln halten; wir haben das Verfahren umgehend nach Bekanntwerden in die Wege geleitet und mit dem Rekurs der RS Freiamt bis zum heutigen Tage ordentlich durchgeführt. Ich will nur das Beste für den Ringsport. Und der Entscheid, zu unseren Werten zu stehen, ist mir nicht unangenehm, deshalb bin ich auch heute hier in der Bachmattenhalle. Ich habe in diesem Halbfinal zwischen Freiamt und Willisau viele spannende Kämpfe gesehen, beste Stimmung, und es ist noch völlig offen, wer es in den Final schafft. --spr

