Dagoberts vierter Streich

  29.01.2021 Region Oberfreiamt

Neues Album des Waltenschwiler Sängers

Liebeslieder. Für diese ist Lukas Jäger, der sich als Dagobert einen Namen in der Schweizer und der deutschen Musikszene gemacht hat, bekannt. Drei Alben füllte er mit Songs voller Sehnsucht nach der grossen Liebe. Auch jetzt sagt er: «Schöne Liebeslieder zu schreiben ist meine beste Kategorie.» Aber mittlerweile ist Dagobert thematisch breiter geworden. Auf seinem heute erscheinenden Album «Jäger» geht es beispielsweise auch um Fernweh. Dabei ist Dagobert wieder näher an seiner Heimat Waltenschwil. Er verbringt viel Zeit im Berner Oberland. --ake


Von früh bis spät auf der Jagd

Der Waltenschwiler Sänger Lukas Jäger alias Dagobert veröffentlicht heute sein viertes Album

Es geht nicht mehr nur um Liebe. Das ist neu in Dagoberts Album «Jäger». Er gibt darin mehr von sich preis, auch wenn er sagt, er habe nie versucht, sich zu verstecken. In Waltenschwil aufgewachsen, danach viele Jahre in Berlin lebend, verbringt der Sänger seit eineinhalb Jahren viel Zeit in Zweisimmen.

Annemarie Keusch

Direkt an der Skipiste, umgeben von Schnee, in einem kleinen Chalet. Hier lebt Dagobert – gratis. Er spricht von einer Stiftung, der das Haus gehört. «Den Präsidenten der Stiftung habe ich aber nie kennengelernt», sagt er. Dagobert störts nicht, für ihn stimmst. «Paradiesisch», sagt er. Nichts lenke ab, ausser wenn mit Freunden die Idee entsteht, am Pistenrand ein paar Stunden Bier zu verkaufen und am Ende doch zu verschenken.

Musik ertönt im kleinen Chalet wohl immer, auch an diesem Morgen. Die William-Shatner-Version von «Bohemian Rhapsody» von Queen läuft – laut. «Trinken wir Wein?» Es ist eine der ersten Fragen, die Dagobert, der mit bürgerlichem Namen Lukas Jäger heisst, stellt. Ein Glas Glühwein liegt drin. Er trinkt mehr, auch sein Freund Paul, der gerade zu Besuch ist. «Wenn ich Besuch habe, trinken wir schon sehr viel Alkohol.» Ist er allein, trinkt er gar nicht. Und am liebsten ist Dagobert allein. «Alleinsein, das ist der beste Zustand», sagt er. Aber er weiss auch, um Musik zu schreiben, braucht er Eindrücke. «Und diese müssen unweigerlich von anderen Menschen kommen.» Warum sie dann regelmässig trinken? «Wenn Besuch kommt, wird auch gerne Alkohol getrunken, obwohl Alkohol eigentlich der Tod der Kreativität ist, aber mit manchen Menschen erlebt man dadurch verrückte Dinge, die wiederum inspirierend sein können.» Er spricht von besonders kreativen Ideen. «Ich mache das alles im Sinne der Kunst, auch mich zu betrinken.» Dagobert lächelt nicht, als er das sagt. Er meints ernst.

Mehr Natur, mehr Zeit für die Musik

Seit zweieinhalb Jahren spielt sich Dagoberts Leben meistens in Zweisimmen ab, auch wenn sein offizieller Wohnsitz noch immer Berlin ist. Im kleinen, einigermassen spartanisch und ein wenig chaotisch eingerichteten Chalet fühlt er sich wohl. Zu Fuss ist es eine halbe Stunde bis ins Dorf. Hügel runter, einkaufen, samt vollen Taschen Hügel rauf. «Wunderbar», sagt der Musiker. Über Paul, seinen Freund, der gerade zu Besuch ist, kam er auf dieses Chalet. Paul wohnte vor ihm da. Und Dagobert musste aus seiner Berliner Wohnung. «Ich wollte wieder in die Berge.» Berlin habe er satt gehabt. «Mein Leben dort wiederholte sich.» Mehr Natur, mehr Zeit für die Musik und näher bei seiner Familie zu sein – das suchte er und fand es in Zweisimmen, am Fusse des Rinderbergs.

«Ich könnte es hier noch sehr lange aushalten», sagt Dagobert. Im Chalet schreibt er seine Lieder. «Dann laufe ich wie ein Irrer hin und her, klimpere Akkorde auf dem Keyboard und plötzlich passts, die Melodie entsteht und später der Text.» Im Chalet hat er mit Freunden sein heute erscheinendes Album aufgenommen. «Genug Instrumente, gute Mikrofone und ein Rechner – mehr braucht es dafür heutzutags nicht.»

Näher bei der Familie

Ihm sei eigentlich egal, wo er lebt. Strom, fliessend Wasser, eine Heizung und seine Ruhe. Das brauche er. Dass er wieder mehr Zeit in der Schweiz verbringt, hat einen weiteren für ihn immer wichtiger gewordenen Vorteil für ihn. Er ist näher bei seiner Familie. Seine Eltern leben noch immer in Waltenschwil, wo er aufwuchs. «Viele Jahre lang habe ich mich einigermassen abgekapselt von der Familie, ohne dass mir das übel genommen wurde.» Seine Eltern und seine Geschwister zu treffen, sei immer schön. «Meine Eltern werden älter und mein Bedürfnis grösser, Zeit mit ihnen zu verbringen.»

Zudem sehe er den Einfluss der Familie auf sein Leben immer deutlicher. «Ich hatte ganz grosses Glück, dass meine Eltern nicht Erwartungen hatten, die ich erfüllen musste.» Wenn sein Vater sagte, er müsse es selber wissen, wenn er ihn als Junger etwas fragte, dann sagte er es nicht, weil es ihm egal war. «Er fand wirklich, dass ich es selber wissen müsse, selber entscheiden könne.» Für diese Freiheiten sei er seinen Eltern sehr dankbar. «Sie akzeptieren mich auf eine äusserst positive Art, auch wenn sie nicht wirklich verstehen, was ich mache.»

Grössere Vielfalt der Themen

«Jäger» heisst Dagoberts viertes Album. Analog zu seinem Nachnamen, passend dazu, dass er wie Jäger gerne viel Zeit in der Natur verbringt, und passend zu seinem Jäger-ähnlichen Naturell. «Mein Ziel sind nur nicht Tiere, sondern schöne Songs», sagt er. Im gleichnamigen Titellied singt Dagobert über seine Familie, gibt das Mysterium um seine Person auf. In allen vorherigen Alben gab er wenig von sich preis, ausser die immerwährende Sehnsucht nach Liebe. «Ich habe nicht versucht, ein Mysterium um meine Person aufzubauen», sagt Dagobert. Auch dass das neue Album thematisch offener ist, sei kein bewusster Entscheid gewesen. «Ich war lockerer beim Songsschreiben, bereit dazu, auch andere Themen als die Liebe abzuarbeiten. Warum? Vielleicht, weil ich älter geworden bin.»

Dagobert bringt neue Gefühle in seine Songs. Neben Liebe hat es in «Jäger» auch Platz für Fernweh, Zukunftsvisionen. «Es ist mir ein Anliegen, dass ich nur Gefühle in Songs verarbeite, die ich auch wirklich erlebt habe, und diese in der Musik beschreibe.» «Ich will nochmal» ist das Herzstück des neuen Albums. Es ist seine Version der ewigen Wiederkunft Nietzsches und keine Ode ans Jungsein. «Jung sein konnte ich sowieso nicht gut.» Er sei eher ein Aussenseiter gewesen, das Partyleben habe er komplett ausgelassen. «Natürlich, ich holte es später nach und tue es immer noch», sagt der 38-Jährige. Älter sein sei ihm lieber, alles sei klarer, einfacher, er kenne sich selber besser.

Schweizer Konzerte verschoben

Aber natürlich, auch auf «Jäger» nimmt die Liebe einen grossen Platz ein. Erstmals seit zwölf Jahren sei er wieder von einer Muse inspiriert. «So ist Songsschreiben einfach. Ich brauche nur an sie zu denken.» Eine Frau, die er zwar kennt, aber nicht richtig gut und die nicht seine Freundin sei, sei als Muse am geeignetsten. Dagobert lacht. «Sie weiss, dass sie meine Muse ist.» Dass sie seine Freundin wird, wollen beide nicht. «Ich habe es in den letzten Jahren mit der einen oder anderen Beziehung versucht. Aber irgendwie ist allein sein besser für mich.»

Allein sein, Musik machen, Songs schreiben. Für Dagobert ist das der paradiesische Zustand. Und diesen erlebt er im Chalet in Zweisimmen oft. Es störe ihn nicht besonders, dass die Schweizer Konzerte im Frühling alle auf den Herbst verschoben werden mussten. «Klar, das ist schade. Aber die Pandemie verändert mein Leben nicht.» Mit Konzerten viel verdient habe er nie. Auch die CD-Verkäufe werfen nicht so viel Geld ab. Davon leben kann Dagobert trotzdem, weil er gratis wohnt, wenig Geld für Essen braucht. Nach wie vor ist Reis sein Lieblingsnahrungsmittel. Ab und zu mischt er Gemüse darunter, wenn Gäste kommen mehr, wenn er alleine ist, weniger.

Dagobert-Amulett um den Hals

Dagobert ist anders. Er zelebriert das auch. Sein Jackett ist beim Ellbogen zerrissen, um seinen Hals hängt ein Dagobert-Amulett, seinen Glühwein trinkt er aus einer Tasse mit seinem Antlitz drauf. Mitten in den Bergen hat er sein Zuhause auf Zeit gefunden. Ob er sich eine Rückkehr ins Freiamt vorstellen kann? Dagobert zögert. «Wenn ein Haus freisteht, in dem ich gratis leben kann und meine Ruhe habe, warum nicht?»

«Jäger», das vierte Album von Dagobert ist auf Spotify und anderen Streaming-Diensten und später auch als Schallplatte erhältlich.


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