Der Covid-Manager
31.12.2021 Region BremgartenCorona und die Schule: Interview zum Jahresabschluss mit Stufenleiter Guido Arnet
Nicht nur die Institutionen im Gesundheitsbereich sind durch die Pandemie stark betroffen. Auch die Schulen haben ein schwieriges Jahr hinter sich. «Corona war ständig Thema», sagt denn auch Guido Arnet.
Chregi Hansen
Die Kinder wurden schon eine Woche früher in die Weihnachtsferien geschickt, die Lehrpersonen nutzen die Zeit, um etliches aufzuarbeiten. «Aus pädagogischer Sicht bin ich nicht glücklich über die Schliessung. Aber aus epidemiologischer Sicht war der Entscheid richtig. Der Druck und die Unsicherheit wurden in den letzten Tagen und Wochen immer grösser», sagt Guido Arnet.
Der Waltenschwiler leitet die Mittelstufe in Villmergen und ist auch Mitglied des örtlichen Schulleitungsteams. Zudem unterrichtet er mit einem Teilpensum eine 5. Klasse. Im letzten Jahr fühlte er sich aber zwischendurch zu 100 Prozent als Covid-Manager. «Wegen der Ausfälle muss extrem viel organisiert werden, im Normalfall beginnt die Schulwoche für mich am frühen Sonntagabend, dann treffen jeweils die ersten Absenzmeldungen ein», berichtet er.
Dies hat sich zuletzt noch verstärkt. Nicht nur wegen Corona, sondern weil auch ein normales Erkältungsvirus kursierte. Betroffene mussten deswegen zu Hause bleiben und sich erst testen lassen, was dafür sorgte, dass die Zahl der Abwesenden noch grösser war. «Teilweise war in einzelnen Klassen nur noch die Hälfte der Schüler vor Ort. Für Kinder, die Mühe haben im sozialen Umgang oder die von ihrem Wesen her stressanfälliger sind, wurde der Druck immer grösser. Oder anders gesagt: Kinder, die es eh schon schwer haben, hatten es noch schwerer», so die Erfahrung von Guido Arnet.
«Klarere Vorgaben gewünscht»
Die Schulen mussten sich im vergangenen Jahr immer wieder auf neue Massnahmen einstellen. Nicht immer und nicht überall verlief das reibungslos. «Die Massnahmen kommen eben mit Verzögerung bei uns an. Der Bund entscheidet, der Kanton setzt um, irgendwann erhalten wir dann konkrete Hinweise, wie wir uns verhalten müssen. In dieser Hinsicht hätten wir uns manchmal ein etwas proaktiveres Vorgehen und klarere Vorgaben gewünscht», erklärt der erfahrene Pädagoge. Dies versteht er aber explizit nicht als einen Vorwurf an die Verantwortlichen, «denn von dieser Situation sind alle überrascht worden. Über das Ganze gesehen macht der Kanton Aargau eine gute Arbeit.»
Im Interview spricht Arnet darüber, wie Unterricht in Coronazeiten funktioniert, wie die Situation den Alltag verändert und was mögliche Auswirkungen sind. Und was er sich von der Politik fürs neue Jahr wünscht.
«Wir sind mental stark gefordert»
Interview mit Guido Arnet, Stufenleiter und Lehrer im Schulhaus Mühlematten in Villmergen
Unter der Pandemie und den damit verbundenen Massnahmen leiden Schulen besonders. Nach einer temporären Schliessung ganz am Anfang läuft der Betrieb wieder auf Hochtouren. «Vor allem zu Beginn gab es ganz viele Fragen», sagt Guido Arnet.
Chregi Hansen
Die Pandemie beschäftigt uns fast schon zwei Jahre. Wie sehr hat sich die Schule verändert dadurch?
Guido Arnet: Wenn wir mit etwas Positivem anfangen wollen: Es gab einen riesigen Schub in Sachen Digitalisierung. Mit dem Lehrplan 21 erhält die Informatik mehr Gewicht, in dieser Situation kam dies gleich zum Tragen. Wir waren in Villmergen vorher schon gut aufgestellt, weil wir unmittelbar davor die digitale Kommunikation mit den Eltern vereinheitlicht haben, und wir waren nach der ersten Schulschliessung daher schnell bereit für den Fernunterricht.
Und die Arbeit selbst?
Als Lehrer fühle ich mich nicht so stark betroffen, das Unterrichten läuft mehr oder weniger weiter wie bisher. Als Schulleiter bin ich aber extrem gefordert.
Im Klassenzimmer selber ist Corona also kein Thema.
Doch, für die Kinder ist es sogar ein sehr grosses Thema. Es werden viele Fragen gestellt. Entscheidend ist für mich dabei, wie wir als Erwachsene mit diesen Fragen umgehen. Nehmen wir das Thema Masken. Es gibt Eltern, die haben Mühe damit, das überträgt sich schnell auf die Kinder. Wenn wir als Erwachsene aber vermitteln, dass wir uns zwar in einer schwierigen Situation befinden, die Maske uns aber hilft, daraus herauszukommen, dann können wir damit viel bewirken. Die Kinder wissen: Ich kann meinen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten. Das Maskentragen wird also mit einem Gefühl der Zuversicht verbunden und wird nicht als einschränkende, beängstigende Massnahme erlebt. Die Lehrpersonen haben eine sehr grosse Vorbildwirkung. Denn Kinder achten ganz genau darauf, wie wir Erwachsene reagieren. Wenn wir unsicher sind, sind sie es auch und umgekehrt.
Wie gehen die Kinder mit der Maskenpflicht um?
Mehrheitlich sehr gut. Je älter sie sind, desto mehr versuchen sie natürlich, die Massnahme auch mal zu umgehen. Aber die meisten halten sich daran. Etwas Sorge bereitet es mir, wie das nach den Ferien bei den ganz Kleinen wird. Da frage ich mich schon, ob sich das durchsetzen lässt. Ab der 5. Klasse ist das kein Problem.
Wie sehr beeinträchtigen die Masken den Unterricht?
Sehr. Alles, was mit Emotionalität zu tun hat, lässt sich im Gesichtsausdruck nicht mehr ablesen. Ich sehe den Kindern weniger an, wie es ihnen geht. Und im mündlichen Unterricht behindert die Maske klar. Da braucht es dann kreative Lösungen – da kann ein Kind dann den Vortrag auch mal mit grossem Abstand und ohne Maske halten. Aber wie gesagt: auch wenn die Maske eine Einschränkung ist, der Nutzen ist sicher grösser.
Wird die Maskenpflicht im Lehrerkollegium diskutiert?
Die Massnahmen als solche werden nicht infrage gestellt. Die Lehrer und Lehrerinnen machen gut mit. Aber natürlich gab es vor allem zu Beginn viele Fragen, wie man sich im Detail verhalten soll. Etwa: Muss man beispielsweise nach dem Turnunterricht jedes Gerät desinfizieren? Darf man noch gemeinsam singen? Dürfen Geburtstagskinder noch einen Znüni für alle mitbringen? Wir haben viel über solche Fragen diskutiert.
Kinder galten lange nicht als betroffen. Wie überraschend kam die neue Entwicklung?
Ich habe immer damit gerechnet. Viren sind variantenreich. Und mir war immer klar: Wenn es die Kinder erwischt, dann geht es schnell – da kann man noch so vorsichtig sein. Das wissen wir aus den Erfahrungen mit den Läusen (lacht).
War die Schule Villmergen eher vorsichtig oder gelassen unterwegs?
Schon eher vorsichtig. Gerade auch mit dem Aufkommen der Delta-Variante. Da hat es die Kinder zum Teil scharenweise erwischt – ohne dass man irgendwelche Symptome bemerkt hat. Darum haben wir schnell reagiert. Aber nicht alle Massnahmen stiessen auf Begeisterung. Am wichtigsten ist aber, dass die Lehrpersonen noch näher bei den Kindern sind und spüren, was abgeht. Darum haben wir beispielsweise vor den Weihnachtsferien die Präsenz in den Pausen verstärkt. Solche und ähnliche Massnahmen haben Folgen für die Lehrpersonen: Sie sind in dieser Hinsicht extrem gefordert.
Während viele Betriebe auf Homeoffice umstellten und andere geschlossen wurden, standen die Lehrpersonen mit 20 Kindern weiter im Klassenzimmer. Führte das nie zu negativen Gefühlen oder zu Angst?
Nein, das habe ich nie erlebt. Ich habe immer klargemacht, welch wichtige Funktion wir haben. Und dass wir uns gleichzeitig bewusst sein müssen, dass wir uns einem Risiko aussetzen. Natürlich gab es vereinzelt Ängste und eine gewisse Unsicherheit, gerade in der Anfangszeit. Und es gab und gibt auch unterschiedliche Auffassungen zu dem Thema. Schliesslich sind wir alle erwachsene Menschen mit eigenen Ansichten. Aber unsere private Meinung hat im Schulzimmer nichts zu suchen. Wir als Schulleiter haben versucht, mit klaren Informationen gegen mögliche Unsicherheiten anzusteuern. Vor allem haben wir immer die Arbeit ins Zentrum gerückt. Und die ist in diesen Zeiten noch wichtiger geworden.
Gab es Lehrpersonen, die wegen der aktuellen Situation den Beruf aufgegeben haben?
Hier bei uns habe ich das nicht erlebt.
Und wie schwierig ist es, die offenen Stellen zu besetzen?
Extrem schwierig. Viele ältere Lehrer und Lehrerinnen erreichen das Pensionsalter, es kommen aber nicht genügend Junge nach. Das merke ich vor allem auch dann, wenn es um kurzfristige Einsätze und Stellvertretungen geht, da muss ich vermehrt auf interne Lösungen zurückgreifen, etwa auf Klassenassistentinnen. Diese leisten unschätzbare Arbeit. Dass aber nicht ausgebildetes Personal vor einer Klasse steht, das gibt es zum Glück nur höchst selten und nur ganz kurz.
Wie reagieren die Eltern auf die vielen Massnahmen?
Viele sind verunsichert, zum Teil auch hässig, etliche sind derzeit etwas dünnhäutig und unter Druck und wollen sofort eine Antwort auf ihre Anliegen. Ich führe darum ganz viele Elterngespräche, dieser Bereich nimmt mittlerweile einen Grossteil meiner Arbeit ein. Oft sind sie auch einfach ratlos: Mein Kind hat ein Kratzen im Hals, darf es zur Schule? Die Freundin meiner Tochter muss in Quarantäne, muss mein Kind jetzt auch? Dann ist meist mein Rat gefragt. Ich weiss es ja auch nicht immer sicher, aber zum Glück entwickelt man mit der Zeit eine gewisse Erfahrung, von der man profitieren kann. Das hilft, um die verschiedenen Situationen einzuschätzen.
Immer wieder hört man von Eltern, die querschlagen und Massnahmen boykottieren. Wie geht die Schule mit ihnen um?
Zuerst suchen wir das Gespräch. Denn oft erhalten wir von ihnen einfach ein vorgedrucktes Schreiben, das sie im Internet heruntergeladen haben. Da fehlt es häufig am nötigen Wissen, warum gewisse Dinge so sind, wie sie sind. In vielen Fällen findet man im Gespräch eine Lösung. Aber ja, es gibt auch Fälle, in denen ein Dialog nichts bringt. Wenn keine Einigung möglich ist, kann es sein, dass die Kinder zu Hause unterrichtet werden. Das können wir aber nicht selber entscheiden, eine solche Massnahme muss mit dem Kanton abgesprochen werden. Denn die Schulpflicht ist ein hohes Gut. Aber wir müssen die Relationen sehen – es handelt sich um eine ganz kleine Minderheit von Eltern, die so reagieren. Die sind oft laut, aber der Grossteil bringt gegenüber der Schule viel Vertrauen und Verständnis mit.
Ärgern Sie solche Eltern?
Nein. Denn ich gehe davon aus, dass sie sich aus Sorge um ihre Kinder so verhalten. Und ich muss professionell umgehen mit ihnen. Es wäre falsch, sich ihnen gegenüber autoritär aufzuspielen. Ich kann ihnen lediglich versuchen aufzuzeigen, dass ihre Sorgen unbegründet sind.
Sind Elternabende möglich?
Je nach aktueller Situation. Teilweise mussten wir sie ausfallen lassen, teilweise durfte nur ein Elternteil kommen, manchmal fand der Anlass im Foyer oder in der Aula mit viel Abstand statt. Zum Glück haben wir eine neue Kommunikationsplattform für die Schule, mit der wir die Eltern recht gut informieren können. Sie erhalten regelmässig ein Update von uns über die aktuelle Situation.
Vermutlich sind auch andere Aktivitäten ausserhalb des normalen Unterrichts durch Corona betroffen.
Leider. Gerade mir als Musiker blutet dabei das Herz. Ein Grossteil der kulturellen Veranstaltungen fand nicht statt, der Chor ist eingeschränkt, das Adventssingen gab es nicht. Auch die Sporttage oder die Klassenlager wurden gestrichen. Da fehlt natürlich etwas, der Zusammenhalt leidet, und das wird sicher Folgen haben. In diesem Bereich werden wir in Zukunft gefordert sein. Zudem haben sich die Regeln immer wieder geändert, das war ebenfalls herausfordernd. Unser Ziel war es dabei, möglichst alles durchzuführen, was irgendwie möglich und vertretbar war. Beispielsweise die Schulreisen. Und noch hoffen wir, dass die Skilager stattfinden können. Wir haben so viele Anmeldungen wie wohl noch nie.
Und wie steht es um den Zusammenhalt im Kollegium?
Ich stelle fest, dass der Kontakt untereinander unverbindlicher wird. Das unbeschwerte Zusammensein ist kaum mehr möglich. Es hat weniger Personen im Lehrerzimmer, der Apé- ro am Freitagabend entfällt. Wir versuchen, dem etwas entgegenzusteuern, indem wir weiter in Teams zusammenarbeiten. Aber natürlich, der informelle Austausch leidet.
Haben die vielen Einschränkungen und Absenzen Auswirkungen auf das Lernniveau der heutigen Klassen?
Dass die Leistungen generell schlechter werden, das glaube ich nicht. Zu befürchten ist aber, dass die Schere zwischen den Stärkeren und den Schwächeren noch weiter aufgeht. Diejenigen, die viel Betreuung brauchen, leiden unter der aktuellen Situation am meisten. Es sind oft auch die Gleichen, die lange in Quarantäne sind, zu Hause aber nur bedingt Unterstützung erhalten. Und es geht ja nicht nur um die Lerninhalte, sondern auch um die Vermittlung von Arbeitsmethoden, sozialen Kompetenzen und vieles mehr.
Bei all den Einschränkungen: Macht der Beruf noch Spass?
Ich kann nur von mir reden. Ich arbeite noch in einem 25-Prozent-Pensum als Lehrer und tue das immer noch sehr gern. Es hat auch etwas Schönes und Befriedigendes, Kinder in einer solch schwierigen Phase begleiten zu können. Ich könnte mir vorstellen, dass es für mich im Homeoffice viel schwieriger wäre, den Sinn der eigenen Arbeit zu erkennen. Wir hingegen erleben tagtäglich, dass wir gebraucht werden. Wir können Optimismus ausstrahlen und den Kindern so helfen. Natürlich gibt es Bereiche, die derzeit nicht gut funktionieren. Die Schule weiterzuentwickeln, innovativ zu bleiben und nach vorne zu bringen, neue Projekte zu lancieren, das ist fast unmöglich. Wir müssen im Moment schauen, dass der Betrieb noch läuft und dass diejenigen mitkommen, die gerade wieder fehlen. Aber Spass macht es immer noch.
Und wie lange hält die Schule in dieser Ausnahmesituation noch durch?
Es ist sicher gut, gibt es jetzt in der Weihnachts- und Neujahrszeit einen Unterbruch. Die Lehrpersonen sind gerade mental stark gefordert, darum braucht es zwischendurch unbedingt Pausen. Ich habe darum allen Kollegen gesagt, sie sollen in der schülerfreien Woche vor Weihnachten noch aufarbeiten, was liegen geblieben ist. Dafür sollen sie nachher in den Weihnachtsferien wirklich Pause machen und sich erholen. Das haben sie verdient.
Gibt es einen Wunsch an die Politik?
Ich finde es wichtig, dass sie den Verbänden der Schulleitung und den Verbänden der Lehrpersonen zuhören. So bleibt der Bezug zur Basis bestehen. Die Politik soll uns möglichst klare Signale geben. So können auch wir an der Schule mit einer klaren Haltung und klaren Botschaften agieren. Das gibt Eltern und vor allem unseren Kindern Sicherheit.
Persönlich
Guido Arnet, Jahrgang 1962, ist verheiratet, lebt in Waltenschwil und ist Vater von drei erwachsenen Kindern. Seine Primarschulzeit als «Schlieremer Chind» war für seine Berufswahl prägend, und so liess er sich zum Primarlehrer ausbilden. Anschliessend studierte er Pädagogik und Psychologie. Er arbeitete viele Jahre als Primarlehrer in Stellenteilung mit seiner Frau. Seit 2014 leitet er die Mittelstufe in Villmergen und ist Mitglied des örtlichen Schulleitungsteams. Er unterrichtet gleichzeitig mit einem Teilpensum eine 5. Klasse. In seiner Freizeit widmet er sich mit grosser Leidenschaft der Musik. So ist er unter anderem als Geiger Mitglied der Musikformation «Trio Trello», welche auch schon in Wohlen zu hören war.