Der Pfundskerl

  19.06.2020 Sport

«Unsere Regionalfussball-Helden»: Claudio Lo Nigro vom FC Wohlen wurde oft unterschätzt

Claudio Lo Nigro wurde wegen seines Bäuchleins oft belächelt. Der Kugelblitz war in den 90er-Jahren beim FC Wohlen aber ein absoluter Torgarant. Heute ist er DJ, ausgebildeter Tanzlehrer und denkt an die glorreichen Zeiten zurück.

Stefan Sprenger

«Ich hatte schon immer ein ‹Ränzli›. Das ist bis heute geblieben. Bei einer Grösse von 1,73 Meter bringt Claudio Lo Nigro 85 bis 90 kg auf die Waage. Das war in den 90er-Jahren so, das ist heute so. Der Pfundskerl wurde er genannt. «Ich wusste immer, was ich kann, und habe meinen Kritikern die Antwort auf dem Spielfeld gegeben», sagt der heute 52-Jährige.

Denn er wurde oft belächelt. FC-Wohlen-Trainer Hanjo Weller nannte ihn «den kleinen Dicken». Lo Nigro meint: «Mein Körper schenkte mir zusätzlich Durchsetzungsvermögen.» Die Wasserverdrängung, seine Dribblings und das Tor-Näschen sorgten dafür, dass der Stürmer während zehn Jahren beim FC Wohlen ein Topskorer war.

Noch heute denkt er sehr gerne an die glorreichen Zeiten auf der Paul-Walser-Stiftung zurück. An die vielen Tore und die vielen Partys. «Ich glaube, man hatte mich gerne hier. Ich musste im Ausgang in Wohlen jedenfalls nie bezahlen.» Das Team machte auch neben dem Spielfeld viel miteinander. Fasnacht, Schönau-Bar, Hard-Rock-Bar, Central, Paul-Walser-Stube. «Ein genialer Zusammenhalt.» Lo Nigro war praktisch der Einzige, der nicht in der Region wohnte. «Ich musste mich immer zurückhalten mit Alkohol, damit ich noch heim nach Baden gekommen bin», erzählt er heute lachend.

In der Vorbereitung ging er in die Ferien

Im Ausgang Vollgas. Im Training Sparflamme. «Ich war trainingsfaul. In der Vorbereitung bin ich oft in die Ferien gefahren», sagt er. Trotzdem sei er von grösseren Verletzungen verschont geblieben. Wieso? «Weiss nicht.» Vermutlich war es einfach Glück. «Oder meine Statur.»

Fussballerisch begann er beim FC Baden. Von den E-Junioren bis in die erste Mannschaft. Dort spielte er gar in der Nationalliga B. Nach Engagements beim FC Suhr und FC Othmarsingen wechselte er 1992 zum FC Wohlen. Dort erlebte Lo Nigro schillernde Trainernamen wie Martin Rueda, Hanja Weller, Salvatore Romano, Arne Stiel oder Ryszard Komornicki. «Eine geile Zeit», sagt er heute. «Legendär.»

«Er macht die Dinger halt einfach rein»

Er erinnert sich an die Freiämter Derbys. Gegen Sarmenstorf, Dottikon, Bremgarten, Villmergen, Hägglingen. «Man kannte sich. Auf dem Feld war es ein riesiger Kampf. Wir waren Feinde.» Nach den 90 Minuten setzte man sich hin und trank ein Bier. Oder zwei. «Schöne Zeiten.»

Es gibt mehrere Spiele, die ihm bis heute in bester Erinnerung geblieben sind. Beispielsweise im Juni 1997. Aufstiegsspiel von der 2. in die 1. Liga. Der FC Wohlen verlor zu Hause gegen Witikon mit 0:1. Auswärts im Kanton Zürich kamen dann 800 Zuschauer. Gemäss Telegramm i m «FC-Woh len-Buch» zu m 100-Jahr-Jubiläum waren «rund die Hälfte aus Wohlen». Daran erinnert sich Lo Nigro. «Genial. Das halbe Dorf reiste mit uns mit.» Und der FC Wohlen lieferte eine sackstarke Partie ab. Wittwer, Stiel, Räber, Schmid, Vogt, Polo, Djordic, Munera, Geissmann, Passerini, Scheibel, Jovanovic, Wertli und Lo Nigro spielten. Wohlen siegte 6:1. An diesem 14. Juni 1997 brachen nach dem Aufstieg in die 1. Liga alle Dämme. Lo Nigro erzielte ein Tor. «Ein satter Schuss aus 25 Metern. Der Goalie hat sich nicht mal mehr bewegt», erinnert er sich.

Der trainingsfaule und etwas rundliche Typ, er war im entscheidenden Moment bereit. Trainer Hanjo Weller meinte einmal: «Er macht die Dinger halt einfach rein.» So war er es auch einen Monat vor jenem Aufstiegsspiel im Mai 1997. Im Cupfinal gegen Schöftland erzielte Lo Nigro beim 2:1-Erfolg ebenfalls ein Tor. Er skorte auch beim neuerlichen Erfolg im Aargauer Cup im Jahr 1999. Beim 5:3-Sieg gegen Brugg traf er gleich doppelt. Die Liste der wichtigen Tore vom Pfundskerl könnte man noch endlos weiterführen. Denn er wurde mehrere Male Torschützenkönig.

In die Gegenwart. Lo Nigro hat heute mit Fussball nichts mehr zu tun. Er schaut sich nur noch als Zuschauer Spiele an. Der AC-Mailand-Fan ist oft im «San Siro» zugegen. In Wohlen war er zuletzt 2019 beim Cup-Spiel gegen den FC Luzern.

DJ Claudio ist auch Tanzlehrer

Er arbeitet als Automechaniker – wie damals schon. Er ist ausgebildeter Tanzlehrer. «Aber momentan inaktiv», lächelt er. Lo Nigro kann man zudem als DJ buchen. Er legt seine Musik auf. In Bars, an Firmenanlässen oder Hochzeiten. «Ein Hobby», wie DJ Claudio meint. Familie, Freunde, Formel 1 und Fussball schauen, das sind heute seine Leidenschaften. Selber spielen will er nicht mehr. «Bei den Senioren hat es viele, die überhaupt nicht fit sind. Das ist zu gefährlich», sagt er und muss dabei lachen.

Er wohnte vor rund 20 Jahren eine Zeit lang im Freiamt, in Bettwil. Seine Ex-Frau und die 27-jährige Tochter lebten bis vor einigen Jahren in Villmergen. Er ist heute in Baden zu Hause. Dort, wo er ursprünglich herkommt. «In Wohlen werde ich aber auch immer zu Hause sein. Wenn ich heute durch die Strassen laufe, kenne ich immer noch viele Gesichter.» Und auch heute noch erzählt man sich Geschichten vom leicht übergewichtigen und hochunterschätzten Lo Nigro, der so viele Tore für den Fussballclub schoss.

Doch dort, wo er einst seine Tore bejubelte, steht heute ein «Lidl». Die Paul-Walser-Stiftung gibt es nicht mehr. «Und mit den Niedermatten konnte ich nie viel anfangen.» Dort spielte er nur einmal: Beim Plausch-Eröffnungsspiel. «Es hat sich viel geändert», meint er. Etwas ist gleich: Lo Nigro ist auch heute noch ein hochsympathischer Pfundskerl.


«Meldet euch»

Beim Gespräch mit Claudio Lo Nigro sagt er: «Es wäre cool, die Jungs von damals wieder zusammenzutrommeln. Eine Art Klassenzusammenkunft des FC Wohlen der 90er-Jahre.» Auch die Sportredaktion findet das eine klasse Idee. Deshalb der Aufruf von Lo Nigro: «Meldet euch bei mir. Ich organisiere das.» Alle früheren FCW-Akteure, die dabei sind, ein Mail machen an c.lonigro@hotmail.com. «Mal schauen, was passiert», meint er.


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