Der schnelle Reuss-Brasilianer

  14.10.2022 Sport

Motorsport: Gabriel Lusquiños ist ein Motorsport-Star in Südamerika – und stammt aus dem Freiamt

In der Rennszene in Südamerika ist Gabriel Lusquiños berühmt. Hierzulande kennt ihn kaum jemand. Doch das wird sich ändern. Ende Oktober startet er an der Motorsport-Olympiade in Marseille für seine zweite Heimat, die Schweiz. Der 28-Jährige erzählt, wieso ihm Bremgarten so wichtig ist und warum er vielleicht bald auch in Europa durchstarten könnte.

Stefan Sprenger

Laut, akzentfrei und mit brasilianischer Leichtigkeit startet er das Telefongespräch mit einem saftigen «Grüezi». Gabriel Lusquiños ist gerade in Argentinien an einem Rennen. Was sofort auffällt: Dieser Typ ist lebensfroh, sehr offen – und ehrlich: «Ich bin in San Juan, auf einer Rennstrecke, die mir bislang unbekannt war. Und um ehrlich zu sein läuft es nicht gut.» Sein herzhaftes Lachen zeigt aber, dass er trotzdem happy ist. Denn: Er lebt seinen Traum.

Verwandte im ganzen Freiamt

Eine Frage gilt es gleich zu Beginn zu klären: Was hat ein brasilianischer Rennfahrer mit unserer Region zu tun? «Ganz viel», sagt er. «Mein Grossvater lebte in Bremgarten. Er und dieses wunderschöne Städtchen sind ein grosser Teil meines Lebens und haben mich stark geprägt.» Sein Heimatort im Pass lautet Bremgarten. Und er hat nach wie vor Verwandte im «Städtli», in Zufikon, in Auw und in Wohlen. Er besucht seine Heimat und die Verwandten im Freiamt so oft er kann. Zum ersten Mal in Bremgarten war er einen Monat nach seiner Geburt im Jahr 1994. Zum letzten Mal war er 2021 hier. «Meine Schweizer Wurzeln sind mir wichtig und stets präsent», erzählt er.

Bevor er noch mehr über seine Familiengeschichte erzählt, will er über seine Rennfahrerkarriere sprechen.

Und da spielt Ayrton Senna eine grosse Rolle. Der Formel-1-Star (und dreifache Weltmeister) aus Brasilien stirbt 1994. Im selben Jahr, als Lusquiños geboren wird. Zum 10-jährigen Todestag ist in den Medien in Brasilien alles voll mit Geschichten über diesen faszinierenden Ausnahmekönner. In Rio de Janeiro sitzt ein 10-Jähriger Bursche gespannt vor dem TV und lauscht diesen Geschichten. «In jenem Moment begann meine Leidenschaft für den Motorsport.»

«Nach elf Jahren als Profi vergisst man Dinge»

Lusquiños startet – wie fast alle Rennfahrer – mit Gokart. Und er war gut, sehr gut. Mit 17 Jahren wird er Profirennfahrer – und bleibt das bis heute. Viele Kategorien probierte er aus. Gokart, Formula 1600, Touring Car, Stock Car light. «Ich liebe neue Herausforderungen», sagt er. 2015 wird er brasilianischer Meister in der Formula 1600. Am Telefon zählt er seine Erfolge auf. Er versucht es zumindest. «Nach elf Jahren als Profirennfahrer vergisst man Dinge», meint er lachend. Gemäss Statistik holte er in den letzten elf Jahren in diversen Kategorien 55 Podestplätze und 14 Siege. Seit Anfang dieses Jahres fährt er beim brasilianischen Team «Cobra Racing» und bestreitet die Touring Car Championship in Südamerika. «Ein neues Kapitel», meint er.

Und nun öffnet sich eine ganz neue Tür für ihn. Lusquiños wird Ende Oktober an den FIA Motorsport Games teilnehmen. Das ist quasi die Motorsport-Olympiade, wo die Fahrer dieser Welt für ihr Land gewinnen wollen (siehe Kasten). Er wird dabei nicht für Brasilien starten, sondern für die Schweiz. In den brasilianischen Medien war dies ein grosses Thema, denn auch wenn auf seinem Auto und seinem Overall seit Jahren eine kleine Schweizer Flagge zu sehen ist, wussten nicht viele von seinen Wurzeln in Europa.

Doppelbürger Lusquiños erklärt: «Es ist eine wunderbare Geschichte. Brasilien hatte bereits einen Fahrer für die Touring-Car-Disziplin an den Motorsport Games. Also habe ich Kontakt zum Schweizer Verband aufgenommen. Und die Schweiz hatte niemanden, der in dieser Kategorie startet. Ich wollte. Sie wollten. Eine Win-win-Situation. Der Schweizer Verband unterstützt mich sehr, dafür bin ich enorm dankbar.»

«Wissen Sie wo?»

Mitten im Gespräch wechselt er die Sprache. Weg vom Englisch. Hin zu Deutsch. «Ich kann auch Deutsch reden, wenn Sie möchten. Einfach Schweizerdeutsch kann ich nicht.» Als Kind besuchte er die Schweizerschule in Rio de Janeiro und später in São Paulo. Dort lernte er nicht nur die Sprache, sondern auch viel über die Schweizer Kultur. Das Gesprächsthema wechselt. Weg vom Motorsport. Hin zu seinen Wurzeln. Der Ingenieur, der seinen Abschluss an der Universität in São Paulo machte, stellt die Frage: «In der Bremgarter Altstadt gibt es eine wundervolle Kirche, ganz in der Nähe der Reuss. Wissen Sie wo? Dort hat mein Grossvater geheiratet.» Der Name seines Grossvaters war Norbert Müller (dessen Eltern hiessen Rosa und Albert Müller). Die Familie lebte in Bremgarten. Bis der Grossvater – der für Adidas und die UBS arbeitete – geschäftlich nach Brasilien umzog. Und dort blieb.

Sein Grossvater war für ihn eine wichtige Person in seinem Leben. Als er 13 Jahre alt war, starb Opa. Dass Lusquiños nun – 15 Jahre nach dem Tod seines Grossvaters – für die Schweiz an der Motorsport-Olympiade in Frankreich teilnehmen kann, macht ihn emotional. «Opa hätte sich riesig gefreut. Ich werde auch für ihn fahren.» Und dann wechselt das Gespräch wieder zum Sportlichen. Und da drückt riesiger Ehrgeiz durch: «Es ist mein allererstes Rennen in Europa. Ich will gewinnen. Mein Ziel ist immer der Sieg. Und es ist mir eine grosse Ehre, für die Schweiz zu starten. Ich verspreche, dass ich mein Bestes geben werde.»

«Grösste Rennen der Karriere»
Seinen Auftritt in Europa bezeichnet er als sein «grösstes Rennen in der bisherigen Karriere». Und es ist auch eine riesige Chance für ihn – falls er denn auch seine beste Leistung zeigt. «Dieses Rennen kann Türen öffnen. Ich hoffe es.» Denn der Schweiz-Brasilianer ist «scharf auf mehr», wie er lachend meint. «Man muss eben gross denken, um Dinge zu bewegen.» Und wenn er gross denkt und sich vorstellt, dass er an diesem Motorsport-Weltereignis tatsächlich in der Touring-Car-Kategorie am Ende als Erster durch die Ziellinie fährt, sagt er: «Wenn ich gewinne, werde ich den Sieg hoffentlich in Bremgarten feiern. Das wäre ein Ding.»


FIA Motorsport Games

Die FIA Motorsport Games fanden 2019 erstmals in Rom statt. Danach konnten sie aufgrund der Coronapandemie nich durchgeführt werden. Vom 26. bis 30. Oktober finden die «Olympischen Spiele des Motorsports» in Marseille auf dem Circuit Paul-Ricard statt. Die Mitgliedsvereine des Weltmotorsportverbandes (FIA) konnten in total 17 Disziplinen ihre Fahrer anmelden, die unter der Flagge des jeweiligen Landes auf Medaillenjagd gehen.
Der Schweiz-Brasilianische Doppelbürger Gabriel Lusquiños wird für die Schweiz in der Touring-Car-Kategorie starten. --spr

 


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote