Die «Elfe» sagt Lebewohl
23.04.2025 SportRücktritt vom Spitzensport
Lia-Mara Bösch, Snowboard-Freestylerin aus Alikon bei Sins, zieht nach ihrer letzten grossen Verletzung Konsequenzen. Eine Gehirnerschütterung, unter deren Folgen sie bis heute leidet, führt dazu, dass die 30-Jährige ...
Rücktritt vom Spitzensport
Lia-Mara Bösch, Snowboard-Freestylerin aus Alikon bei Sins, zieht nach ihrer letzten grossen Verletzung Konsequenzen. Eine Gehirnerschütterung, unter deren Folgen sie bis heute leidet, führt dazu, dass die 30-Jährige ihren Rücktritt vom Leistungssport erklärt. «Ich bin nicht mehr dazu bereit, diese Risiken einzugehen», sagt die Oberfreiämterin. --jl
Snowboard: Die Freiämterin Lia-Mara Bösch tritt vom Leistungssport zurück
Nach ihrer letzten Verletzung schien das Risiko gross, dass Snowboard-Freestylerin Lia-Mara Bösch nicht mehr in den Spitzensport zurückkehren würde. Nun ist es traurige Gewissheit. Die Athletin aus Alikon bei Sins gibt ihren Rücktritt bekannt. Damit verliert das Freiamt eine seiner besten Wintersportlerinnen.
Josip Lasic
Wer Lia-Mara Bösch in den sozialen Medien verfolgt, durfte in den vergangenen Wochen und Monaten auf ein Comeback der 30-Jährigen hoffen. Die Oberfreiämterin postete Videos und Bilder, die sie auf dem Snowboard zeigten, wie sie ihrer grossen Leidenschaft nachging.
Eineinhalb Jahre nach ihrer letzten schweren Verletzung war sie zurück. Würde sie bald wieder im Weltcup starten? Die Alikerin schiebt allen falschen Hoffnungen einen Riegel vor: «Ich brauchte das. Ich musste wieder auf das Snowboard und in den Schnee, um zu sehen, was das in mir auslöst. Das fehlte mir, um abzuschliessen. Nun ist es so weit: Ich bin endlich bereit, mit dem Wettkampf-Snowboarden aufzuhören.»
Mit diesem Schritt hat sie lange gerungen. «Auch wenn es widersprüchlich klingt, es ist eine Entscheidung für das Snowboarden. Ich liebe diesen Sport sehr. Eine weitere schwere Verletzung birgt das Risiko, dass ich nie wieder Snowboarden kann. Deshalb trete ich kürzer. Ich verabschiede mich vom Wettkampf-Snowboarden, um den Sport wenigstens als Hobby betreiben zu können».
Zu viel steht auf dem Spiel
Und die Risiken betreffen nicht nur den Sport. Im Juli 2023 zieht sich Bösch im Training eine Gehirnerschütterung zu. Unter den Folgen leidet sie bis heute. In der ersten Phase der Verletzung ist sie im Alltag massiv eingeschränkt. Bücher lesen, Filme schauen, Reisen oder Musik hören verursachen starke Kopfschmerzen. Auch ihr Studium der Sportwissenschaften in Magglingen muss sie unterbrechen. «Ich bin wie eine Hauskatze, die nicht aus der Wohnung kann. Mehr, als zu Hause herumzusitzen, kann ich nicht. Kochen, essen, Haushalt, zeichnen, Hörbücher. Das ist alles, was machbar ist», sagt sie damals gegenüber dieser Zeitung. Ergänzend dazu kommt die Ungewissheit, ob und wann sich ihre Lage bessert.
Das Schlimmste ist überstanden. Aber sie zieht Konsequenzen. «Es gibt Athletinnen, die nach einer ähnlichen Verletzung wieder in den Weltcup zurückgekehrt sind. Es gibt aber auch Athletinnen und Athleten, die im Rollstuhl gelandet sind. Es steht zu viel auf dem Spiel. Die Zeit, in der ich so stark unter den Symptomen gelitten habe, war eine Herausforderung für mich und mein Umfeld. Das möchte ich nicht noch einmal erleben. Und auch den Menschen, die mich unterstützt haben, möchte ich das auch nicht mehr antun.»
Im Snowboard-Freestyle erfordert es eine gewisse Risikobereitschaft, um erfolgreich zu sein. Die Freiämter Athletin hat in ihrer Karriere mehrmals Historisches geschafft. 2018 gelingt ihr beispielsweise als erster Schweizerin ein «Cabdouble 900». Es ist ein doppelter Rückwärtssalto mit einer halben Drehung. Zu diesem Zeitpunkt beherrschen weltweit nur wenige Athletinnen diesen Sprung. Sie setzt zahlreiche Messlatten während ihrer Karriere. Solche Erfolge verdankt sie ihrer Risikobereitschaft. Oft bezahlt sie für ihren Mut aber einen hohen Preis. Verletzungen sind ihr steter Begleiter. Sie übersteht und kuriert sie alle aus. Bis zur Gehirnerschütterung. Diese stellt alle bisherigen Rückschläge in den Schatten. «Ich traue mir zu, in der Schweiz wieder konkurrenzfähig zu sein, vielleicht sogar im Europacup», sagt sie. «Aber im Weltcup ist die Konkurrenz viel stärker. Dort sind Athletinnen am Start, die noch nie eine solche Verletzung hatten und deshalb mutiger springen. Um mit ihnen mithalten zu können, müsste ich wieder mehr riskieren. Dazu bin ich nicht mehr bereit.»
Trotzdem eine erfolgreiche Karriere
Lia-Mara Bösch ist auf dem Elfenhof in Alikon aufgewachsen. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen war für sie immer ein grosses Ziel. In einer alternativen Zeitlinie, ohne Verletzung, wäre ihre Herkunft vielleicht der Steilpass für eine Schlagzeile in den Medien gewesen, die so hätte lauten können: «Die Elfe vom Elfenhof fliegt zur Olympiamedaille».
Stattdessen sagt die «Elfe» Lebewohl. In einem emotionalen Abschiedspost in den sozialen Medien schreibt sie: «Um Snowboarden langfristig in meinem Leben zu erhalten, beende ich meine Wettkampfkarriere, um das Risiko einer erneuten Gehirnerschütterung zu reduzieren. Ich danke Swiss-Snowboard, Sponsoren, Unterstützern, Familie und Freunden, dass sie mir die Zeit für diesen Prozess des Loslassens gegeben haben. Mein Herz ist voller Dankbarkeit für Snowboarding und alle, die mir geholfen haben, ein professioneller Athlet zu werden und zu sein. Snowboarding hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin.»
Auch wenn sich ihr Traum von Olympia nie erfüllte, kann sie auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken. Diese umfasst unter anderem eine Weltmeisterschaft mit Rang 5 in der Disziplin Big Air, neun Weltcup-Starts, einen Weltcup-Podestplatz, einen Europacup-Tour-Gesamtsieg sowie zwölf Europacup-Podestplätze (acht Siege, zwei 2. Plätze, zwei 3. Plätze). Nun fokussiert sie sich auf ihr Bachelor-Studium der Sportwissenschaften in Magglingen. «So bleibe ich Teil des Schweizer Sportsystems. Ansonsten bleibe ich dem Snowboarden treu, weil es mir immer noch so viel Freude bereitet.» Künftig wird sie ihre Leidenschaft geniessen können, ohne ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen.