Die Herzenssprache pflegen
28.03.2024 MuriAm Elterncafé ging es diesmal um den Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Erziehung
Wie kann man Kinder unterstützen, die mehrere Sprachen sprechen? Neben früher Förderung in Deutsch sollte auch die Erstsprache nicht vernachlässigt ...
Am Elterncafé ging es diesmal um den Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Erziehung
Wie kann man Kinder unterstützen, die mehrere Sprachen sprechen? Neben früher Förderung in Deutsch sollte auch die Erstsprache nicht vernachlässigt werden.
Thomas Stöckli
Rund 20 Personen, aber fünf verschiedene Muttersprachen. Die Zusammensetzung des Publikums in der Aula der Bezirksschule sprach für sich. Schliesslich war genau diese Mehrsprachigkeit Thema am Elterncafé. In Muri drücken Kinder aus 33 verschiedenen Nationen die Schulbank. «Das ist eine grosse Vielfalt an Sprachen und Kulturen», so Monja van Wegberg, Schulleiterin Mittelstufe. Dabei sprechen 39 Prozent der Schülerinnen und Schüler zu Hause eine andere Sprache. Ein Teil von ihnen kommt mit wenig bis gar keinen Deutschkenntnissen, andere sind schon weiter. Entsprechend sei der Unterstützungsbedarf sehr individuell. Und auch der Lernfortschritt hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Alltagswortschatz hat Priorität
Schwierig werde es, wenn die Kinder noch in keiner Sprache sicher seien, sagt Mariza Nietlispach. Sie hat Deutsch als Zweitsprache (DaZ) vom Kindergarten bis in die Oberstufe unterrichtet. In der Regel bringe man die Kinder in drei bis vier Jahren auf ein Niveau, auf dem sie keine spezielle Förderung mehr brauchen. «Anspruch auf DaZ-Förderung haben alle, die zu Hause eine andere Sprache sprechen», informiert Lehrerin Monika Parolo. Unterrichtet wird in der Regel in Kleingruppen, für Direkt-Zugezogene in fünf, für die anderen in drei Lektionen pro Woche. Dabei liegt der Fokus auf den Kompetenzen, auf einem spielerisch-lustvollen Aufbau des Alltagswortschatzes. So basteln die Kinder bei Monika Parolo jeweils ein Spiel, dass sie mit nach Hause nehmen dürfen.
Wer ohne Deutschkenntnisse in die Oberstufe kam, wurde früher jeweils für ein halbes bis ein ganzes Jahr im Regionalen Integrationskurs (RIK) in Wohlen angemeldet. Weil dieser aktuell die Nachfrage nicht mehr abdecken kann, wird direkt in der Regelschule integriert. Das sei zwar sehr schwierig – sowohl für die Lehrperson als auch für die Schülerin oder den Schüler, sagt Mariza Nietlispach, «dafür lernen sie aber auch sehr schnell».
Gelebte Mehrsprachigkeit
Auch Schulsozialarbeiter Martin Schneider, der die Podiumsdiskussion leitet, hebt die Bedeutung einer ersten Sprache hervor. Er spricht in diesem Zusammenhang von «Herzenssprache». Die Sprache, mit der man sich ohne Einschränkungen ausdrücken kann.
«Für mich ist das Italienisch», verrät Ana Stojak, Kommunikationswissenschaftlerin und Mutter von drei Kindern. Im Tessin aufgewachsen, hat sie erst im Alter von neun Jahren Kroatisch gelernt. Die Sprache, die sie nun mit ihrem Mann teilt, der seinerseits in der Deutschschweiz aufgewachsen ist. Mit den Kindern spricht sie Italienisch und er Schweizerdeutsch, gemeinsam ist ihnen das Kroatisch, das die Kinder auch mit den Grosseltern verbindet.
Dabei seien die Übergänge fliessend, was sich zuweilen chaotisch anhöre: «Nicht jeder Satz endet in der Sprache, in der er angefangen hat», sagt Ana Stojak und lacht. Dafür können sich die Kinder in allen drei Sprachen ausdrücken, was sie als positiv erlebt: «Sie können zwischen den Sprachen switchen und müssen nicht im Kopf übersetzen.»
Italienerin Daniela Pederiva ist es dagegen wichtig, dass ihre Kinder im Laufe eines Gesprächs nicht die Sprache wechseln. Kurz nach der Geburt der ersten Tochter ist die junge Familie vor 14 Jahren in die Schweiz gezogen. Zu Hause wird nach wie vor Italienisch gesprochen. Damit die mittlerweile zwei Töchter möglichst schnell Schweizerdeutsch lernen, sind sie schon früh in eine Kinderkrippe gegangen. Die Integration hat offenbar gut funktioniert: Mittlerweile besucht die ältere Tochter die 2. Bez, die jüngere ist in der 5. Klasse.
Verständigung als Antrieb
Mit ihren Töchtern italienisch zu sprechen sei ihr insofern wichtig gewesen, als sie ihnen nicht ihre Deutschfehler mitgeben wollte. Dabei habe sie durchaus auch Gegenwind gespürt, verrät Daniela Pederiva: Ein Nachbar habe mal kritisiert, dass sie an der Muttersprache festhielt. Kürzlich habe er sich nun entschuldigt. Seine eigenen Kinder werfen ihm nun nämlich vor, dass sie sich kaum mit den eigenen Grosseltern unterhalten können. «Wir dürfen nicht vergessen, wo wir herkommen», betont die Italienerin und erntet damit Zuspruch vom Podium und aus dem Saal.
Die Kultur, das Leben und die Freizeitgestaltung sind auch für die Integration und damit den Spracherwerb wichtig. «Wenn sie mit Gleichaltrigen Spass haben, lernen die Kinder oft mehr als im DaZ», sagt Mariza Nietlispach. Generell sei ihr aufgefallen, dass die Motivation, Deutsch zu lernen, nur so lange gross sei, bis die Verständigung klappe. «Wenn es dann um Grammatik und spezifischen Wortschatz geht, wird es harziger.» Generell hilft (Vor-)Lesen mehr als Fernsehen, «denn in Büchern ist der Wortschatz viel detaillierter», so Mariza Nietlispach.
Sich in verschiedenen Sprachen verständigen zu können, sei auf jeden Fall gut und spannend. Da waren sich die Referentinnen am Elterncafé einig. Ebenso wichtig sei es jedoch, zumindest eine Sprache so gut zu beherrschen, dass man sich, seine Gefühle und seine Bedürfnisse frei ausdrücken könne. Das muss nicht unbedingt Deutsch sein.