Die Jüngsten sind die grossen Stars
18.08.2023 MuriDas Leben eines anderen
Ein Blick auf die Kinder im Stück «Amerika»
Die Geschwister Leonor und Julian Küchler-Morales spielen im Freilichttheater «Amerika» mit. Diese Zeitung hat sie an einem Abend ...
Das Leben eines anderen
Ein Blick auf die Kinder im Stück «Amerika»
Die Geschwister Leonor und Julian Küchler-Morales spielen im Freilichttheater «Amerika» mit. Diese Zeitung hat sie an einem Abend begleitet.
Die Freiämter Auswanderung nach Amerika im 19. Jahrhundert betraf auch die Kinder. Und ist deshalb auch im aktuellen Stück Gegenstand der Handlung. Wie ihre Schicksale aussahen, wird von acht jungen Schauspielerinnen und Schauspielern verkörpert. Unter anderem von Leonor und Julian Küchler-Morales, die erzählen, wie es ist, für einen Abend das Leben eines anderen zu spielen – und wie sie das Mitmachen bei einer so grossen Produktion erleben. --cbl
Die Geschwister Leonor und Julian Küchler-Morales sind Teil des Kinder-Ensembles des Freilichttheaters «Amerika»
Es ist ein Riesenerfolg: Das Stück «Amerika» läuft seit gut drei Wochen vor ausverkauftem Haus. Vieles begeistert an der Geschichte – darunter auch die Kinder, die dem Stück noch mehr Realität geben.
Celeste Blanc
Eine Dorfgemeinschaft im Jahr 1854. Die Menschen im Freiamt haben es schwer. Sie träumen von einem besseren Leben. Während viele nur davon träumen, verlassen andere tatsächlich ihre Heimat, ohne zu wissen, was sie erwartet. Die Schicksale innerhalb der Dorfgemeinschaft, sie sind unterschiedlich – und irgendwie haben sie vieles gemein. Es sind Schicksale und Begegnungen, Ernst, Leiden, aber auch Freude, welche die Erwachsenen durchleben. Und zwischen ihnen bewegen sich die Kinder, fröhlich und unbeschwert. Mit Flausen im Kopf, wohlwissend aber, dass irgendetwas Grösseres die Erwachsenen beschäftigt.
Acht Kinder gehören zum Ensemble von «Amerika» und geben dem Stück eine Zusatzebene: Sie lassen die Zuschauer lachen, bringen aber auch eine gewisse Tragik mit. Zu den Jüngsten der Gruppe zählen die Geschwister Leonor und Julian Küchler-Morales. Als Vreni und Seppli machen sie während der insgesamt 18 Aufführungen die Strassen des Dorfes unsicher.
Man muss Kompromisse eingehen
Es ist 17.30 Uhr. In gut drei Stunden fängt die Aufführung an. Für die Familie Küchler-Morales mittlerweile ein fixer Termin an einem Spieldatum. «Bis alle parat sind, braucht es immer einen Moment. Darum müssen wir früh loslegen», scherzt Vater Jonas. Das Abendessen, es ist die Ruhe vor dem Sturm. Hier wurden während der Proben die wichtigsten Dinge besprochen. Wer schaut wo und wann zu den Kindern, beispielsweise. «Nun ist alles eingespielt», so Küchler. Kaum hat sie fertiggegessen, saust Paula, mit ihren vier Jahren das Küken der Familie, um den runden Esstisch in der Küche singend in die Stube, gefolgt von Bruder Julian. Die siebenjährige Leonor bleibt sitzen. «Zeit für deine Haare», meint Mutter Brenda und fängt an, ihre Haare zu bürsten. Auch Brenda Küchler-Morales steht bei «Amerika» auf der Bühne und verkörpert eine der Frauen im Hochzeitskleid. «Die Metaebene, dort, wo die Gefühle, Gedanken und Emotionen ihren Platz finden», erklärt sie, und Leonor macht Faxen mit dem Vater.
Für die Mutter ist es schön, mit ihren Kindern auf der Bühne zu stehen. Zum Stück sind die Laienschauspieler auf Anfrage von Nachbarin Paula Loher-Staubli gekommen, die die Produktionsleitung innehat. «Es ist ein gemeinsames Abenteuer, einfach etwas Unvergessliches», lächelt sie. Und dennoch: Ganz ohne ist der Alltag nicht. «Für die Kinder musste von Anfang an klar sein: Wenn man mitmacht, dann kann man nicht einfach aussteigen», so Küchler-Morales. «Man musste Kompromisse eingehen, beispielsweise während der Sommerferien nicht in die Ferien zu fahren.» Leonor nickt: «Natürlich wäre ich gern in die Ferien gefahren. Aber ich habe mich daran gewöhnt. Und in die Ferien können wir auch ein andermal.»
Darüber sprechen hilft zu verarbeiten
Leonor begutachtet ihre Frisur im Handspiegel und schaut zufrieden. Bald schon schlüpft sie in die Rolle von Vreni, einem Mädchen, das mit seiner Mutter auswandern muss. Zu Leonors absoluten Lieblingsszenen zählt die «Gülle-Toni»-Szene, dann, wenn sie und die anderen Kinder den Knecht Toni, gespielt von Luca Lustenberger, über die Bühne jagen dürfen. «Es macht Spass, ihn zu ‹plooge›», verrät sie. «Aber es ist ja nur gespielt, dann ist es okay.» Das Über-die-Bühne-Rennen und das Singen ist für sie das Beste an der ganzen Aufführung. «Das ist einfach zu spielen.» Und wie sieht es mit den traurigen Szenen aus? Leonor zuckt die Schultern: «Das haben wir ja geübt.»
Leonor wirkt wie eine Routinierin, obwohl sie ausser in der Schule noch nie Theater gespielt hat. Sie zeigt auf eine Zeichnung an der Haustür. Um den Fortschritt zu sehen, hängt an der Haustür ein Blatt mit 18 Sonnenblumen. Jedes Mal, wenn eine Aufführung durch ist, wird eine der Blumen gelb ausgemalt. «Es sind schon viele», meint die Jungschauspielerin. Auch Julian, der mittlerweile in der Stube eingeschlafen ist, hat ein solches Blatt. Auf seinem sind 18Raketen zu sehen.
Die Frisuren sitzen nach wenigen Handgriffen. Auch die von Mutter Brenda, die ziemlich aufwendig scheint. Vater Jonas schaut, ob alles parat ist und die Taschen, die mitgenommen werden müssen, auch das beinhalten, was es braucht. «Mein Einsatz ist dann erst nach der Aufführung wieder», lacht er. Dann, wenn die Kinder nach Hause kommen und über das Erlebte am Abend sprechen wollen. «Auch wenn die Aufführung dieselbe ist, ist sie nicht immer gleich. Immer wieder haben die Kinder neue Eindrücke. Wenn man ihnen am Abend zuhört, hilft es ihnen, das Erlebte zu verarbeiten und zur Ruhe zu finden», weiss der 36-Jährige und zwinkert: «Dann können sie auch gut schlafen.»
«Sie hören fast nicht mehr auf zu klatschen»
Angekommen auf dem Klosterplatz, gilt es, die Utensilien für die Aufführung bereitzumachen. Leonor und Mutter Brenda holen ihre Kisten, während Julian über die Wiesen rennt und mit dem Papi Faxen macht. Mittlerweile ist es 19 Uhr. Noch eine Stunde, bis die Kinder sich einsingen und sich so auf die Aufführung vorbereiten. Schnell hoch in die Garderobe, die Kostüme anziehen, dann kann wieder gespielt werden. Julian und Leonor sind gleicher Meinung: «Zum Glück können wir immer noch mit den Gspändli sein, auch das gefällt uns am Theater sehr.»
Spielen, rumalbern, die Schauspielfamilie mit Faxen unterhalten – das muss man dem fünfjährigen Julian Küchler-Morales nicht zweimal sagen. Aufgeregt rennt er zwischen den Schauspielerinnen und Schauspielern herum, vorbei an der Band, die sich für den Abend einstimmt. Er stellt sich vor ihnen auf und winkt. «Mir macht das Megaspass, Theater zu spielen», so der aufgestellte Julian, der ein bisschen aus der Puste ist. Vor allem mit den anderen Kindern und den anderen Schauspielern zusammen zu sein, da fühlt er sich wohl. «Wir können viel lachen. Und mit ‹Lonzi› ist es sowieso immer lustig», verrät er, als Philipp Galizia vorbeiläuft.
Während Brenda Küchler-Morales mittlerweile im Kostümraum den anderen Frauen bei den Frisuren hilft, haben sich die Kinder, die nun alle parat sind, zu einer lauten Traube formiert. Unter ihnen sind auch die Theaterschwester von Vreni und Seppli, Stini, gespielt von Alina, und der Franz, der von Jonas Meier verkörpert wird. Auch Alina und Jonas sind Geschwister, die gemeinsam mit Mutter Michaela im Stück mitwirken. Während die jüngeren Kinder keine Sprechrolle haben, hat der achtjährige Jonas einen kleinen Text. «Am Anfang war es schwer, den Text im Kopf zu behalten. Mittlerweile weiss ich alles auswendig und es ist ganz einfach», erzählt er. Ihm gefällt vor allem, in eine andere Rolle zu schlüpfen, etwas anderes zu machen. Und den Applaus am Ende des Stückes einzuheimsen. «Wenn die Leute klatschen, ist das megaschön.» Und Leonor ergänzt augenrollend: «Bei allen Aufführungen klatscht das Publikum so viel, sie hören fast nicht mehr auf.»
Zu einer Familie zusammengewachsen
«Sie geben dem Stück einfach das gewisse Etwas, lassen es vor allem realistischer wirken.» Denn eine Dorfgemeinschaft ohne Kinder, so etwas gibt es nicht, meint Regisseur Adrian Meyer. «Dem Stück hätte definitiv etwas Wesentliches gefehlt, wenn sie nicht dabei wären.» Immer wieder habe ihn bei der Arbeit mit den Kindern ihre Flexibilität erstaunt. Herausfordernd war es nie. «Man muss wissen, wie die Kinder in die Proben zu integrieren sind. Macht man es spielerisch, geht das ohne Probleme.»
Die Kinder beeindrucken auch den Regisseur. Klar, vif und schnell umsetzen – man unterschätze vor einem solchen Projekt, wie rasch die Kinder alles verinnerlichen können. Auch heute während den Aufführungen staune er immer wieder, wie stark sich die Kinder in die Rolle einfühlen können. Was ist auswandern? Darf ich bleiben oder müssen auch wir gehen? «Schwierige Fragen, deren Auswirkung ein Kind sich nicht vorstellen kann. Dennoch schaffen sie es, schwierige Fragen umzusetzen.» Sinnbildlich dafür sei die Szene, in der Katharina Etterlin mit ihren Kindern Vreni, Seppli und Stini auswandern muss. «Der Gemeindeammann verteilt vor der Reise Batzen, so auch an die Kinder. Und der Seppli übergibt diesen seiner Mutter. Das hat er total schön gespielt», so der Regisseur. «Und dass die Schauspieler allen Alters hinter den Kulissen zu einer Familie zusammengewachsen sind, die aufeinander schaut, sieht man auch auf der Bühne.»
Von Nervosität keine Spur
Zusammenpassen und aufeinander schauen – auch an diesem Abend wird das wieder ersichtlich. Es ist kurz vor 20 Uhr. Nun muss eingesungen werden. Luana Stöckli (Karolina), Linda Budmiger (Hanna), Emma Budmiger (Maria) und Julia (Amalie) haben die jüngsten Kinder zusammengesucht und um das Klavier versammelt. In 30Minuten gilt es für die Rasselbande ernst. Und wo vorher Schabernack und Spiel vorherrschten, sind sie nun der Konzentration gewichen. Bald fällt der Vorhang. Ob Leonor und Julian nervös sind, so kurz vor Beginn? «Nein, gar nicht», meint Leonor. «Am Anfang war ich sehr nervös, mittlerweile gar nicht mehr. Ausser, jemand, den ich kenne, sitzt im Publikum.»