«Die Stimmung aufgesaugt»
11.08.2023 Sport, FussballErst top, dann bitter
Nationalspielerin Julia Stierli über die WM
Am 20. August ist der Final der Frauenfussball-Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland. Die Schweiz ist nach einer starken Gruppenphase, wo das Team kein Gegentor kassierte, im ...
Erst top, dann bitter
Nationalspielerin Julia Stierli über die WM
Am 20. August ist der Final der Frauenfussball-Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland. Die Schweiz ist nach einer starken Gruppenphase, wo das Team kein Gegentor kassierte, im Achtelfinal an Spanien gescheitert. Diese 1:5-Pleite war der bittere Endpunkt einer guten WM-Kampagne. Die Murianerin Julia Stierli spielte in jedem Spiel durch und sagt: «Wir dürfen nicht vergessen: Die Schweiz ist im Frauenfussball eher eine kleine Nummer.» Die Freiämterin erzählt im Interview von ihren Erlebnissen und wieso sie positiv auf diese Zeit zurückblickt.
Frauenfussball, Weltmeisterschaft: Interview mit der Schweizer Nationalspielerin Julia Stierli aus Muri
Die Gruppenphase ohne Gegentor geschafft, im Achtelfinal bitter mit 1:5 rausgeflogen. Julia Stierli erlebte an der Frauenfussball-WM in Neuseeland «die wohl prägendste Zeit meiner Karriere».
Stefan Sprenger
Beim FC Muri hat alles angefangen. Seit 2014 ist Julia Stierli bei den FC-Zürich-Frauen, holte sechs Mal den Meistertitel und fünf Mal den Cupsieg. Im letzten Jahr war sie an der Europameisterschaft dabei. Die 26-Jährige hat also schon viel Erfahrung. Doch jetzt hat die angehende Physiotherapeutin mit der Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland ihr grösstes Highlight der Karriere erlebt. Nach dem Sieg gegen die Philippinen (2:0) und den beiden torlosen Unentschieden gegen Norwegen und Neuseeland schaffte die Schweiz die Qualifikation in den Achtelfinal. Dort war gegen Spanien Endstation (1:5). Besonders in der Gruppenphase wurde die Abwehr – und damit Innenverteidigerin Stierli – oft thematisiert und gelobt.
Haben Sie den Namen «Julia Stierli» in den letzten Wochen mal auf Google gesucht?
Julia Stierli: (Lacht.) Nein. Hätte ich das tun sollen? Gibt es denn viele negative Storys über mich?
Nein. Die Schweizer Frauennati hat in der Gruppenphase kein Tor kassiert. Sie als Innenverteidigerin spielten jede Partie 90 Minuten durch und wurden für die Leistung gelobt – und als einer der Gründe aufgezählt, wieso man in der Gruppenphase so gut auftrat.
Das freut mich. Wir dürfen auch stolz darauf sein, dass wir die Gruppenphase ziemlich souverän geschafft haben.
Die Medienpräsenz des Frauenfussballs ist wohl so gross wie nie zuvor. Haben Sie während der Weltmeisterschaft die Berichterstattung in der Schweiz mitverfolgt?
Ich habe mitgekriegt, dass in den Zeitungen, im Radio und im Fernsehen viel über uns berichtet wird. Diese Aufmerksamkeit für den Frauenfussball ist natürlich schön. Aber ich persönlich habe bewusst nur sehr wenig Medien konsumiert.
Nach der 1:5-Pleite gegen Spanien wurde aus Euphorie dann Ernüchterung. Bei Ihnen auch?
Nein. Das Positive überwiegt klar nach dieser Weltmeisterschaft. Die letzten Wochen waren sehr intensiv und ich durfte enorm viele wichtige Erfahrungen sammeln. Ich glaube, es war die prägendste Zeit meiner bisherigen Karriere. Und mit dem Erreichen des Achtelfinals haben wir unser Minimalziel erreicht. Auch wenn das letzte Gruppenspiel gegen Neuseeland ein Geknorze war, so ist es nicht selbstverständlich, dass wir als Gruppensieger in den Achtelfinal gekommen sind. Die Partie gegen die Topnation Norwegen war absolut stark von uns. Die Skandinavierinnen haben ein Kader mit einigen Topspielerinnen – und das Spiel war ausgeglichen. Und wir dürfen nicht vergessen: Die Schweiz ist im Frauenfussball eher eine kleine Nummer. Und es gab grössere Nationen, für die nach der Gruppenphase Endstation war.
Aber Sie haben sich doch sicherlich mehr ausgerechnet im Achtelfinal als eine 1:5-Pleite?
Ja, natürlich. Aber wir wussten auch, dass Spanien der klare Favorit ist. Die Partie ist dann leider nicht so gelaufen wie gewünscht. Uns wurden klar die Grenzen aufgezeigt. Spanien war mindestens eine Klasse besser. Wir hatten Mühe, kamen kaum in die Zweikämpfe und waren offensiv viel zu harmlos.
Kein Gegentor in drei Spielen der Gruppenphase. Dann gibt es fünf Gegentore im Achtelfinal.
Bitter.
Machen Sie sich Vorwürfe als Abwehrspezialistin?
Klar reflektiert man auch die eigene Leistung. Wir verteidigen als Team, von der Torhüterin bis zu den Offensivspielerinnen müssen alle solidarisch und gemeinsam verteidigen. Das haben wir in drei Spielen gut gemacht und auch das nötige Glück gehabt. Gegen Spanien war das dann anders. Leider.
An der Europameisterschaft im letzten Jahr durften Sie nur in einem Spiel für einen Teileinsatz ran. Nun waren Sie immer von Anfang an dabei. Vier Spiele über 90Minuten. Wieso?
Kleine Details entscheiden. Es braucht an solch einem Turnier immer alle 23 Spielerinnen im Kader. Aber natürlich hat es mich sehr gefreut, dass ich nun eine gewichtigere Rolle eingenommen habe als an der
EM 2022.
Es gab Gerüchte, die jetzige Schweizer Nationalteam-Trainerin Inka Grings setzte auf Sie, weil Grings bis 2022 Ihre Trainerin bei den Frauen des FC Zürich war. Werden in der Frauennati Spielerinnen des FC Zürich bevorzugt?
Puh! Nein. Aber es war sicherlich kein Nachteil. Wenn ich meine Leistungen nicht gezeigt hätte, dann hätte ich sicherlich nicht so viel gespielt. Ich glaube, für Trainerin Inka Grings ist in erster Linie wichtig, dass die Spielerinnen auch in ihrem Verein zu regelmässigem Einsatz kommen und im Spielrhythmus sind. Wenn jemand der Ansicht ist, Grings hat mich spielen lassen, weil sie mich aus FCZ-Zeiten kennt, darf der das.
Die WM ist für jede Fussballerin auch ein riesiges Erlebnis. Auf und neben dem Platz. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Es war schön, ein Teil dieses riesigen Anlasses zu sein. Die einheimischen Menschen in Neuseeland waren sehr herzlich zu uns, wir haben uns sehr willkommen gefühlt. Auf der Strasse wurden wir oft angesprochen, jeder war ein bisschen im WM-Fieber. So etwas erlebt man nicht oft in einer Karriere und ich habe es sehr genossen.
Wie war die Stimmung?
Wir waren hauptsächlich in Dunedin unterwegs. Die Stadt mit rund 130 000 Einwohnern war prächtig. Die Menschen sehr nett. Man spürte die Begeisterung auf den Strassen – und auch im Stadion. Der Höhepunkt war das Spiel gegen Gastgeber Neuseeland vor 26 000Zuschauern. Diese Stimmung habe ich aufgesaugt.
Was war Ihr persönliches Highlight der WM?
Das waren einige (lacht). Ich glaube, der Teamspirit war das grösste Highlight. Wir hatten stets eine tolle Stimmung und hatten viel Spass. Und auch das Essen war ein kleines Highlight.
Wie meinen Sie das?
Wir hatten einen eigenen Koch dabei. Bestes Schweizer Essen in Neuseeland zu geniessen, war ein Luxus, der für das Seelenwohl sehr wichtig war (lacht).
Wie haben Sie die Unterstützung aus der Heimat erlebt?
Ich hörte immer wieder, dass sich Leute aus Muri und der Umgebung getroffen haben und die Spiele gemeinsam zum Frühstück geschaut haben. Beispielsweise mein Bruder Tobias, der zusammen mit Kumpels morgens um 7Uhr schon vor dem TV gesessen ist – und dabei auch ein Bierchen getrunken hat, wie ich hörte (lacht). Ich kriegte viele Nachrichten aus dem Freiamt. Der Kontakt zu Freunden und Familie in der Schweiz war mir wichtig, um auch mal auf andere Gedanken zu kommen. Die Zeitverschiebung machte die Kontakte aber etwas schwierig. Immerhin: Nach den Spielen konnte ich stets mit der Familie telefonieren. Ein Vorteil. In der Schweiz ist es nach den Abendspielen meist zu spät, um noch jemanden anzurufen (lacht). Meine Eltern haben mir zudem gesagt, dass sie in Muri auf der Strasse während der WM öfter als sonst angesprochen wurden auf mich. Der Vater wurde beispielsweise von Bekannten, von denen er jahrzehntelang nichts mehr gehört hatte, wieder kontaktiert.
Wie war das für Ihre Eltern?
Ich glaube, sie sind stolz. Aber sie sind auf uns Kinder sowieso stolz. Ich glaube, ihnen passt das bestens, wie wir unser Leben führen. Da spielt es keine Rolle, ob die Tochter an einer Weltmeisterschaft spielt oder nicht (lacht). In Bezug auf das Dorf Muri gab es übrigens in Neuseeland eine lustige Begebenheit.
Erzählen Sie.
Der Schweizer Botschafter in Neuseeland hat mit uns gemeinsam zu Abend gegessen. Plötzlich kam seine Frau auf mich zu. Sie sagte, dass sie ursprünglich aus Muri kommt, und hat mir Grüsse aus dem Freiamt überbracht (lacht).
Wie geht es jetzt weiter für Sie?
Am Dienstag geht es ins Trainingslager mit den Frauen des FC Zürich. Bis dahin habe ich frei. Und ich freue mich. Nach sieben Wochen mit dem Nationalteam und einer sehr intensiven Zeit bin ich froh, mal nicht an den Fussball denken zu müssen. Abschalten. Ruhe. In die Berge. Biken. Geniessen.
Geniessen Sie Ihre Zeit. Nur noch eine Frage: Wer wird Weltmeister?
Diese WM in Australien und Neuseeland ist unberechenbar. Japan und England überzeugen mich am meisten. Sie gehören für mich zu den Titelfavoriten. Und dazu noch mein persönlicher Geheimfavorit: Australien.
Küng leitet Viertelf inal
Das Schweizer Frauenfussball-Nationalteam ist an der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland zwar ausgeschieden, doch im Viertelfinal gibt es trotzdem Beteiligung aus dem Freiamt. Heute Freitag wird das Spiel zwischen Japan und Schweden von Schiedsrichterin Esther Staubli und ihrer Assistentin Susanne Küng geleitet. Für Küng (Merenschwanderin, die in Wohlen wohnte) und Staubli ist es bereits die dritte Partie an dieser Weltmeisterschaft in Ozeanien, die sie gemeinsam pfeifen dürfen.
Zuvor hat das Duo bereits die Gruppenspiele zwischen Australien und Nigeria sowie Jamaika und Brasilien geleitet und dafür auch gute Kritiken erhalten. Für die 35-jährige Freiämterin ist es das erste Mal, dass sie in der K.-o.- Phase einer Weltmeisterschaft zum Einsatz kommt. --red