Eigenen Mieter abgestraft

  11.11.2025 Wohlen, Gewerbe

Kurz nach der Eröffnung wird die «Grill Ecke» wieder geschlossen – der Fall wirft viele Fragen auf

Es ist eine kuriose Geschichte, die wohl ein Nachspiel haben wird. Fikret Jukic eröffnet am 11. Oktober die «Grill Ecke» an bester Lage. Wenige Tage später muss er schliessen – aufgrund eines administrativen Fehlers. Vermieterin des Lokals ist die Gemeinde Wohlen. Doch diese schweigt – genauso wie die Regionalpolizei. Recherchen zeigen: Das Vorgehen scheint unverhältnismässig zu sein.

Stefan Sprenger

Aus der euphorischen Freude wird purer Frust. Am 11. Oktober wird die «Grill Ecke» eröffnet, am 15. Oktober durch das Amt für Verbraucherschutz inspiziert – ohne grosse Probleme. Am 22. Oktober folgt ein Telefonat der Regionalpolizei, die Schliessung wird angeordnet. Dies aufgrund einer fehlenden Anmeldung. Seither brodelt die Gerüchteküche im Dorf. Der Betreiber verliert Geld, Image und Nerven. Denn die Polizei gibt ihm nichts Schriftliches. Angesichts der Informationen, die vorliegen, muss davon ausgegangen werden, dass hier unverhältnismässig gehandelt wurde – oder gar rechtswidrig?

Anmeldung vergessen: «Kommt durchaus vor»

Rückblick. Samstag, 11. Oktober. Diese Zeitung besucht Fikret Jukic in seinem neu eröffneten Lokal mitten im Dorf, Zentralstrasse 30, gleich beim Bären-Kreisel. Und es ist ein Lokal, das man kennt. Einst war hier die Metzgerei Kuhn, später betrieb Jeannine Kuhn ein Bistro und Partyservice an dieser Stelle. Seit Monaten stand es leer. Vermieterin (und Eigentümerin) ist die Gemeinde Wohlen. Und die hat vor der Unterzeichnung des Mietvertrags sicherlich genaustens geprüft, wer diesen Laden übernimmt. Fikret Jukic – aufgewachsen und wohnhaft in Wohlen – setzte sich gegen andere Bewerber durch. Und somit ist davon auszugehen, dass Leumund, Finanzen und Fähigkeit bei ihm stimmen.

Der Besuch bei ihm im Laden am Eröffnungstag bestätigt das. Es ist sauber, aufgeräumt, ein Konzept klar ersichtlich. Jukic ist gelernter Koch, arbeitete viele Jahre in der Lebensmittelindustrie und eröffnete dieses Lokal aus Leidenschaft zur Gastronomie. Der 39-jährige Familienvater führte vor über 15 Jahren schon einen Imbiss beim Haldenschulhaus in Wohlen. Nun wollte er es nochmals wagen mit der «Grill Ecke». Fortan nimmt die Geschichte eine unschöne Wendung. 15. Oktober: Das Amt für Verbraucherschutz (AVS) «hat vom neu eröffneten Betrieb erfahren und diesen kontrolliert», wie das AVS auf Anfrage schreibt. Aufgrund der Schweigepflicht (Art. 56 des eidgenössischen Lebensmittelgesetzes) darf über die Inspektion keine Auskunft erteilt werden. Gemäss Betreiber soll es – ausser baulichen Details – keine Probleme gegeben haben. Auch der Fakt, dass er weiterhin offen hat, deutet darauf hin, dass das AVS keine gravierenden Mängel entdeckte.

Aber: «Anlässlich der Inspektion am 15. Oktober 2025 hat das AVS festgestellt, dass der Betreiber den erwähnten Betrieb nicht gemeldet hat. Am 16. Oktober 2025 hat der Betreiber dies nachgeholt», schreibt Michel Hassler, Leiter Kommunikation beim Departement Gesundheit und Soziales des Kantons Aargau.

Anruf der Repol: Schliessung

Er erklärt weiter: «Gemäss Art. 20 der Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung des Bundes hat, wer mit Lebensmitteln umgeht, seine Tätigkeit der zuständigen kantonalen Vollzugsbehörde zu melden. Mit dem Meldeformular des kantonalen Amts für Verbraucherschutz (AVS) wird gleichzeitig auch die zuständige Gemeinde über eine Neueröffnung oder Mutation informiert. Gemäss Gastgewerbeverordnung (GGV) muss die Meldung betreffend eine dauerhafte Betriebsaufnahme mindestens 30 Tage im Voraus erfolgen.»

An jener Stelle wichtig zu wissen: Als Vermieterin wusste die Gemeinde Wohlen von der Eröffnung eines Gastrobetriebes, schliesslich suchte man für dieses Lokal explizit nach einer Nutzung für das Gastgewerbe. Hassler sagt: «Es kommt in der Praxis durchaus vor, dass diese Meldungen nicht oder nicht rechtzeitig erfolgen. Der Vollzug obliegt den Gemeinden.»

Am 22. Oktober – eine Woche nach der Inspektion des AVS – ruft die Regionalpolizei Wohlen an und ordnet die sofortige Schliessung an.

Wilde Gerüchte, viel Verlust

Danach hängt eine Mitteilung am Eingang bei der «Grill Ecke»: «Aufgrund einer vergessenen Anmeldung muss ich den Betrieb schliessen. Ab dem 8. November sind wir wieder für euch da. Ich entschuldige mich bei euch und bitte um Verständnis.» Jukic hat diese Anmeldung vergessen. Auch weil er nicht davon wusste. Aber: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Dennoch: Die Schliessung erscheint – angesichts des Umstandes, dass es lediglich ein administrativer Fehler ist – unverhältnismässig. Auch weil das Anmeldeformular fast ausschliesslich Formalitäten und Personalfragen beinhaltet. Und auch weil Jukic kein Restaurant führt – sondern «nur» einen Takeaway betreibt.

Seit der Schliessung brodelt die Gerüchteküche im Dorf. Die wildesten Thesen werden erzählt. Zudem ist der finanzielle Schaden (Lebensmittel, Personalkosten) durch die Schliessung immens. Jukic kann gegen die Schliessung weder Einspruch erheben noch dem Rechtsschutz oder Anwalt etwas vorlegen, denn die Regionalpolizei gibt ihm nichts Schriftliches in die Hand. Weil, wie es heisst, die Schliessung im gegenseitigen Einvernehmen vonstattenging. Hier steht Aussage gegen Aussage. Aber: Wieso hätte Fikret Jukic dem zustimmen sollen? Wieso hätte er seinen Laden freiwillig schliessen sollen? Dafür scheint nicht die geringste Motivation ersichtlich. Deshalb wird es viel eher eine Zwangsschliessung und eine Anordnung der Polizei oder der Gemeinde gewesen sein.

Antwort der Gemeinde dauert – und ist nichtssagend

Die Redaktion stellt bei der Kommunikationsstelle der Gemeinde Wohlen mehrere Fragen – wie üblich schriftlich. Es sind Fragen wie: «Ist die Schliessung verhältnismässig?», «Hätte die Gemeinde als Vermieterin nicht beratend zur Seite stehen können?» und «Weshalb gab es von der Regionalpolizei nichts Schriftliches?». Die Anfrage erfolgt am Donnerstag, 30. Oktober, 9.30 Uhr. Für jenen Tag heisst es, dass die «zuständige Stelle für eine Antworterteilung nicht mehr zur Verfügung steht». Am Montag, 3. November, 15 Uhr – fast drei Arbeitstage später – kommt die Antwort der Gemeinde: «Zwischen der Gemeinde und dem Mieter besteht ein ordentliches Mietverhältnis privatrechtlicher Natur. Die Erlangung und Einholung sämtlicher betriebsnotwendigen Bewilligungen öffentlich-rechtlicher Art ist Sache des Betreibers/Mieters. Da es sich hierbei um ein laufendes Verfahren handelt, können keine weiteren Auskünfte erteilt werden.»

Das sagt eine andere Repol

Die Redaktion fragt beim AVS und bei der Kantonalpolizei Aargau nach, schildert den Fall. Das AVS wiederholt: «Der Vollzug obliegt den Gemeinden.» Die Kantonspolizei verweist auf die Regionalpolizei. Doch da es von der Repol Wohlen keine Auskunft gibt, fragen wir bei einer anderen Regionalpolizei im Kanton nach. Auch hier heisst es, dass die Gemeinde für die Bewilligungen zuständig ist. «Die Repol ist gemäss kantonalem Polizeidekret nur für die Kontrolle zuständig.

Heisst, die Gemeinde nähme in solch einem Fall Kontakt mit dem Wirt auf. Falls dieser nicht reagiert, könnte die Gemeinde die Schliessung anordnen. Das macht dann die Regionalpolizei. Die Repol kontrolliert, falls sie von der Gemeinde den Auftrag dafür hat, begleitet die Gemeinde allenfalls bei einem Besuch im Lokal. Aber von sich aus macht die Regionalpolizei nichts. Sie ordnet nichts an, gibt keine Unterlagen ab, büsst nicht – und schliesst auch kein Lokal.» Falls die Repol Wohlen also nur ausführende Kraft war, stellt sich die Frage, weshalb die Gemeinde Wohlen den Mieter ihrer eigenen Lokalität so bestraft, schon kurz nach der Eröffnung die Euphorie klaut und auch dem Ruf der «Grill Ecke» einen Bärendienst erweist.

Drittpersonen kommen alle zum selben Schluss

Angesichts des komplexen Falles und der spärlichen Auskünfte der Gemeinde, der Repol Wohlen und auch vom Betreiber Fikret Jukic befragt die Redaktion mehrere Drittpersonen. Einerseits einen erfahrenen Polizisten. Er stuft die Schliessung als «unverhältnismässig» ein, kann nicht verstehen, wieso der Betreiber nichts Schriftliches erhält. Auch Heinrich Kuster, Inhaber des Hotel-Restaurants «Stalden» in Berikon und Vorstandsmitglied von «GastroAargau», ist erstaunt: «Von einem solchen Fall habe ich noch nie gehört.» Wie das AVS sagt auch er, dass es «des Öfteren» vorkomme, dass jene Anmeldung vergessen geht. «Dann wird es meist bilateral unkompliziert gelöst. Eine Schliessung im Nachhinein erscheint mir unverhältnismässig.»

Existenzbedrohend

Für einen Betrieb, der gerade erst eröffnete, ist eine solche Massnahme gar existenzbedrohend.

Auch ein Jurist kommt zum selben Fazit: Die Schliessung erscheint, falls nicht noch andere als jetzt bekannte Gründe vorliegen, als übertrieben, da es sich, soweit ersichtlich, einzig um eine administrative Unterlassung handelte. Bei einem solchen Verwaltungszwang besteht ein Anspruch auf eine Begründung und dies – wenn es die konkreten Umstände zulassen – schriftlich unter Angabe der gesetzlichen Grundlage. Eine abzuwendende Gefahr bestand nicht, da das Lokal gesundheitspolizeilich bereits geprüft war (Inspektion AVS am 15. Oktober) und dort offenbar keine gravierenden Mängel festgestellt wurden. Hinzu kommt, dass die administrative Unterlassung – es geht um die 30 Tage im Voraus zu erfolgende Bekanntgabe der dauerhaften Aufnahme eines Betriebs – umgehend nachgeholt wurde. Dasselbe Amt hatte jedoch ohnehin bereits Kenntnis, da es die Kontrolle am 15. Oktober schon vorgenommen hatte. Kurz gesagt: Es scheint, als wäre mit dieser Schliessung mit grossen Kanonen auf Spatzen geschossen worden.

Er hat wieder offen – doch Fragen bleiben

Fikret Jukic durfte am letzten Samstag – 8. November – wieder öffnen. Wieso es genau dieser Tag war, bleibt schleierhaft. Denn etwas Schriftliches hat er nach wie vor nicht. Jukic will sich nicht äussern. Einige Fragen bleiben ungeklärt. Beispielsweise: Wer hat diese Schliessung angeordnet? War es die Regionalpolizei Wohlen, die auf eigene Faust handelte? Oder war es die Gemeinde Wohlen, die ihrem eigenen Mieter damit gehörig eins auswischt? Egal, wie die Antworten auf diese Fragen sind, an der Unverhältnismässigkeit dieser Schliessung ändert es nichts. Und Jukic muss neu starten und hofft, dass er trotz dieser leidigen Geschichte nun endlich das machen kann, was er schon von Anfang an wollte: Die Menschen in seiner «Grill Ecke» empfangen und bewirten.


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