Ein Stück Himmel auf Erden
17.10.2023 MuriLeben auf den Tod gemalt
Wanderausstellung in der Klosterkirche zu Gast
Zwei ukrainische Kunstschaffende malen Ikonen von Heiligen auf Deckel von Munitionskisten. 14 ihrer Werke werden aktuell in Muri gezeigt.
Die Ikonografie hat ...
Leben auf den Tod gemalt
Wanderausstellung in der Klosterkirche zu Gast
Zwei ukrainische Kunstschaffende malen Ikonen von Heiligen auf Deckel von Munitionskisten. 14 ihrer Werke werden aktuell in Muri gezeigt.
Die Ikonografie hat in der orthodoxen Kirche eine lange Tradition. Neu interpretiert wurde diese von den ukrainischen Kunstschaffenden Oleksandr Klymenko und Sonia Atlantova. Seit dem russischen Angriff auf die Ostukraine und die Krim 2014 haben ihre Werke «Ikonen auf Munitionskisten» auch mit dem aktuellen Kriegsgeschehen eine traurige Realität erhalten. Die Wanderausstellung gastiert noch bis Ende Oktober in der Klosterkirche in Muri.
Die Wanderausstellung «Ikonen auf Munitionskisten − Hoffnung auf den Tod gemalt» feierte in der Klosterkirche Vernissage
Die ukrainischen Kunstschaffenden Oleksandr Klymenko und Sonia Atlantova machen Kunst gegen den Krieg: Sie bemalen Munitionskistendeckel mit traditionellen Abbildungen von Heiligen, sogenannten Ikonen. Damit schufen sie eine neue Form von Aktionskunst. 14 ihrer Werke werden aktuell bis 28. Oktober in der Klosterkirche ausgestellt.
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Satte, präzis aufgetragene Farben zeigen die Gesichter von Heiligen, betend oder in Aktion auf groben, holzigen Kistendeckeln. Darunter zu sehen ist unter anderem die barmherzig blickende heilige Mutter Maria, deren Gesichtsausdruck fast traurig scheint. Oder der Erzengel Michael, der im Himmelreich über einer brennenden Stadt die Waage der Gerechtigkeit hält. Es sind Kontraste, die einem beim Betrachten unter die Haut gehen. Denn beim Untergrund, auf dem sie verewigt worden sind, handelt es sich um Munitionskisten von der ukrainischen Front.
Einzige Ausstellung im Aargau
Gemalt von den ukrainischen Kunstschaffenden Oleksandr Klymenko und Sonia Altlantova stellen die Bilder Proteste gegen die russiche Angriffe auf ihre Heimat dar. Sie zeigen den Gegensatz von Leben und Tod und symbolisieren ihre Unmittelbarkeit im Kriegsgeschehen. Eine Sammlung ihres Schaffens ist seit mehreren Monaten als Wanderausstellung unter ihrem Namen «Ikonen auf Munitionskisten» in europäischen und Schweizer Städten ausgestellt. Nun gastiert sie in der Klosterkirche und macht damit zum ersten Mal im Kanton Aargau halt.
Untermalt wurde die Vernissage mit Musik des ukrainischen Cellisten Denis Severin und seinem Schüler ArtJom Ioanisyan sowie Gesängen eines ukrainischen Chors, bestehend aus Geflüchteten, die in Muri Schutz fanden. Eingeleitet in den Abend wurde nebst Pastoralraumleiter Karl Scholz von Michael Rahn, Pfarrer der reformierten Kirche Muri Sins, der die Ausstellung nach Muri holte. Das Gesagte für die anwesenden Ukrainerinnen und Ukrainer übersetzt hat Anna Hemme-Unger.
Dass die Ausstellung einen Platz in der Klosterkirche gefunden hat, sei kein Zufall gewesen, erklärt Rahn. «Wir suchten nach einem Ort, der zentral und für alle offen stehend ist, um die Kunst auch jedem und jeder zugänglich zu machen. Die Klosterkirche ist dafür ein idealer Ort.» An der Vernissage nicht anwesend sein konnten Sonia Atlantova und Oleksandr Klymenko, die aktuell in Kiew weilen.
Zwischen Leben und Tod
Das Malen von Ikonen hat in der orthodoxen Kirche eine lange Tradition. In diesem Verständnis eröffnen die Darstellungen von Heiligen ein Fenster zum Transzendalen und ermöglichen damit dem Betrachter, durch die Augen der heiligen Person die himmlische Perspektive zu erlangen. «Die Ikonen holen ein kleines Stück vom Himmel auf die Erde. Und das mitten im Krieg», erklärt Michael Rahn an der Vernissage. Gleichzeitig repräsentieren die Munitionskistendeckel den Krieg und das Leid, das er verursacht. Damit steht die Brutalität des Krieges in einen krassen Kontrast zur traditionellen Ikonenmalerei, die normalerweise auf einem goldigem Hintergrund verewigt wird. Das Gold, es symbolisiert das göttliche Licht. Der Munitionskistendeckel hingegen bedeutet Tod. «Die Kunstschaffenden malen das Leben auf den Tod. Damit verdrängt die Rohheit des Krieges das Göttliche und somit die Hoffnung nicht, sondern lässt auch in den dunkelsten Zeiten das Licht sehen.» Ursprünglich malten Klymenko und Atlantova die ersten Werke nach dem russischen Überfall auf den Osten der Ukraine und die Halbinsel Krim im Jahr 2014. Nun, mit dem Kriegsausbruch im Februar 2022, haben die Bilder nochmals eine dringlichere Aktualität eingenommen. Mit ihren Werken schaffen die Künstler durch ihre Verbindung von kriegerischer Aktualität und traditioneller Malerei eine moderne Kunstform, ein modernes Kunstprojekt. Michael Rahn zitiert Olexandr Klymenko, der es in einem Interview so formuliert hat: «Es ist eine Kunstaktion: Die Freiwilligen, die an der Front die leeren Kisten aufsammeln, sind am Kunstprojekt beteiligt. Wenn ich zu den Soldaten komme, begrüssen sie mich begeistert und fühlen sich nicht nur als Kanonenfutter.» Gleichzeitig wurden auch Elemente der westlichen Heiligenabbildung in ihre Werke eingebaut. «Wer Ikonen malt, der hält sich an die strengen traditionellen Vorgaben», weiss Michael Rahn, der selber Ikonen malt. «Doch die Kunst behält die Freiheit, Dinge neu zu interpretieren. Somit wurde hier eine neue Kunstform geschaffen.»
Die Ausstellung ist tagsüber in der Klosterkirche frei zugänglich. Werke können noch ersteigert werden. Auf Wunsch malen die Künstler bereits ersteigerte Werke nach. Für mehr Informationen kann sich an Michael Rahn (056 664 70 83; michael.rahn@ref-murisins.ch) gewandt werden.




