Ein wahrer Ort der Musik

  22.10.2021 Region Oberfreiamt

Das neue Künstlerhaus in Boswil ist offiziell eröffnet

Das Sigristenhaus ist neu das Künstlerhaus und neben der Alten Kirche das Zentrum des «Ortes der Musik». Die Eröffnung war ein Freudentag für alle, auch für Regierungsrat Alex Hürzeler.

Annemarie Keusch

Die Balken neben den Rednern sind schwarz, ein Zeichen für ihr Alter. Bauarchäologische Untersuchungen ergaben, dass das Holz vor über 300 Jahren geschlagen worden sein muss. Noch immer sind diese Balken Bestandteil des Hauses, das früher Sigristenhaus und neu Künstlerhaus heisst.

Auch Regierungsrat Alex Hürzeler ging in seiner Ansprache zur Eröffnung des Millionen-Projekts auf die lange Geschichte des Hochstudhauses ein. «Dass ein solches Haus erhalten wird, ist für mich als Kulturdirektor eine grosse Freude», verkündete er. Zig Nutzungen gehen auf das Gebäude oder Teile davon zurück, ob als Stall, als Wohnhaus oder neu eben als Ort der Musik.

Das neue Künstlerhaus bietet Platz für Büroräume, für Gästezimmer, für die Rezeption, für Säle. «Mit der Sanierung und dem Umbau findet das Haus Eingang in das Gebäudeensemble des Künstlerhauses Boswil», sagte Regierungsrat Alex Hürzeler. Er weiss, dass sich durch das neue Künstlerhaus neue Perspektiven und Möglichkeiten ergeben. «Der grosse Erfolg der Stiftung ist ‹mitschuldig› daran, dass schon länger ein ausgewiesener Bedarf an zusätzlichen Räumen bestand», führte der Regierungsrat aus. Es brauche Infrastruktur, um sich entwickeln zu können. «Die Wiederbelebung und Umnutzung des ehemaligen Sigristenhauses war eine einmalige Chance und zugleich kein einfaches, ja in seiner Komplexität ein fast unmögliches Unterfangen.»

Vor über zehn Jahren war es, als der Kanton der Stiftung das Sigristenhaus schenkte, mit der Auflage, dieses umzubauen und zu nutzen. In der Zwischenzeit ist viel passiert und nun steht das neue Künstlerhaus bereit. Als Ort der Geschichte, aber vor allem als Ort der Musik.


Geschenk wurde zum Geschenk

Nach zwei Jahren ist das neue Künstlerhaus fertiggebaut – und nun auch eingeweiht

5,3 Millionen Franken kostete der Umbau des Sigristenhauses. Nun ist dieser beendet. Entstanden ist ein Haus mit viel Charme, viel Holz und viel Platz für die Musik. Regierungsrat, Stiftungsratspräsident, Architekt und Denkmalpieger blicken zurück auf ein ambitioniertes Projekt. Die grosse Freude teilten an der Eröffnung alle.

Annemarie Keusch

Es ist wie so oft. Eigentlich. Wenn ein Projekt gelingt, sind die schwierigen Momente schnell vergessen. Wenn zur feierlichen Eröffnung die geladenen Gäste eintreffen, spricht niemand mehr von den Problemen, von den Zweifeln. Aber im Saal des neuen Künstlerhauses in Boswil gingen sämtliche Redner auf die nicht immer einfache Geschichte des Sigristenhauses, das zum «Künstlerhaus» wurde, ein. Übrigens heisst das bisher «Künstlerhaus» genannte Gebäude neu Gästehaus.

Stiftungsratspräsident Stefan Hegi sprach vom Geschenk, das der Kanton der Stiftung machte, kurz nachdem sie sich 2006 vom «Ort der Kultur» in «Ort der Musik» umbenannte. Die Stiftung erhielt die Chance, aus dem durch den Kanton gekauften Sigristenhaus etwas zu machen. «War es ein Geschenk?» Das fragten sich die Verantwortlichen im Laufe der langjährigen Prozesse wohl mehrfach. Hegi spricht eher von einer Aufgabe, einer Herausforderung höchsten Masses.

Erbautes hat seinen Preis

Die Arbeitsgruppe öffnete in den Anfängen die Perspektive, stellte sich Fragen zum gesamten Kirchenhügel, zum Betrieb, zur Erschliessung, zum Gebäude, zu den Nutzungen. Entstanden ist ein 8,8-Millionen-Projekt, das das Foyer genauso umfasst wie den Umbau des Sigristenhauses. Es folgten Vorstudien, die die Möglichkeit und Machbarkeit aufzeigten, und Wettbewerbe, die Architekt Gian Salis gewann. «Ein Glücksfall, für ihn, aber ganz sicher auch für uns», ist der Stiftungsratspräsident überzeugt. Er spricht von einer guten, konstruktiven Zusammenarbeit, sagt das Gleiche auch über den Dialog mit der Denkmalpflege, mit dem Kanton, mit den Gemeindebehörden.

Hegi sprach aber auch die finanzielle Situation an. «Das, was hier entstanden ist, hatte seinen Preis.» Private Geldgeber, Stiftungen und Sponsoren halfen. Ohne die finanzielle Unterstützung des Kantons wäre es schwierig geworden. «Ohne den Glauben vieler an unsere seit 2008 nach und nach entstandenen Visionen würden wir heute nicht hier mit Freude ein neues Künstlerhaus, einen wahren Ort der Musik, eröffnen können.»

Gehört zum Ensemble

Hegi sprach die Visionen an, die über die Jahre entstanden. Anbau, Teilabbruch, Nebenbauten, Verdichtung – was genau mit dem Sigristenhaus machen, war nicht von Anfang an klar. Entstanden ist ein laut Hegi «multifunktionales Gebilde in höchster Konzentration, und dies in einem äusserst filigranen Holzbau, erbaut aus Pfosten, Balken und Brettern».

Zurück blickten auch Architekt Gian Salis und Reto Nussbaumer, Kantonaler Denkmalpfleger. «Dieses Haus hat eine riesige Vorgeschichte», weiss Nussbaumer. Er kannte das Haus, als dieses noch von Stiftungsgründer Albert Rajsek bewohnt war. «Ich habe ihm immer mit Interesse zugehört, als er von der Geschichte des Hauses sprach, die er auch intensiv mitschrieb, in mehreren Bereichen», meinte Nussbaumer schmunzelnd. Entsprechend sei es für ihn ausser Frage gewesen, dass dieses Haus ins Ensemble der Stiftung gehöre, als Rajsek den Verkauf erstmals ansprach. Via damaligen Regierungsrat Rainer Huber kam der Kauf des Objekts durch den Kanton zustande.

Erinnerungen an das alte Haus hat auch Architekt Gian Salis. Er lächelt. «Muffige Vorhänge, da grünes Täfer, dort braun angemaltes. Räume ohne Tageslicht. Ich muss zugeben: Anfangs war ich schockiert.» Zudem habe er keine Ahnung von Hochstudhäusern gehabt. «Ich habe das Haus nicht begriffen.» Was laut Nussbaumer auch daran gelegen haben könnte, dass sämtliche Räume gefüllt waren mit Gegenständen.

Von kleinen Räumen bis zum grossen Saal

Nach und nach öffnete sich das Haus aber für Salis. Aus Plänen, Bildern und Fotos erstellte er ein Modell, entdeckte ein spannendes Rückgrat im Gebäude und fand heraus, dass über die Jahrhunderte vieles verbaut und verhängt wurde und längst nicht mehr original war. Nach dem Umbau ist das Künstlerhaus wieder näher am Original. «Alle Einbauten aus dem 20. Jahrhundert wurden entfernt und die rohe alte Struktur freigelegt.» Salis spricht von einem archaischen Bau mit Mittelpfosten, sagt aber auch, dass diese gerade für die musikalische Nutzung nicht immer problemlos waren. «Teilweise haben wir Balken gekürzt, zeigen das aber auch offen.»

Mit seinem Projekt bringt Salis alles unter ein Dach, die zig verschiedenen Nutzungen, die kleinen, introvertierten Räume und auch die grösseren Säle. Und das Publikum der offiziellen Einweihung wurde im grossen dieser Säle Zeuge der ersten Konzerte, die darin stattfanden. Zwei Kleinformationen der «Chaarts» und sechs Musikerinnen und Musiker des Jugendorchesters Freiamt sorgten für den musikalischen Rahmen. Schliesslich ist Musik das, was das Künstlerhaus ausmacht und belebt.

«Künstlerhaus hat sein Künstlerhaus»

Davon zeigte sich auch Regierungsrat Alex Hürzeler begeistert. «Nun hat das Künstlerhaus sein Künstlerhaus», verkündete er voller Freude. Hürzeler sprach von einem Tag des Feierns. «Das Haus strahlt innen wie aussen Eleganz, Charme und Wärme aus. Hier treffen Moderne und Tradition zusammen, das gefällt mir.»

Der ausgezeichnete Ruf und die lange Tradition der Stiftung würden dafür sorgen, dass die Ausstrahlung des Künstlerhauses Boswil weit über die Kantonsgrenzen hinausgehe. «Das Künstlerhaus ist bekannt dafür, ein Zentrum für klassische Musik, ein Ort der Begegnung, der Inspiration und der künstlerischen Auseinandersetzung zu sein», führte Hürzeler aus. Um sich weiterzuentwickeln, brauche es Infrastruktur. Infrastruktur, die mit der Fertigstellung des Umbauprojekts entstanden ist. «Das neue Künstlerhaus schafft nicht einfach neue Räume, sondern es greift den Charakter und die Energie des ganzen Ortes auf und gibt beides in vielschichtiger Eleganz wieder.»


Tag der offenen Tür

Morgen Samstag kann das ehemalige Sigristenhaus und neue Künstlerhaus am «Tag der offenen Tür» besichtigt werden. Die Tore stehen von 9.30 bis 17 Uhr offen. Das Haus wird auch von der musikalischen Seite her erlebbar sein. Sei dies bei einem Probenbesuch des Jugendorchesters Freiamt oder bei einem Auftritt der «Chaarts» oder aber mit Formationen aus dem Jugend-Sinfonieorchester Aargau im neuen grossen Probesaal. Die Kinder bekommen im kleinen Probesaal eine Geschichte, ebenfalls mit viel Musik, serviert und erfahren dabei allerlei über das Künstlerhaus und darüber, was dieses alte Haus schon alles erlebt hat. Die offiziellen Führungszeiten sind auf 10, auf 11.30, auf 14 und auf 15.30 Uhr festgelegt.


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