Eine Perle des Barocks
09.04.2024 MuriBlick in die Vergangenheit
Klosterführung beleuchtet Architekturgeschichte
Abt Plazidus Zurlauben realisierte vor über 300 Jahren das Oktogon der Klosterkirche Muri. Zu diesem Thema sprach Reto Nussbaumer, kantonaler Denkmalpfleger. ...
Blick in die Vergangenheit
Klosterführung beleuchtet Architekturgeschichte
Abt Plazidus Zurlauben realisierte vor über 300 Jahren das Oktogon der Klosterkirche Muri. Zu diesem Thema sprach Reto Nussbaumer, kantonaler Denkmalpfleger.
Wie gross der Einfluss von Abt Plazidus Zurlauben nicht nur auf den wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch auf die äusserliche Erscheinung des Klosters Muri war, sieht man heute am pompösen und reichlich verzierten Oktogon. Wie Plazidus Zurlauben dieses aus der bestehenden Kirche realisierte und was das für den Gebäudekomplex bedeutete, darüber informierte Reto Nussbaumer, Leiter der Denkmalpflege, zahlreiche Interessierte an einer öffentlichen Führung. --cbl
Der kantonale Denkmalpfleger Reto Nussbaumer sprach über die architektonischen Besonderheiten des Klosters Muri
Im Rahmen der Sonderausstellung «Von Söldnern, Geld und Macht», die Einblick in das Leben des Plazidus Zurlauben gibt, beleuchtete Reto Nussbaumer den Einfluss des Abtes auf die Klosterkirche. So entstand unter Zurlauben etwa das charakteristische Oktagon, das in seiner Form so einzigartig ist.
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Die grosse Kuppel des Oktagons ist ein besonderer Blickfang der Klosterkirche. Dynamisch und hell, verziert mit raffinierten Stuckaturen, vereint der Raum nicht nur aus kirchlicher und kunsthistorischer Sicht wesentliche historische Hinterlassenschaften, sondern hält auch aus dem Blickwinkel der Architektur viele Besonderheiten bereit. Um diese weiss Reto Nussbaumer, Leiter der kantonalen Denkmalpflege.
Bereits 18 Jahre ist Nussbaumer in der Bewahrung und Erhaltung der Aargauer Kulturdenkmäler tätig, wobei er in seiner Funktion als Leiter für das Kloster seit langer Zeit persönlich zuständig ist. Kein anderes Objekt hat Nussbaumer so eng begleitet wie das Murianer Wahrzeichen. «Eine Perle des Barocks», nennt Nussbaumer die Klosterkirche, die, anders als jene in St. Gallen und Einsiedeln, sich eher einer bescheideneren Bekanntheit erfreut. «Was eigentlich erstaunt – schliesslich weist das Kloster Muri eine der schönsten barocken Zentralbauten des Landes auf.»
Oktagon wurde «übergestülpt»
Dank seiner tausendjährigen Geschichte vereint das Kloster verschiedene Baustile aus unterschiedlichen Epochen, die bis heute nachweisbar sind. So wurden bereits in den 1930er-Jahren in der Krypta romanische Spuren belegt, während die ursprüngliche Klosterkirche gotische Elemente aufweist. Bis ins Ende des 17. Jahrhunderts bestand diese aufgrund der traditionellen Bauweise aus einem langgestreckten Hauptteil.
Doch dann sei mit Plazidus Zurlauben etwas geschehen, das die Architektur des gesamten Gebäudes wesentlich verändert habe, so Nussbaumer. Durch die vom Abt in die Wege geleiteten Erneuerungsarbeiten, mit denen er die besten Fachleute der damaligen Zeit beauftragt hat, namentlich den Tessiner Giovanni Battista Bettini als Stuckateur und Caspar Moosbrugger aus Einsiedeln als Architekten, wurde das mittlere Joch der Klosterkirche, das seit dem 11. Jahrhundert bestand, abgerissen und 1694 das Oktagon «aufgestülpt». «Dadurch ist ein Hybrid entstanden, der zwei unterschiedliche Baustile gekonnt miteinander vereint.»
Da durch die neue Form vor allem auf der Nord- und der Südseite der Kirche zusätzlicher Platz benötigt wurde, veränderte Zurlaubens Projekt andere Gebäudeteile, darunter hauptsächlich der aus der romanischen Zeit stammende Kreuzgang. Entstanden sind neue Altäre und die Loretokapelle. Damit entstand mit einer Spannweite von 20 Metern das grösste Oktagon der Schweiz.
Murianer Wappen ist falsch
Durch diese einschneidende Neugestaltung veränderte sich auch wesentlich die Wahrnehmung des Klosters. Die Grösse und die aufwendigen Arbeiten standen fortan sinnbildlich für den wirtschaftlichen Erfolg des Klosters. Dabei manifestierte Abt Zurlauben mit dem Anbringen seines Familienwappens im Oktagon seinen direkten Einfluss als Schirmherrscher über das Kloster. Eine Handlung, die auch auf das Auftreten und die Haltung des Plazidus Zurlauben schliessen lässt. «So trat der Abt nicht mehr mit dem einfachen Holzkreuz auf, sondern mit einem wertvoll verzierten Pektorale, das auch heute noch im Museum begutachtet werden kann. Und auch das in das Oktagon eingebaute Familienwappen Zurlaubens weist denkmalpflegerisch einen wichtigen Aspekt auf. So wurde bei der Restaurierung des Wappens ein Fehler begangen, der bis heute besteht: Das Wappen von Muri ist farblich nicht korrekt. «Immer wieder werden wir gefragt, wieso die Denkmalpflege solche Fehler nicht behebt», so Nussbaumer. Doch das sei ein ganz bewusstes Vorgehen. So herrscht in der Denkmalpflege unter anderem auch der Grundsatz, dass man verschiedene Zeitzeugen in einem Bauwerk erhält, die für die nachfolgenden Generationen zugänglich gemacht werden sollen. «Und da man die Klosterkirche in den 1930er-Jahren radikal zurück zum Zustand Ende des 17. Jahrhunderts restauriert hat, soll auch diese Spur erhalten bleiben, auch wenn sie ganz offenbar wissenschaftlich nicht richtig umgesetzt wurde.»
Einfluss, Macht und Geld – die Familie Zurlauben war eines der grossen Geschlechter ihrer Zeit, die ihre Heimat in der Stadt Zug hatten. Dort nahm sie wesentlichen Einfluss auf die Politik und generierte ein grosses Vermögen durch die Söldner, die hauptsächlich für das französische Königshaus gestellt wurden. Daraus ergaben sich enge Beziehungen, die auch im Zurlaubenhof im Festsaal bildlich festgehalten wurden. Später, im 16. und 17. Jahrhundert, kam die Einflussnahme in der Kirche hinzu, indem die Familie verschiedene geistige Oberhäupter stellte. So war Plazidus’ Onkel Abt im Kloster Einsiedeln, sein Patenonkel derjenige des Klosters Muri. Auch sein Bruder und seine Schwester waren Abt respektive Äbtissin. «Natürlich wäre eine solche wesentliche Veränderung nicht mehr möglich», erklärt Nussbaumer. Kommt hinzu, dass Zurlauben 1701 zum Fürstabt erklärt wurde und unter dieser Funktion geistliche und weltliche Kompetenzen untereinander vereinte.
Wichtige Einblicke in alte Zeiten
Blickt man auf die reich geschmückten Stuckaturen und Verzierungen der Wände, bleibt man vor allem an den prunkvollen Verzierungen hängen. «Dabei handelt es sich um Holzverzierungen, nicht um echten Marmor», erklärt Nussbaumer. Es sei eine typische Form der barocken Zeit gewesen, in der vor allem die Wirkung stimmen musste. «Materialechtheit ist erst seit dem 19. und 20. Jahrhundert ein wichtiger Teil der Architektur», erklärt Nussbaumer. Auch seien die Verzierungen nicht so gewesen. Die ganz spezifischen, tränenförmigen Goldverzierungen, welche die Elemente scheinbar nach unten ziehen, entstanden erst 50 Jahre später unter Fürstabt Gerold I. Haimb Mitte des 18. Jahrhunderts, der die Ausstattung im typischen Rokoko errichtete.
Noch bis in den Klassizismus hinein flossen Baustile in das immer wieder instand gesetzte Klosterareal. Auch gerade deshalb ist das Kloster, das durch sein grosses Alter verschiedenen Interventionen ausgesetzt war, von denkmalpflegerischem Interesse. «Burgen, Schlösser und Klöster wie auch die historischen Kirchen geben wichtige Einblicke, da sie über die Jahrhunderte verschiedene Eigentümerschaften, Nutzungen sowie Anpassungen miterlebt haben», so Nussbaumer.