Eine starke Verbindung
30.07.2021 KelleramtSommerserie «Auf den Punkt» am Postweg in Jonen
Einen historischen Ort traf der Dartpfeil der Redaktion auf dem Joner Dorfplan. Am Postweg vereinen sich zurzeit Vergangenheit und Zukunft. Diese Geschichte wird von starken nachbarschaftlichen Beziehungen geprägt.
Roger Wetli
Der Postweg ist eine kleine Sackgasse im Dorfteil «Winkel» von Jonen. Hier stehen alte Häuser neben solchen, die immer wieder sanft renoviert wurden. Hauseigentümer Albert Rüttimann ist im Dorf aufgewachsen und amtete von 1986 bis 1997 als Gemeindeammann. Er erinnert sich an seine Jugend: «Hier rund um das Restaurant Löwen war früher immer viel los. In der daneben liegenden Trotte spielten fast jeden Sonntag bekannte Ländlerkapellen. Ebenfalls gab es eine alte Kegelbahn. Und das Gebäude nebenan diente als Schlachthaus.»
150-jähriges Gebäude
Rüttimann wuchs im Unterdorf auf und kaufte das Haus am Postweg vor dreissig Jahren, als er und seine Frau eine Familie gründeten. Die vier Kinder wuchsen hier auf. Sein Gebäude wirkt auf den ersten Blick wenig historisch. Nur ein paar wenige Sichtbalken an den Fassaden deuten auf das wahre Alter des Hauses. «Es wurde wohl nach dem Brand von 1863 erstellt und ist somit ähnlich alt wie die Pfarrei. Der Gewölbekeller könnte aber noch älter sein. Vielleicht hatte er mehrere Brände weitgehend unbeschadet überstanden», mutmasst er.
Das Haus sei auf sandigem und damit isolierendem Boden gebaut. Probleme mit Hochwasser gebe es hier keine. Um mehr Wohnraum zu schaffen, liess er den Schopf zur Küche umbauen und ergänzte das Gebäude mit einer Garage. Für sein Amt als Stadtschreiber musste er 1999 nach Zug ziehen. Er hielt aber weiterhin regen Kontakt zu seiner Ex-Frau, den Kindern und den Nachbarn.
Der Nachwuchs ist längst erwachsen und ausgeflogen. Deshalb suchte seine Ex-Frau im letzten Jahr nach einer anderen Wohnform. «Dabei kamen wir mit unseren Nachbarn ins Gespräch und stellten fest, dass eine von deren Töchtern bald eine Familie gründet und deshalb nach einem gemütlichen Zuhause sucht», erzählt Rüttimann.
«Wir sind sehr glücklich, hier zu sein», lacht die 37-jährige Nicole Jost. Die Berufskünstlerin wohnte zuvor in einer Wohngemeinschaft in Zürich, ihr Partner Thomas Schibli in einem 20 Quadratmeter grossen Studio. «Da ich aber noch nicht selbstständig war und ein Büro bei meinem Arbeitgeber hatte, war das kein Problem für mich.» Mittlerweile führt Schibli seine eigene Werbeagentur und arbeitet weitgehend von zu Hause aus, wie auch Nicole Jost.
«Unsere beiden Leben wurden 2020 gleich zweimal umgestellt», blickt Thomas Schibli zurück. «Einerseits wurde im August unsere Tochter geboren, anderseits führte auch der Wegzug aus der Stadt zu ganz neuen Herausforderungen.» Und seine Partnerin ergänzt: «In der Wohngemeinschaft hatten wir zum Beispiel einen Gärtner. Was das an Arbeit bedeutet, haben wir unterschätzt.» Sie wirkt bei diesen Aussagen alles andere als unglücklich.
Josts Auszug aus der Wohngemeinschaft führte dort zu einer Rochade. Davon profitierte ein Sohn von Albert Rüttimann, der dank den engen Banden der beiden Familien jetzt dort ein Zimmer mieten konnte. «Zudem ist eine meiner Schwestern gleich alt wie eine von Albert Rüttimanns Töchtern. Sie kennt durch die gemeinsame Kindheit dieses Haus in- und auswendig und findet es jetzt teilweise komisch, dass ich jetzt hier wohne.»
Zurück zur Kindheit
Für ihren Partner ist der Umzug ins ländliche Jonen ein Zurück zu seiner Kindheit. «Aufgewachsen bin ich in Schübelbach in der Nähe des Obersees. Dieses Dorf ist durchaus mit Jonen vergleichbar.»
Albert Rüttimann findet es toll, dass das Haus jetzt von einer jungen Familie bewohnt wird. «Das Quartier erfährt seit einigen Jahren einen Generationenwechsel. Es erinnert mich an die Zeit, als wir hier eingezogen sind.» Und das Paar lacht: «Ja, es kann hier in der Umgebung schon mal sehr lebendig zu und her gehen. Wer lautes Kinderjauchzen mag, ist hier an der richtigen Adresse.»
Grund für diesen Wandel könnten die sanften Erneuerungen der historischen Bausubstanzen sein. Diese ermöglichen, dass in ehemaligen Scheunen moderner Wohnraum entsteht und man trotzdem noch die alten Dorfstrukturen erkennt. Dieses Joner Quartier ist im Inventar schützenswerter Ortschaften der Schweiz «ISOS» eingetragen. «Die alten Häuser verfügen hier über eine gute Bausubstanz. Denn das Joner Gewerbe hatte Geld», so Rüttimann. «Der Dorfbach trieb einst drei Mühlen an, was ein wichtiger Wirtschaftsfaktor war.» Zudem seien in der Taverne Waren auf dem Weg zwischen Baden und Zug umgeladen worden. «Man hat gehandelt, gewogen – und Zollgebühren verlangt.»
Massvolle Erweiterung
Auch Albert Rüttimann möchte sein altes Haus in absehbarer Zeit erneuern, mit Rücksicht auf die alte Substanz. «Eine meiner Töchter ist Architektin. Sie hat ausgerechnet, dass man mit einer massvollen Erweiterung des Volumens und mit einer Anpassung der Innenräume hier Platz für zwei Familien schaffen könnte. Das würde dem Zeitgeist der geforderten Verdichtung der Siedlungen entsprechen.»
Rüttimann gibt aber zu bedenken, dass dies nach der laufenden Revision der Bau- und Nutzungsordnung nicht mehr möglich sein könnte. «Im Quartier haben wir eine Interessengemeinschaft gegründet, die sich dafür einsetzt, dass das Quartier nicht zu einem Museum verkommt, sondern man mit Rücksicht auf die alten Strukturen auch hier zeitgemäss und attraktiv wohnen kann.»
Rüttimann weiss, dass die Häuser im Quartier alteingesessenen Einwohnern gehören, welche sie selbst bewohnen und nicht an Immobilienspekulanten verkaufen wollen. «Alle haben ein eigenes Interesse daran, dass das besondere Flair hier erhalten bleibt. Dazu braucht es keinen totalen Schutz wie von den Planern angedacht, sondern eine gewisse Gestaltungsmöglichkeit der Eigentümer.» So bleibt zurzeit offen, was genau mit der Liegenschaft mittelfristig geschieht.
Die Mieter Nicole Jost und Thomas Schibli freuen sich derweil, dass ihre bald einjährige Tochter ganz in der Nachbarschaft ihrer Grosseltern aufwachsen darf.