Eines von zwei Zuhause

  16.07.2021 Muri

Start der Sommerserie «Auf den Punkt»

Der Pfeil traf den Narzissenweg – und die Geschichte der 84-jährigen Cäcilia Haas, die sich nicht nur in Muri zu Hause fühlt.

In der Sommerserie «Auf den Punkt» werfen die Redaktoren dieser Zeitung einen Dartpfeil auf die Dorfkarte und begeben sich an den getroffenen Ort. Dort wird dann nach spannenden Geschichten gesucht. Eine abenteuerliche und spontane Sache.

Zum Start dieser Serie landete der Dartpfeil am Narzissenweg in Muri. Es ist seit genau 50 Jahren das Zuhause der mittlerweile 84-jährigen Cäcilia Haas. --ake


Zweite Heimat im Wallis

Sommerserie «Auf den Punkt» am Narzissenweg in Muri

Eigentlich mitten im Zentrum und trotzdem unscheinbar. Das ist der Narzissenweg. Unmittelbar an der Luzernerstrasse, aber nur über einen Kiesweg erschlossen. Seit 50 Jahren ist der Narzissenweg das Zuhause von Cäcilia Haas. Ein zweites hat sie im Walliser Lötschental gefunden – auch dank dem Sommerlager der Schule Muri.

Annemarie Keusch

Die frische Luft. Die Aussicht. Die vielen Bekannten, die zu Freunden wurden. «Mir gefällt es einfach dort», sagt Cäcilia Haas. Nein, sie spricht nicht über ihr Quartier in Muri, sondern über die Lauchernalp im Lötschental. Nicht, dass es ihr in Muri nicht gefällt. Seit über fünf Jahrzehnten ist das Klosterdorf die Heimat der gebürtigen Hägglingerin. «Zuerst in der Türmelen, später an der Eggstrasse und jetzt hier», sagt sie. Mit «jetzt» meint die 84-Jährige die letzten 50 Jahre.

Viel Zeit des Jahres, vor allem im Sommer, verbringt die Rentnerin im Wallis, in ihrem «Chalet Heidi». Wer den Murianer Narzissenweg googelt, der findet dieses Chalet mit wenigen Mausklicks. Cäcilia Haas lacht, bevor sie beginnt, die Geschichte zu erzählen, wie sie zu diesem Chalet kam. «Die Schule Muri ging jeden Sommer ins Lager ins Lötschental», weiss sie. Ihre vier Kinder waren auch immer mit dabei. «Weil wir ein Gartenbau-Unternehmen führten und ein kleines Lastauto hatten, wurden wir jeweils angefragt, Material ins Lötschental zu fahren», erinnert sie sich. In den Schulhäusern der kleinen Gemeinde Wilen, Blatten oder Kippel waren die Murianer untergebracht. «Wir schliefen auf dem Dachboden», sagt sie schmunzelnd. Das mittlere Wochenende der beiden Lagerwochen sei es jeweils gewesen. «Am Sonntag war immer Kuchentag, da kamen einige Eltern. Wir haben es schön gehabt.»

Mittlerweile kleine Touren statt grosse Wanderungen

Gewandert sind sie und ihr mittlerweile verstorbener Mann Bruno auch immer, wenn sie im Lötschental waren. Und auf einer solchen Wanderung lernten sie Leute kennen, die auf der Lauchernalp ein Haus hatten. «Wir trafen sie jedes Jahr wieder und blieben in Kontakt.» Bald kam die Anfrage, ob sie zusammen mit der anderen Familie ein Stück Land erwerben und darauf ein Ferienhaus bauen wollen. Cäcilia und Bruno Haas wollten. Das «Chalet Heidi» entstand. «Warum Heidi? Wir haben eine Tochter, die so heisst. Der Name gefällt mir einfach», sagt die vierfache Mutter und zehnfache Grossmutter. «Wir mussten dem Chalet ja einen Namen geben.»

Über 30 Jahre sind mittlerweile vergangen. Das Lötschental mit der Lauchernalp ist die zweite Heimat der Murianerin geworden. Erst vor wenigen Wochen war sie das letzte Mal im Chalet. «Putzen und die Betten sonnen», sagt sie. Grosse Wanderungen unternimmt die 84-Jährige nicht mehr, ihre kleinen Touren aber immer noch. «Es ist nicht mehr so lustig, seit einige Beizen geschlossen sind.» Ihre Touren passte sie an, damit diese nach wie vor an einem Restaurant vorbeiführen.

Im Sommer selten vermietet

Von Anfang an hat die Familie Haas das Chalet vor allem in den Wintermonaten vermietet. «Damit wir es überhaupt zahlen konnten.» Als Ausgangspunkt für leichte wie anspruchsvolle Wanderungen und als Geheimtip für Skifahrer in einem schneesicheren Gebiet mit Ski- und Snowboard-Schule wird auf der Homepage des Chalets geworben. «Wir haben schöne Skilifte und sogar eine Loipe», sagt Haas. Sie ist fast ein bisschen Lötschentalerin geworden. «Auch an den Dialekt gewöhnt man sich», meint sie schmunzelnd. «Aber wenn zwei Einheimische miteinander reden, muss auch ich mich konzentrieren.»

Im Sommer vermietet Haas das Chalet nur selten. «Da ist das auch weniger gefragt, weil die Leute eher für Tagesausflüge ins Lötschental kommen. Und wenn das Chalet im Sommer nicht vermietet wird, ist es sicher nicht besetzt, wenn wir gehen wollen», sagt sie. Mit «wir» meint Cäcilia Haas einerseits sich selber, aber auch ihre Familie, ihre Kinder. Ob tage- oder bei guten Wetterprognosen wochenweise – die 84-Jährige verbringt nach wie vor gerne Zeit im «Chalet Heidi».

«Faulenzen und lesen»

Cäcilia Haas ist rüstig. Die Vermietung ihres Chalets regelt sie noch ganz alleine. «Auch wenn es mit zunehmendem Alter schon etwas viel wird», sagt sie. Auch den Haushalt am Narzissenweg schmeisst sie alleine, ohne Hilfe. Tatkräftig war sie schon in früheren Jahren. Etwa, als sie neben der Erziehung der vier Kinder auch das Büro machte für das Gartenbau-Geschäft ihres Mannes, der dieses vom damaligen Murianer Gemeindeammann Otto Ziswiler übernahm. «Ich habe oft nachts oder am Sonntag gearbeitet», blickt sie zurück.

Und schon als 20-Jährige zeigte sich ihr Tatendrang. Rund ein Dreivierteljahr verbrachte sie in England. «Es hat mich einfach gereizt, Englisch zu lernen, auch, weil ich Französisch nicht mochte.» Ob ihre Eltern Freude hatten an diesem Plan? Cäcilia Haas lacht. «Zumindest hatten sie nichts dagegen. Und was hätten sie sagen sollen? Ich wäre sowieso gegangen.» Heute ist das Leben der 84-Jährigen ruhiger. «Faulenzen und lesen», antwortet sie auf die Frage, was ihren Alltag ausfülle. Regelmässig besucht sie ihre verbliebenen fünf Geschwister, die verteilt in der ganzen Schweiz leben. Und immer wieder reist sie ins Wallis, ins Lötschental, in ihre zweite Heimat.


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