Er lief sogar im Schlaf
20.04.2021 SportDer Angliker Ernst Vock ist eine regionale Lauflegende
Wo für andere die Sportlerkarriere aufhört, fing sie für Ernst Vock erst an. Mit 33 Jahren zum Laufsport gekommen. Mit 36 Jahren Mitglied bei der LR Wohlen geworden. Mit 50 Jahren Freiämter Sportler des Jahres. Und er läuft weiterhin.
Josip Lasic
Sportlich lässig erscheint Ernst Vock in der Clubjacke der LR Wohlen zum Termin mit dieser Zeitung. Gerade hat er die erste Impfung gegen Covid erhalten. «Ich hoffe, dass wir diese Pandemie bald hinter uns haben. Neben allem anderen fehlen mir auch die Laufveranstaltungen.»
Als Treffpunkt wurde der Friedensbaum in Wohlen vereinbart. Der Baum und Ernst Vock, sie haben einiges gemeinsam. Beispielsweise den Jahrgang. Der Friedensbaum wurde 1945 zum Ende des Zweiten Weltkriegs gepflanzt. 1945 kam auch der Läufer aus Anglikon zur Welt. 76 Jahre alt ist er mittlerweile. Ernst Vock beweist aber, dass Alter nur eine Zahl ist.
Zur LR Wohlen dank Chabi Burkart
Der Friedensbaum und Vock haben noch eine weitere Gemeinsamkeit. Die LR Wohlen. Für den Verein spielt der Friedensbaum eine grosse Rolle. Er ist Start und Ziel aller Vereinsläufe. Seit 1967 fand der traditionelle Pfingstlauf der LR Wohlen auch immer beim Friedensbaum statt. In diesem Jahr wird er erstmals in den Niedermatten durchgeführt.
Und Ernst Vock – für ihn spielt die LR Wohlen eine grosse Rolle. Er war aber bereits 33 Jahre alt, als er mit dem Laufsport anfing. Dem Verein ist er 1981, mit 36 Jahren, beigetreten. In einem Alter, in dem viele Sportler ihre aktive Karriere beenden. «Es war Chabi Burkart, der mich in die Läuferriege gebracht hat», erzählt Vock lachend. Der Angliker Vock wohnte eine Zeit lang in Wohlen. Wie es der Zufall wollte, waren er und die LR-Wohlen-Legende Burkart Nachbarn. «Er wusste, dass ich gern laufe, und hat mir immer wieder gesagt, dass ich doch der Läuferriege beitreten soll. Chabi war der Meinung, dass ich einiges an Läufen gewinnen könnte.»
Burkart sollte Recht behalten. Obwohl Ernst Vock ein Spätzünder war, konnte er eine erfolgreiche Karriere als Läufer hinlegen. Sein Geheimnis: «Man muss leiden können. Wer nicht leiden kann, hat auch keine Chance, vorne dabei zu sein.»
Sportler des Jahres mit 50 Jahren
Sein Karrierehöhepunkt war das Jahr 1995. Im Alter von 50 Jahren gewann er insgesamt 25 Strassen- und Bergrennen. «Ein paar zweite und dritte Plätze waren auch dabei», ergänzt er lachend. In der Kategorie Senioren III wurde Vock ausserdem Schweizer Meister über zehn Meilen. Zur Abrundung wurde er zum «Freiämter Sportler des Jahres 1995» gewählt.
Ernst Vock ist ein Phänomen. Neben dem Laufsport hat er im Strassenbau gearbeitet. «Oft habe ich mich gefragt, wie ich das schaffe. Den ganzen Tag körperlich arbeiten, am Abend trainieren und am Wochenende ein Wettkampf. Ich glaube aber, dass ich durch die Arbeit auch durchtrainierter war und eine gewisse Muskulatur mitbringen konnte. Vermutlich war das eher ein Vorteil als ein Nachteil.»
Keine Lust auf «Ecke ab»
Eine weitere Theorie von Ernst Vock, wieso er in diesem Alter noch so gut war: «Ich habe in jüngeren Jahren nicht gross Sport getrieben. Vielleicht konnte ich mich so aufsparen, um später meine Leistungen bringen zu können. Hätte ich mit 15 angefangen, wäre ich vielleicht mit 30 Jahren schon körperlich durch gewesen.»
Wobei es nicht ganz korrekt ist, dass er keinen Sport getrieben hat. Eine Zeit lang hat sich Ernst Vock als Turner versucht. «Wir Jungen mussten uns Sprüche anhören wie ‹du Halbstarker›. Das war eine andere Zeit. Mit jungen Sportlern ist man viel gröber umgegangen. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr darauf.»
Aus seinem Umfeld wurden ihm andere Sportarten vorgeschlagen. Beispielsweise Boxen. «Ich habe den Sinn dahinter nicht gesehen. Zum Zusehen finde ich Boxen interessant, aber das selbst machen? Dann hauen wir uns die Köpfe ein, ich kassiere einen Schlag und hab nachher eine Ecke ab? Es gibt ja genug Boxer, die ‹nömm ganz hundert› sind.»
Auch Schwingen wurde ihm als Sport vorgeschlagen. «Ich hatte zwar schon Muskeln, aber zum Schwingen muss man schon noch ein anderes Format mitbringen. Und wenn ich sehe, wie die sich verrenken und einander die Gliedmassen verdrehen – nein danke.»
Auf die Rigi raufund runtergerannt
Aber der Laufsport, der hat es ihm angetan. Besonders die Bergläufe. Obwohl er bei einem seiner ersten Bergläufe – dem Matterhornlauf – konditionell grosse Probleme hatte. «Im ersten Moment nach dem Lauf dachte ich, dass ich nie mehr bei so etwas mitmache. Etwas später dachte ich, dass es das letzte Mal war, dass ich bei einem solchen Lauf so schlecht ausgesehen habe.»
Diese Einstellung verhalf ihm auch dazu, so erfolgreich zu werden. «Ich hatte meine Gegner. Und ich habe gekämpft, bis ich die mal bezwingen konnte.» Der Matterhornlauf wurde einer der liebsten Bergläufe von Vock. «Die ganze Atmosphäre dort, die Aussicht mit dem Matterhorn, es war einfach wunderbar.»
Für Vock wurde das Laufen ein Teil des Lebens. Er startete lange Zeit fast jedes Wochenende an irgendeinem Wettkampf. «Meine Frau kam immer mit. Das war mir wichtig. Ich wollte sie nicht alleine zu Hause lassen. Und sie war stets dabei, egal wohin ich gefahren bin», sagt er und ergänzt mit einem Augenzwinkern: «Heute kommt sie nicht mehr mit.»
Der Angliker suchte sich auch immer neue Herausforderungen. Teilweise bestritt er sogar den Rigimarsch von Bremgarten auf die Rigi laufend. «Ich rannte auf die Rigi rauf und wieder runter. Das war schon hart. Einmal fielen mir auf dem Rückweg während dem Laufen die Augen zu. Ich hab während dem Rennen geschlafen. Ein anderes Mal war ich auf dem Rückweg dann doch zu müde und stieg in Sins in den Zug.»
Beeindruckend im hohen Alter
Manchmal fragt sich Ernst Vock, was er alles hätte erreichen können, wenn er früher mit dem Sport angefangen hätte. «Ich wollte immer noch mehr erreichen. Aber irgendwann macht der Körper nicht mehr mit.» Der Sport bedeutet ihm heute noch sehr viel. Er sagt, dass er am Ende eines Laufs das gute Gefühl hat, etwas geschafft zu haben. Deshalb trainiert er nach wie vor täglich.
Ernst Vock steht neben dem Friedensbaum. Wieder eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden: Aus dem zarten Pflänzchen von 1945 ist ein imposanter Baum geworden. Ernst Vock und der Friedensbaum, beide schaffen es auch mit 76 Jahren zu beeindrucken.