Es fehlen wenige Zentimeter

  19.02.2021 Sport

Leichtathletik: Kugelstösserin Julia Hammesfahr vom TV Wohlen vor der Hallen-SM am Wochenende

Drei Wettkämpfe, drei Bestleistungen. Die 18-jährige Julia Hammesfahr vom TV Wohlen ist momentan im Hoch. Die Kugelstösserin will an die nationale Spitze kommen. Ihr Trainer Rolf Stadler traut ihr dies zu.

Stefan Sprenger

Sie ist aufgestellt, erzählt gerne viel und schnalzt mit der Zunge, wenn sie sagen will: «Genau so ist es.» Julia Hammesfahr ist ein riesiges Kugelstoss-Talent. In dieser Saison läuft es superrund für die Sportkanti-Schülerin, deren Vater aus Deutschland stammt. Drei Wettkämpfe, drei Bestmarken. Zuletzt wirft sie die Kugel auf 13,23 Meter. Für sie war dies die neue persönliche Bestweite – und zudem ein neuer Aargauer Hallenrekord in der U20-Kategorie.

Zur Abwechslung babysitten

Hammesfahr lebt mit ihren Eltern und zwei Brüdern in Wildegg. Sie verbringt gerne Zeit mit Kollegen oder ihrem Freund. Und sie ist während sechs Stunden pro Woche als Babysitterin am Arbeiten. «Eine schöne Abwechslung neben Sport und Schule», meint sie. Seit wenigen Wochen darf sie Auto fahren. Angesprochen auf die neuen Freiheiten wegen des Führerscheins strahlt sie. «Eine tolle Sache», sagt sie. Jetzt kann sie allein ins Training nach Wohlen fahren.

Begonnen hat sie mit Kunstturnen. Dort wurde sie oft zusammengestaucht, wenn sie etwas falsch machte. Sie geht zum TV Wohlen und zeigt ihr Potenzial als Mehrkämpferin. Ihr grösstes Talent ist aber im Kugelstossen. Mit 15 Jahren wird sie erstmals Schweizer Meisterin – und das in der U16-Kategorie. Zum Glück für Hammesfahr besitzt der TV Wohlen eine absolute Wurf-Koryphäe namens Rolf Stadler. «Mein Sport-Papi», nennt ihn Hammesfahr. Stadler fordert und fördert die junge Athletin. Es folgten weitere Titel im Kugelstossen in der U18 und in der U20, dazu zwei Triumphe in der Halle. Hammesfahr holte bereits sechs Meistertitel. Aussergewöhnlich in diesem Alter.

2018 wirft sie die Kugel auf 13,99 Meter. Bitter: Ein Zentimeter mehr und sie hätte die Limite für die U18-Europameisterschaft erreicht. 2019 geht ihr Traum vom ersten internationalen Wettkampf trotzdem in Erfüllung. Hammesfahr darf an das EYOF in Baku. Das olympische Festival der Europäischen Jugend läuft aber nicht nach Wunsch. «Ich war meganervös und habe mir zu viel Druck gemacht», so Hammesfahr. Ihr Trainer und Mentor Rolf Stadler war nicht dabei, das sorgte zusätzlich für Unsicherheit.

Wie wichtig Stadler für die junge Athletin ist, spürt man, wenn sie über ihn spricht: «Menschlich verstehen wir uns super. Er ist immer für mich da, er motiviert mich, zeigt mir meine Fehler auf, ist ehrgeizig und ich kann mit ihm offen über alles sprechen», so Hammesfahr. Mental und sportlich ist Stadler nicht mehr wegzudenken aus ihrem Trainingsund Wettkampfalltag. «Ich mag ihn sehr, als Mensch und Trainer», sagt sie.

Stadler analysiert jeweils ohne Filter die Leistungen seines Schützlings. Letztes Wochenende schafft Hammesfahr die Weite von 13,23 Meter. Ein Top-Ergebnis. «Rolf schickte mir dann eine richtig detaillierte und heftige Analyse, was alles nicht so gepasst hat», lacht Hammesfahr. Sie ist froh um diese Inputs, denn nur so kann sie sich immer weiter verbessern. Stadler meint: «Es liegt klar noch mehr drin für Julia.» Er will das junge Talent voranbringen – auf gesunder Basis.

Ziel: Europameisterschaft

Julia Hammesfahr ist neben Dominique Berger die einzige Athletin des TV Wohlen, die Mitglied des Nachwuchskaders ist und darum normal trainieren darf. «Ein Privileg», meint sie. Bis zu sieben Mal pro Woche ist sie in den Wohler Niedermatten, trainiert Technik, Kraft und Ausdauer. Die negative Seite des Einzeltrainings: «Mir fehlt die Atmosphäre und der Zusammenhalt mit den anderen Leichtathleten vom TV Wohlen.» Die Positive: Ihr intensives Training scheint zu fruchten.

Am Wochenende finden in Magglingen die Hallen-Schweizer-Meisterschaften der Aktiven statt. Nur die Besten der Besten werden am Start sein. Ihr Ziel: «Einen guten Wettkampf zeigen.» Zwischen April und Juli gilt es ernst: Die Qualifikationsphase beginnt. Hammesfahr möchte im Sommer an die U20-Europameisterschaft in Estland. Dafür muss sie 13,75 Meter werfen. Dafür fehlen nur noch wenige Zentimeter. Schafft sie das? Hammesfahr schnalzt mit der Zunge. Trainer Stadler sagt: «Ich traue ihr das absolut zu.»

Sie müsste breiter werden: «Darauf habe ich keine Lust»

Reift hier ein riesiges Kugelstoss-Talent beim TV Wohlen heran? «Längerfristig kann sie zur nationalen Spitze gehören», meint Trainer Stadler. International hängt die Latte aber extrem hoch. Hammesfahr winkt ab. Im Sommer 2023 beendet sie die Sportkanti. Welchen Stellenwert der Sport dann für sie noch hat, weiss sie nicht. «Vielleicht werde ich wieder öfter Mehrkampf betreiben.» Um es bis zur Kugelstoss-Weltelite zu bringen, müsste sie enorm an Kraft und Breite zulegen. «Und darauf habe ich keine Lust.» International müsste sie über 18 Meter weit werfen, um es an einen grossen Wettkampf zu schaffen. «Das liegt ausserhalb der Möglichkeiten. Um das zu erreichen, müsste es nur noch den Sport im Leben geben. Und das ist nicht Julia», meint Stadler.

«Wichtig ist, dass Julia gesund bleibt und Freude hat»

Und das Oberhaupt der Wohler Leichtathleten zeigt mit seinen Worten eindrücklich, wieso er solch ein wertvoller Trainer ist: «Wichtig ist, dass Julia gesund bleibt und die Freude am Sport behält. Das ist aus meiner Sicht ein ebenso wichtiges Ziel.»

Solange Julia Hammesfahr an die Sportkanti in Aarau geht, wird sie ordentlich Gas geben im Sport. Sie will international an U23-Wettkämpfen teilnehmen und sich den Besten Kugelstösserinnen der Schweiz annähern. Am Wochenende an der Hallen-SM hat sie eine erste Chance dazu. Stellt sie im vierten Wettkampf ihre vierte persönliche Bestweite auf? Julia Hammesfahr lacht und schnalzt mit der Zunge.


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