Existenzangst versus Lebensbejahung

  19.01.2021 Leserbriefe

«Herr, gib mir Geduld, aber sofort» ist man ja versucht auszurufen angesichts der alles andere als einfachen Herausforderung, die das Covid-19-Virus darstellt.

Es liegt mir fern, da Rezepte zu verteilen und Beurteilungen vorzunehmen, wer was wie wo wann falsch gemacht hat. Denn irgendwo wäre wohl überall etwas zu finden, vom persönlichen Verhalten bis zu den politischen Entscheidungen. Von der oft gepriesenen Selbstverantwortung bis zu den sogenannten politischen «Zwangsmassnahmen». Dass demokratische Entscheidungsfindungen nicht zu den schnellsten, dafür zu den nachhaltigsten gehören, dürfte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, nach Jahrhunderten gelebter und erlebter Schweizer Praxis.

Was mehr Sorgen bereitet, ist eine um sich greifende Kaninchenangst, die sich vor der bösen Schlange kaum mehr zu bewegen wagt. «Wer in den letzten Dingen Geborgenheit findet, kann die zweitletzten etwas gelassener nehmen», schrieb der Theologe Romano Guardini einmal als Rechtfertigung einer gesunden und unkomplizierten Religiosität. Egal ob diese letzten Dinge aus einem erhofften Himmel bestehen oder in der Gewissheit, dass man – hoffentlich dank einer Liebesgeschichte – ins Dasein gerufen wurde: Die Gewissheit, dass man ein Leben leben darf und leben durfte, sollte ja den Weg freischaufeln für eine Lebensbejahung, die kreativen Lösungen eine Chance gibt. Lösungen, die sich sowohl an berechtigten materiellen Grundbedürfnissen als auch an nicht weniger elementaren immateriellen Werten orientieren.

Eine Lebensbejahung, die wagt, eingefahrene Muster aufzubrechen und die die Zukunft nicht mit Vergangenheitskonservierung gestalten will, sondern mit einer Kreativität, die auf dem basiert, was die Welt gesund macht, nicht, was sie krank macht. Eine Lebensbejahung, die sich sorgt und sich Sorgen macht, wie das gehen soll, und behördliche Massnahmen ernst nimmt.

Und ja, auch eine Lebensbejahung, die den Weg öffnet für ein Lebensende, das Erfüllung bedeutet und nicht Verzweiflung.

Martin Köchli, Weissenbach


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