Fast taub und blind, aber voller Ziele

  24.12.2024 Sport

Der Freiämter Christian Ackermann geht trotz Beeinträchtigungen seinen Weg im Spitzensport

Er sieht nur noch 1 Prozent. Und ohne Hörgeräte ist er taub. Dennoch bewältigt Christian Ackermann seinen Alltag mehr oder weniger selbstständig. Mehr noch: Auf dem Tandem hat der 32-Jährige grosse Ziele.

Stefan Sprenger

Auch das noch. Eine Herzmuskelentzündung. Die Heim-Weltmeisterschaft in Zürich vor wenigen Monaten konnte er aufgrund dieser Erkrankung nicht bestreiten. Für Christian Ackermann, einen ehrgeizigen Sportler mit hohen Zielen, war dies natürlich ein Rückschlag. Aber mittlerweile ist die Krankheit auskuriert, der Rückschlag vergessen und das nächste Ziel bereits definiert: die WM in Belgien 2025.

Usher-Syndrom lässt ihn immer schlechter sehen

Ackermann hat auf seinem Weg einige Hindernisse zu meistern. Nicht nur im Sport, sondern im ganzen Leben. «Ich bin seh- und hörbehindert», sagt er. Seit seiner Geburt ist er schwerhörig. Ohne seine beiden Hörgeräte ist er taub. Seit seinem 8. Lebensjahr ist zudem seine Sehkraft stark eingeschränkt. Das Usher-Syndrom, Typ 3, sorgt dafür, dass er immer schlechter, immer weniger sieht. Er selbst sagt: «Ich kann mich nicht daran erinnern, wie es ist, gut zu sehen. Und richtig gehört habe ich ohnehin nie. Was ich damit sagen will: Ich kenne es nicht anders und habe mich daran gewöhnt.» Er meistert sein Leben trotz den Beeinträchtigungen.

Er arbeitet bei der kantonalen Verwaltung in Aarau, hat dort einen Job in der Sachbearbeitung und Routinearbeiten, die sich täglich wiederholen. Auch in seinem Alltag in der Bremgarter Wohnung ist vieles eingespielt. Auch mithilfe seiner Freundin schafft er die meisten Alltagshürden. «Die meisten Dinge kann ich genau wie alle anderen Menschen tun. Deshalb will ich auch keine Spezialbehandlung», sagt Ackermann.

Heimat, Familie und Sport

Zwei Dinge sind ihm enorm wichtig. Einerseits die Heimat. Dies ist hier, auf und am Mutschellen. Er wuchs in Rudolfstetten auf, spielte dort auch Unihockey für den UHC Mutschellen. Sein Bruder, seine Eltern und ganz viele Freunde leben nach wie vor hier. «Deshalb war es für mich auch klar, dass ich in der Nähe eine Wohnung suche. Und Bremgarten ist perfekt.» Die Heimat, die Nähe zur Familie, das schätzt er sehr.

Und was in seinem Leben ebenfalls einen grossen Stellenwert hat: der Sport. Er war schon immer ein Bewegungsmensch. Er kann trotz Sehbehinderung Mountainbike oder Snowboard fahren. Dies geschieht eben in seinem eigenen, verlangsamten Tempo. Im Jahr 2021 probierte er eine Sportart aus, von der er zuvor kaum gehört hat: Paracycling. Angefangen hat es mit einer Trainingsfahrt auf dem Tandem, gemeinsam mit dem Nationalcoach. «Ich fahre gerne Velo. Und auf dem Tandem kann ich schnell fahren», sagt er lachend. Weil jemand steuert, der nicht eingeschränkt ist, kann er voll in die Pedalen treten. Beim Paracycling fährt jeweils eine sehbeeinträchtigte Person mit einem sehenden Guide auf dem Tandem. Ackermann nimmt in den letzten Jahren an zahlreichen nationalen und internationalen Rennen teil, darunter auch die Weltmeisterschaft 2023. Das Schweizer Fernsehen widmete ihm schon einen Beitrag.

Er will mehr – doch hat ein Problem

Ackermann wird immer besser. Er will mehr. Mehr trainieren. Mehr Rennen fahren. Doch nun kommen weitere Hürden ins Spiel: die finanziellen. «Paracycling ist mit hohen Kosten verbunden. Das Reisen, das Tandem, die Ersatzteile. Damit mein Leben ins Budget passt, muss ich 100 Prozent arbeiten. Und kann deshalb weniger trainieren», erklärt er. Ein Arbeitgeber, der ihn bei seinen Projekten voll unterstützt, wäre «ein absoluter Traum».

Egal ob auf dem Tandem oder im Leben: Christian Ackermann ist ein Kämpfer. «Das Durchhalten. Das Beissen auf dem Velo. Das Adrenalin. Das ist für mich Lebensqualität. Sport ist für mich Ausgleich, Freiheit. Ich kann raus in die Welt, kann meine Grenzen ausloten, darf die Schweiz repräsentieren, das ist alles so wunderbar», sagt er.

Er wird ehrgeizig seine Ziele weiterverfolgen, dabei, so viel es geht, trainieren und so sparsam wie möglich seinen Sport finanzieren. Und so wird er im August 2025 in Belgien an der WM starten. «Auch mit dem Ziel, das Paracycling bekannter zu machen. Vielleicht gibt es noch andere Menschen mit Beeinträchtigung, die nichts davon wissen. Ich war ja genau so und bin so glücklich, diesen Sport entdeckt zu haben.»

Christian Ackermann ist fast taub und fast blind. Mit viel Leidenschaft verfolgt er dennoch seine sportlichen Ziele, meistert seinen Alltag trotz Hindernissen mit Bravour – und führt ein glückliches Leben. Er ist einfach ein beeindruckender Mensch.


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