Füsse tun längst nicht mehr weh
03.06.2025 Region Oberfreiamt, PorträtZu Fuss quer durch Rumänien
Die Freiämterin Gesa von Hirschheydt wandert auf der Via Transilvanica
1400 Kilometer sind es total.
Noch rund eine Woche wird Gesa von Hirschheydt unterwegs sein. Sie erzählt von ihrem ...
Zu Fuss quer durch Rumänien
Die Freiämterin Gesa von Hirschheydt wandert auf der Via Transilvanica
1400 Kilometer sind es total.
Noch rund eine Woche wird Gesa von Hirschheydt unterwegs sein. Sie erzählt von ihrem Abenteuer.
Annemarie Keusch
Ganz nah an der ukrainischen Grenze ist sie gestartet. Putna heisst das Dorf, ein orthodoxes Kloster war der Ausgangspunkt. Nun fehlen ihr noch wenige hundert Kilometer bis zum Ziel, Drobeta Turnu Severin, an der serbischen Grenze. «Ich ersehne es nicht», sagt Gesa von Hirschheydt. Durch das Telefon ist ein Lachen zu vernehmen. Vielmehr sei sie wehmütig, wenn sie daran denke, dass das Ziel immer näher kommt und damit ihr Abenteuer ein Ende hat. Das Fernwandern faszinierte die junge Frau, die in Aristau aufgewachsen ist und später in Muri und zuletzt in Berikon lebte, schon länger. Via Soziale Medien wurde sie auf die Via Transilvanica aufmerksam. «Ich wusste nichts über Rumänien, und quer durch ein Land zu wandern, das reizte mich.»
Also legte sie los. Seit rund 50 Tagen wandert sie nun – alleine. Gesa von Hirschheydt schwärmt von den unterschiedlichen Landschaften, auf die sie als Biologin ein besonderes Augenmerk legt. Berge, Hügel, grüne Weiten. Aber sie schwärmt auch von der Gastfreundschaft und der Freundlichkeit der einheimischen Bevölkerung. Und sie erzählt von Begegnungen mit Bären. «Für eine brenzlige Situation sorgte aber das Aufeinandertreffen mit anderen Tieren», sagt sie.
Gesa von Hirschheydt wandert aktuell auf der Via Transilvanica und erzählt von ihren Abenteuern
Von Nord nach Süd – quer durch ganz Rumänien. 1400 Kilometer sind es. Wenige Hundert hat Gesa von Hirschheydt noch vor sich. Die 33-jährige Aristauerin wandert den ganzen Weg alleine. «Langweilig wird es nie», sagt sie. Nicht selten singt sie – zur eigenen Unterhaltung und um Bären fernzuhalten.
Annemarie Keusch
Da schlägt ihr Herz als Biologin höher. Wenn sie von der Natur erzählt, von der Weite. Etwa in Siebenbürgen, wo die Landschaft hügelig ist, grün. «Hier hat die Natur noch viel mehr Platz als in der Schweiz», sagt sie. Wiesen und Weiden seien weniger stark genutzt und es wimmle von Insekten. Sie erwähnt den Segelfalter. Eine Schmetterlingsart, die sie in der Schweiz erst einmal gesehen habe. «Hier kommt es vor, dass drei gleichzeitig um meinen Kopf schwirren.» Oder den Hirschkäfer. «So riesig. Das kannte ich bisher nur von Bildern.» Aber auch die Vielfalt an Vögeln sei riesig. Feldlerche, Wiedehopf. Oder Amphibien – Rotbauchunken und Feuersalamander. «Gefühlt ist hier das ganze Land eine ökologische Ausgleichsfläche», sagt sie. Die Landschaft sei vielfältig, mal bergig, mal hügelig, mal weit. Zweimal überquert die Via Transilvanica die Karpaten. Zu den 1400 Kilometern reine Distanz kommen also auch noch zig Höhenmeter dazu. Das schreckt Gesa von Hirschheydt nicht ab. Im Gegenteil.
Die Vorfreude, die sie vor dem Start des Abenteuers verspürte, ist auch jetzt, rund eine Woche bevor sie ihr Ziel im Süden des Landes erreicht, noch deutlich spürbar. «Ich freue mich nicht darauf, das Ziel zu erreichen. Viel eher ist es mit Wehmut verbunden», sagt sie. Das Weitwandern fasziniert die 33-Jährige schon länger. Drei Wochen am Stück war sie bereits auf dem Jakobsweg unterwegs. Auch den Korfu-Trail hat sie absolviert. Gestillt war ihr Wander-Hunger damit aber noch lange nicht. «Und jetzt ist die Gelegenheit ideal», sagt sie. Ende März endete ein Forschungsprojekt der WSL zum Thema Flechten, das sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin begleitete. Erst im August startet sie in einem neuen Projekt zur Ausbreitung von Flechten und Pilzen in England.
Seit rund 50 Tagen unterwegs
Zur Via Transilvanica inspirierte sie Christine Thürmer, die «meistgewanderte Frau der Welt». «Auf 25 Wegen um die Welt» heisst eines ihrer Bücher. Die Via Transilvanica wird dabei auch beschrieben, als mittellanger, vielseitiger Weg. Gesa von Hirschheydts Neugier war geweckt, auch weil sie kaum etwas über Rumänien wusste. Eine Natur erleben, die es in der Schweiz so nicht gibt, darauf freute sie sich. Eine Kultur erleben, die ihr bisher fremd war, darauf ebenfalls. Beides hat sie nun seit rund 50 Tagen. «Ich bin tief beeindruckt», sagt sie. Von den Landschaften natürlich. Aber auch von den Menschen. Als persönlich, charmant und heimelig beschreibt sie die vielen Gastgeberinnen und Gastgeber, die sie entlang der Route angetroffen hat. Interessiert seien sie, offen. Manchmal halten Autos an, um sie zu fragen, wohin sie unterwegs sei. Die Hand zum Gruss heben quasi alle.
Sich die Landschaft anschauen, Aussichten geniessen, sich bewegen – das macht für Gesa von Hirschheydt das Wandern aus. Natürlich bereitete sie sich auf das Abenteuer in Rumänien intensiv vor. Der grosse Vorteil: Die Via Transilvanica ist bestens betreut und beschrieben. Eine Applikation zeigt immer den eigenen Standort. Ein Wanderführer schlägt Etappen vor. So lag ihr Hauptaugenmerk bei der Vorbereitung bei der Ausrüstung. Sie legte eine Datei an, wog jede Socke, alles Gepäck genau ab. «Je weniger, desto besser», sagt sie. Ein neuer Rucksack und ein kleineres Zelt reduzierten ihr Gepäck auf total 10 bis 12 Kilogramm – samt Essen und Getränken. «Von Vorteil ist, dass der Weg nicht zwei Wochen lang durch unberührte Natur führt, sondern quasi täglich Dörfer passiert mit Einkaufsmöglichkeiten.»
Salz- und Flüssigkeitsreserven auffüllen
Oft findet Gesa von Hirschheydt in diesen Dörfern auch Übernachtungsmöglichkeiten. «Wirklich gezeltet habe ich bisher kaum», gesteht sie. Das bisweilen regnerische Wetter war dafür auch nicht wirklich einladend. Ein weiches und warmes Bett und eine Mahlzeit in netter Gesellschaft stattdessen zu verlockend. Mit dem zusätzlichen Vorteil, dass sie die lokale Küche kennenlernt. «Deftig», sagt sie, die in Aristau aufgewachsen ist. Ciorba etwa, ähnlich einer Suppe. Gemüse, Fleisch und Bouillon. «Das füllt nach einem langen Wandertag die Salz- und Flüssigkeitsreserven wieder auf», sagt sie. Mittlerweile hat sie gar Energie, um rund um ihre Übernachtungsorte auch den einen oder anderen Ausflug zu unternehmen. «Anfangs ging das gar nicht», sagt sie. Eine Salzmine besichtigen und sich dafür auf einen eineinhalb Kilometer langen Rundweg begeben – dafür reichte anfangs die Energie nicht. Mittlerweile macht sie auch einen Umweg, um eine der berühmten Kirchenburgen zu besichtigen. «Oder ich gönne mir auch hie und da einen halben Tag Pause, wenn der Weg an einer schönen Stadt vorbeiführt», sagt sie. Mal ins Museum, mal für einen gemütlichen Latte Macchiato in die Innenstadt. «Es ist ja nicht mein Ziel, so schnell wie möglich unterwegs zu sein.»
Und dennoch: Gut 24 Kilometer legt Gesa von Hirschheydt täglich im Durchschnitt zurück. «Ruhetage brauche ich längst nicht mehr», sagt sie. Zwölf Kilometer zu wandern, das komme mittlerweile fast Erholung gleich. Ihr Körper hat sich an die Strapazen gewöhnt. Die anfänglichen Blasen an beiden Fersen sind längst getrocknet und verkrustet, sodass sie nicht mehr schmerzen. Hie und da macht das Knie etwas Sorgen. «Aber eigentlich geht es mir körperlich hervorragend.» 37 Kilometer ist die grösste Distanz, die sie während eines einzigen Tages zurücklegte. «Das war nicht ohne», gesteht sie. Bis zu zwölf Stunden am Tag zu wandern, das ist für sie aber auch Routine geworden.
Von aggressiven Hirtenhunden umzingelt
Langweilig wird es ihr dabei nie. Weil die Landschaft derart vielseitig sei. Weil sie auf Vogellaute und Insekten achtet. Aber auch, weil sie weiss, dass die Via Transilvanica durchaus Konzentration voraussetzt. Vor den Bären warnen sie alle, vor allem in den Städten. «Als ich erzählte, ich sei alleine unterwegs, erntete ich gerade wegen der Bären nicht immer Verständnis», sagt sie. Aber sie habe weder jemanden getroffen, der diesbezüglich schlechte Erfahrungen gemacht habe, noch selber brenzlige Situationen mit Bären erlebt. «Wenn man sich an die Tipps hält, dann geht es gut.» Geräusche machen, um die Tiere nicht zu erschrecken, ist der eine Tipp. Gesa von Hirschheydt singt oft. So bemerken sie die Tiere auf wenige Hundert Meter Distanz und drehen von ihr ab. Natürlich hat sie auch Bärenspray dabei, hat ihn aber bisher nie benutzt. Vielmehr erzählt sie davon, wie faszinierend es sei, die Tiere auf Distanz zu beobachten.
Das heisst aber nicht, dass sie bisher von brenzligen Situationen verschont blieb. Die 33-Jährige erzählt von vielen Schafherden, die von Herdenschutzhunden bewacht frei in der Natur unterwegs seien. Bis zu 15 Hunde bilden das Rudel, um gegen einen Bären bestehen zu können. Als sie laut singend durch den Wald wanderte, kamen plötzlich sieben dieser aggressiven Hunde auf sie zu. «Sie dachten wohl, ich sei ein Bär.» Statt einfach weiterzulaufen, stellte sich Gesa von Hirschheydt rücklings an einen Baum. «Ich war in einem Schockzustand und versuchte mich möglichst nicht zu bewegen.» Auch das Spray benutzte sie nicht, wegen der Gefahr, die Hunde noch wilder und wütender zu machen. 20 Minuten habe es gedauert, bis ein Hund nach dem anderen wegtrottete. «Da wäre ich froh gewesen, nicht alleine unterwegs zu sein.» Es ist eine schwierige Erfahrung, die unter den vielen schönen fast untergeht.
Die Via Transilvanica, Rumänien – Land und Leute – haben es Gesa von Hirschheydt angetan. Letzten Mittwoch passierte sie die magische Zahl von 1000 Kilometern. Das Ende naht also. Ein Ende, das sie sich nicht herbeisehnt.