Ganz sicher fühlte ich mich nicht

  18.09.2020 Wirtschaft

Das Fliegen ist komplizierter geworden: Eine Reise in die Ferien nach Griechenland

Es fühlt sich illegal an. Im Zug werden wir kritisch beäugt. Das Rollen der Koffer erscheint mir unheimlich laut. Ich bin mit meinem Freund unterwegs an den Flughafen in Genf.

Chantal Gisler

Wir gehen in die Ferien. Nach Griechenland. Normalerweise würde ich meinen Whatsapp-Status aktualisieren und meine Freude auf die Ferien teilen. Doch ich lasse es. Ich möchte keine komischen Kommentare oder Nachrichten. Klar, es ist kritisch, während Corona zu reisen. Wir haben lange überlegt, ob wir gehen sollen. Wir entscheiden uns dafür.

Das Risiko schätzen wir als gering ein, denn wir haben nicht vor, in Griechenland gross herumzureisen. Wir werden im Ressort bleiben und uns zwischen Hotel und Strand bewegen. Ausserdem gilt Griechenland zu diesem Zeitpunkt als sicher.

Der Flughafen Genf ist fast leer. Gespenstisch. Gerade mal drei Checkins sind geöffnet. Die Gänge sind leer, die meisten grossen Ladenketten sind geschlossen. Am Gate warten keine Hundert Personen. Für uns überraschend: Im Gegensatz zu vorher im Zug tragen hier ausnahmslos alle eine Maske. Der Sicherheitsabstand wird im Wartebereich eingehalten. Doch der ist beim Boarding schnell vergessen. Die Menschen drängeln nach vorn. Wir warten und beobachten das Ganze. «So viel zu Corona», meint mein Freund. Fast als Letzte steigen wir ins Flugzeug. Zwei Reihen hinter uns sitzt ein junger Mann mit einer riesig grossen Maske, blauen Handschuhen und einer Schutzbrille. Das Flugzeug ist etwas mehr als halb gefüllt. Es sind vor allem Personen in meinem Alter, die reisen. Kinder oder Senioren sind kaum unter den Passagieren.

Der Betrieb läuft relativ normal

Das Flugzeug beschleunigt und kurz darauf heben wir ab. «Wie wird das wohl mit dem Essen und dem Getränkeservice?», fragen wir uns. Kann man das überhaupt verantworten? Wir haben uns mit Brezeln und Wasser eingedeckt. Wir erreichen die Flughöhe und die Flight-Attendants laufen mit den zollfreien Produkten durch den Gang. Gleich darauf kommen sie wieder und reichen jedem Passagier eine braune Tüte. Mich erinnert das an die Brottüten, die meine Mutter mir in der Primarschule mitgegeben hat. Darin finden sich ein trockenes, faustgrosses Brötchen mit Schinken, eine Viertel-Liter-Plastikflasche mit Wasser, ein Schokoriegel, Servietten, feuchte Handtücher und ein Blatt mit Hinweisen, wie man die Hygieneregeln einhält. «Wenn jetzt alle gleichzeitig die Maske abnehmen und essen, ist die Sicherheit auch dahin», meint mein Freund. Wir blicken uns um. Die junge Frau neben uns scheint ebenfalls verunsichert zu sein. Die grosse Menge macht sich offenbar keine grossen Gedanken und verspeist die trockenen Brötchen. Der Snackwagen kommt noch einmal mit Getränken vorbei. Alles ganz normal. Ganz sicher fühle ich mich aber nicht.

Durch den Flughafen gescheucht

Wir landen pünktlich in Athen. Noch bevor wir aufstehen können, geben die Flight-Attendants Anweisungen. Man soll das Flugzeug in drei Gruppen verlassen: Die vordersten paar Reihen gehen vorne hinaus, die hintersten paar hinten. Die Passagiere in der Mitte sollen warten, bis alle draussen sind. Vor dem Flugzeug warten drei Busse. Bei einem solch kleinen Flieger ist es normalerweise nur einer. Im Bus hängt an jedem zweiten Sitz ein Verbotsschild. Man soll Abstand halten. Die Flughafenmitarbeiter weisen darauf hin, dass man die Maske noch nicht ausziehen soll. Der Bus bringt uns zum Terminal.

Wir steigen aus und werden von den Mitarbeitern regelrecht durch die Sicherheitskontrolle gescheucht. Mit gebrochenem Englisch und wilden Gestikulationen wollen sie uns klarmachen, dass wir nicht stehen bleiben sollen. Der Sicherheitsbeamte schielt halbherzig in meinen Pass, die Maske muss ich nicht ausziehen. Eine Dame neben mir wird ausgewählt, um einen Coronatest zu machen. Sie wird in eine Kabine geführt, die mich an eine Umkleidekabine in einem billigen Outlet-Shop erinnert: auf Rollen und mit dünnem Plastikvorhang. Diejenigen, die nicht getestet werden, werden von drei Mitarbeitern zum Kofferband gescheucht. «Go, go, go!», ruft einer und läuft uns nach. Ich will kurz stehen bleiben, um mit meinem Handy ein Foto der Kabinen zu machen. Der Mann stürmt auf mich zu und weist mich harsch an, weiterzugehen.

Wir betreten die grosse Halle. Das Gepäck liegt schon auf dem Band – so schnell hatte ich meinen Koffer noch nie. Es ist heiss. Ich will mir ein Wasser kaufen, aber das geht nicht: Alle Läden sind geschlossen. Sogar der Kiosk und die Wechselstube. Der Athener Flughafen ist leer. Dennoch freuen sich die Griechen auf die Touristen. «Wir sind abhängig vom Tourismus», sagt uns ein Taxifahrer. «Für uns ist das eine schwierige Zeit. Aber wir hoffen, dass wir sie durchstehen.»


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