Gegen den Strom

  15.12.2020 Sport

Annick Kohler und das besondere Projekt

Annick Kohler bildet vier junge Männer für eine besondere Herausforderung aus.

Die Murianer Rudersportlerin Annick Kohler hat zahlreiche Erfahrungen auf dem Wasser gesammelt. Sie ist mehrfahre Schweizer Meisterin im Rudern, Instruktorin beim Ruder-Club Hallwilersee und ebenso in ihrem eigenen Ruderstudio in Muri. Trotz dieser Erfahrung betritt sie jetzt komplettes Neuland. Sie bildet vier junge Männer für eine Atlantiküberquerung in einem Ruderboot aus.

5000 km über den Atlantik zu rudern ist schon Herausforderung genug. Das Quartett will das Rennen allerdings noch gewinnen und dabei den Weltrekord holen. --jl


Kohler und die vier Grenadiere

Rudern: Die Murianer Annick Kohler und Yves Neupert bereiten vier junge Männer auf eine Atlantiküberquerung vor

Seit Kindheit ist Annick Kohler auf dem Wasser zu Hause. Die Murianer Ruderin hat in ihrer Karriere zahlreiche Schweizer Meistertitel gewonnen. Jetzt bereitet sie vier Extremsportler auf ein Rennen vor, das lebensgefährlich sein kann.

Josip Lasic

Sonntagmorgen. Alpnachstad im Kanton Obwalden. Am Ufer des Alpnachersees versucht eine Gruppe von Menschen, ein Boot ins Wasser zu lassen. Kein einfaches Unterfangen. Schnee liegt. Der Untergrund ist rutschig. Mittendrin: Die Murianerin Annick Kohler, mehrfache Schweizer Meisterin im Rudern. «Vorsicht, das ist kein Amphibienfahrzeug», sagt sie zu ihrem Lebenspartner Yves Neupert, der das Auto mit dem Bootsanhänger steuert. Er hat die Lage im Griff. Jan Hurni ist einer der vier jungen Männer, denen das Boot gehört. Er zieht sich trotz tiefer Temperaturen bis auf die Unterwäsche aus und geht in das extrem kühle Nass. Hurni unterstützt die Aktion aus dem See heraus. Mit Erfolg. Das Boot ist drin.

Der 26-jährige Seuzacher Hurni ist hart im Nehmen. Seine drei Kollegen ebenfalls. Das sind Roman Möckli, 26, aus Hinwil, Ingvar Groza, 25, aus Bern, Samuel Widmer, 26, aus Döttingen. Sie haben sich in der Grenadierschule in Losone kennengelernt und danach gemeinsam militärische Wettkämpfe bestritten. Jetzt stehen sie vor einer neuen Herausforderung. Dagegen erscheint ein Sprung in den eiskalten Alpnachersee harmlos. Ihr Ziel: Mit dem Ruderboot den Atlantik überqueren. Sie starten 2021 an der «Talisker Whisky Atlantic Challenge». Das Ruderrennen beginnt auf den Kanarischen Inseln und führt 5000 Kilometer über den Atlantischen Ozean zum Karibikstaat Antigua und Barbuda. Das Murianer Duo betreut die vier. Kohler als Rudertrainerin, Neupert als Teammanager.

Herausforderung für alle

«Ein enorm spannendes Projekt», sagt Annick Kohler. Die 42-jährige Murianerin trainiert die Truppe seit März 2019. Samuel Widmer, Polizist und einziger Aargauer im Team, hat Kohler zuvor angeschrieben, ob sie bereit wäre, sie zu trainieren. «Wir wohnen an verschiedenen Ecken der Schweiz und haben einen Ort zum Trainieren gesucht, der für alle zentral liegt. Wir kamen auf den Hallwilersee und den dort ansässigen Ruderclub, wo Annick Instruktorin ist», erklärt Widmer.

Die Freiämterin musste nicht lange überlegen. Kohler, die seit über 30 Jahren im Rudersport aktiv ist, sagt: «Es ist für mich eine komplett neue Erfahrung. Eine sehr Interessante. Die Jungs haben auch eine positiv einnehmende Art. Ich konnte ihnen das nicht abschlagen.»

Der Weltrekord ist das Ziel

Dass es diese Challenge wurde, hat das Team dem Maschinenbaustudent Roman Möckli zu verdanken. «In einem WK habe ich einen anderen Grenadier kennengelernt, der mit drei Kollegen dieses Rennen bestritten hat. Ich dachte, dass das etwas für uns ist.»

Ehrgeizig, wie die Grenadiere sind, reicht es nicht, den Atlantik zu überqueren. Sie wollen das Rennen gewinnen. Und den Weltrekord holen. Dieser liegt aktuell bei 29 Tagen, 14 Stunden und 34 Minuten und wird von vier Schotten gehalten. «Ich versuche zu erklären, dass es in Ordnung ist, wenn sie in 31 Tagen ins Ziel kommen», sagt Yves Neupert. «Der Atlantik ist unberechenbar.» Das weiss das Team. «Wir betonen den Weltrekord, damit wir unser Ziel nie aus den Augen verlieren», sagt Ingvar Groza. Wie Möckli ist auch er Maschinenbaustudent. «Uns ist bewusst, dass viele Faktoren eine Rolle spielen. Einige sind nicht kontrollierbar. Kommen wir ins Ziel und wissen, dass wir unser Bestes gegeben haben, sind wir zufrieden.»

«Herausforderung mit vielen Gefahren»

Jan Hurni, der beim Militär arbeitet und mittlerweile von seinem Schwimmausflug aus dem Alpnachersee zurückgekehrt ist, sagt: «Wir wollen das Ganze auf keinen Fall herunterspielen. Es ist eine grosse Herausforderung mit vielen Gefahren.» Neupert zählt einige auf: «Hohe Wellen, Haie, Nahrungsknappheit, Entzündungen, Blasen oder Salzwunden.» Die Gruppe ist sich dessen bewusst. «Wir haben eine Hierarchie unserer Ziele aufgestellt», erklärt Groza. «Wir wollen sicher ins Ziel kommen, als Kollegen ankommen und gewinnen. In dieser Reihenfolge. Wenn einer stirbt, sich schwer verletzt oder die Freundschaft kaputt ist, haben wir versagt.»

Die jungen Männer sind ehrgeizig, aber realistisch. Sie wollen an der Herausforderung wachsen. Das müssen sie auch noch. Ein weiterer Grund, warum Neupert und Kohler die vier unter ihre Fittiche genommen haben. «Sie sind sehr jung», erklärt Neupert. «Ihnen fehlt in einigen Bereichen die Lebenserfahrung. Deshalb fungiere ich als Teammanager. Ich helfe bei Dingen wie der Erstellung der Homepage, der Sponsorensuche, dem Crowdfunding. Damit hatten sie kaum Erfahrungen.» Kohler ergänzt lachend: «Mit dem Rudern auch nicht. Sie sassen vorher nie in einem Ruderboot. Ich musste ihnen alles von Grund auf beibringen.» Hurni drückt aus, wie froh das Team um die Freiämterin ist. «Wir sind Typen, die gern mit möglichst viel Kraft am Ruder ziehen und glauben, dass wir so schnell vorwärtskommen. Annick zeigt uns, wie wir technisch besser werden.»

Rudern für eine gute Sache

Die Sponsorensuche gestaltet sich schwierig. Neupert ist froh, dass das erste Crowdfunding erfolgreich durchgeführt werden konnte. «Bei der Sponsorensuche spüren wir die Coronakrise. Die Leute sparen Geld», sagt der Teammanager. «Es ist schade. Die Jungs kämpfen nicht nur für sich, sondern für einen guten Zweck.»

Sollte es bei der Challenge zu überschüssigen Einnahmen kommen, fliessen diese in die soziale Einrichtung «Kovive». Die Einrichtung gibt Kindern und Jugendlichen in herausfordernden Lebenssituationen Betreuung. «Wir stammen aus solchen Lebenssituationen. Deshalb ist es eine Herzensangelegenheit, diese Einrichtung zu unterstützen», sagt Groza. «Umso wichtiger ist, das Rennen zu gewinnen. Wir wollen das Boot verkaufen und die Einnahmen spenden. Ein Siegerboot verkauft sich leichter.»

In einem Jahr gehts los

Am 12. Dezember 2021 stechen sie in See. Für Annick Kohler wird das nicht leicht. Das Team gehört für die Murianerin zur Familie. «Wenn einer von ihnen nicht trainieren kann, springt Yves ein, damit sie zu viert sind. Nach Teambesprechungen kommen sie zu uns nach Hause und wir essen gemeinsam zu Abend. Noch bin ich nicht nervös. Sobald die Challenge startet, weiss ich, dass das Risiko mit ihnen rudert. Es wird nicht einfach sein mit dem Gedanken, dass vielleicht nicht alle zurückkehren.»

Um das zu verhindern, geben sie und Yves Neupert sich alle Mühe. Neben ihnen beiden unterstützt nur ein professioneller Krafttrainer die Vierergruppe. Den Rest machen Kohler und Neupert. Sie ist ausgebildete Ernährungsberaterin und schult das Team darin. Das Mentaltraining wird auch vom Murianer Paar übernommen. Und natürlich das Rudern. «Das teameigene Boot ist da und im See. Wir gehen jetzt trainieren. Es gibt viel zu tun in diesem Jahr», sagt die Athletin. Trotz ihrer Erfahrungen im Sport wird das Projekt auch für Annick Kohler eine besondere Herausforderung.


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