Gewürgt, geschlagen, gestohlen
09.07.2024 MuriHäusliche Gewalt und Diebstahl
Es war ein happiger Fall, der letzte Woche vor dem Bezirksgericht Muri verhandelt wurde. Und einer, der Zeit brauchte. Mehr als sechs Stunden dauerten die Einvernahmen und die Plädoyers, bevor sich das Gericht zur ...
Häusliche Gewalt und Diebstahl
Es war ein happiger Fall, der letzte Woche vor dem Bezirksgericht Muri verhandelt wurde. Und einer, der Zeit brauchte. Mehr als sechs Stunden dauerten die Einvernahmen und die Plädoyers, bevor sich das Gericht zur Urteilsbesprechung zurückzog. Zu 30 Monaten Freiheitsstrafe, 12 davon unbedingt, wurde ein Mann verurteilt – wegen gewerbsmässigen Diebstahls und wegen verschiedenen Delikten der häuslichen Gewalt.
Stritt häusliche Gewalt ab
Dem voraus ging eine emotionale Einvernahme der von ihm getrennt lebenden Ehefrau. Diese schilderte ein Leben voller Gewalt und Aggression. Gefährdung des Lebens war einer der Anklagepunkte, hat er sie doch bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Der Angeklagte stritt dies ab. Überhaupt sei er nicht der Typ, der anderen Gewalt antue. Geständig war er hingegen, was den gewerbsmässigen Diebstahl betrifft. 19-mal stieg er in verschiedene Gewerberäume ein und entwendete Geld. «Ich schäme mich.» --ake
38-Jähriger wegen gewerbsmässigen Diebstahls und häuslicher Gewalt vor Bezirksgericht
19 Einbruch- oder Einschleichdiebstähle, oft kombiniert mit Hausfriedensbruch. Hinzu kommen versuchte schwere Körperverletzung, Gefährdung des Lebens, mehrfache Tätlichkeiten und Drohungen. Das Bezirksgericht verurteilte den Beschuldigten zu 30 Monaten Haft, wovon 12 unbedingt sind.
Annemarie Keusch
Die Befragung der getrennt lebenden Ehefrau ist schwer zu ertragen. Immer wieder versagt ihre Stimme. Tränen kullern über ihre Wange. Dass sie das, was ihr Mann ihr antat, laut ausspricht, löst Emotionen aus – bei allen im Gerichtssaal. Sie erzählt, dass er sie immer wieder damit eingeschüchtert habe, dass ihr sowieso niemand zuhören, niemand glauben werde. «Ich hoffe, heute werde ich gehört», sagt sie. Es sei kein Leben gewesen, seit der Hochzeit, erzählt sie und zeichnet ein Bild eines aggressiven Ehemannes und Vaters. Einer, der keine Gefühle zeigte, auch für die mittlerweile 18-jährige Tochter nicht. Einer der laut war, zuschlug, wenn ihm nur kleinste Details nicht passten. Einer, der auch vor seinen Kindern nicht haltmachte, den Sohn etwa ohrfeigte, die Tochter immer wieder «packte», am Hals und im Gesicht. Einer, der auch sie regelmässig körperlich angriff. «Er hat es geschafft, meine Seele kaputtzumachen. Ich habe keine Schmerzen mehr gespürt.»
Gedroht mit Femizid
Drohung, Beschimpfung, Gefährdung des Lebens, Tätlichkeiten, Körperverletzung. So lauteten die Punkte in der Anklageschrift. Es ging um ein aufgenommenes Telefongespräch, bei dem er ihr drohte. Nach dem Femizid im März 2021 in Schafisheim habe er ihr gesagt, dass er verstehen würde, warum das passiert sei. Später wird der Beschuldigte sagen, dass er das nicht so gemeint und sich dafür auch entschuldigt habe. Im Zentrum stand aber ein Vorfall, bei dem er seine Frau bis zur Bewusstlosigkeit würgte. Der mittlerweile 10-jährige Sohn habe mit einer Schweizerfahne verhindert, dass mehr passiert sei, indem er damit dazwischen ging und der Vater von seiner Frau abliess. «Das hat der Sohn mir erzählt. Ich war da bereits bewusstlos», betont die Klägerin vor Gericht. Im Sommer 2022 ereignete sich dieser Vorfall. Fünf bis zehn Minuten sei sie bewusstlos gewesen. Im November des gleichen Jahres hat es die Frau geschafft, sich polizeiliche Hilfe zu holen.
Es gehe ihr mittlerweile viel besser, auch den Kindern. «Aber in Frieden lassen mich die ganzen Vorfälle nicht. Auch wenn ich weiss, dass er im Gefängnis ist, blicke ich mich trotzdem überall um, weil ich Angst habe, dass er wieder auftauchen könne. Doch das Lachen ist zurück.»
Angeklagter spricht von Schwachsinn
Von häuslicher Gewalt wollte der Beschuldigte vor Gericht nichts wissen. Immer wieder schüttelte er den Kopf, als Gerichtspräsident Markus Koch ihm Fragen stellte. «Das stimmt alles nicht.» Er spricht davon, dass das Schwachsinn sei, was seine Frau erzähle. Auch die Aussagen der Kinder stimmen nicht. «Ihre Mutter hat sie beeinflusst.» Mehr als ein Klaps auf den Po sei es nie gewesen. «Ich weiss nicht, warum sich alle gegen mich verschwören. Vielleicht will sich meine Frau rächen, weil ich vorgab, sie betrogen zu haben, damit ich mich von ihr trennen konnte.» Sie hätten oft gestritten. «Vor allem wegen finanzieller Probleme als Folge meiner Spielsucht.» Seine Frau wäre doch nicht mit ihm 18 Jahre verheiratet geblieben, wenn es so schlimm wäre. «Das akzeptiere ich nicht.» Stattdessen sprach er von einer Krankheit, wegen der seine Frau ohnmächtig wurde. «Das wollte sie aber nicht wahrhaben.» Er sei kein Mensch, der Frauen und Kinder schlage.
Die Staatsanwältin betonte, dass die Aussagen der Frau glaubhaft waren, mit jenen der Kinder übereinstimmen. «Vor allem, weil alle nur über Vorfälle aussagen, die sie selber gesehen haben. Sonst hätten sie ihren Mann und Vater noch viel mehr belasten können.» Das betonte auch der Anwalt der Frau. «Es kann keine Zweifel geben. Sie hat heute eindrücklich berichtet, was sie durchleiden musste.» Stattdessen sei es irritierend, dass der Beschuldigte glaube, irgendjemand würde ihm seine Aussagen abkaufen.
Nie in strafrechtlich relevanter Form handgreiflich
Der Verteidiger des Beschuldigten hielt daran fest, dass sein Mandant nie mit dem Tod gedroht habe und in strafrechtlich relevanter Form handgreiflich geworden sei. Zumal es in der Schweiz nicht verboten sei, die Kinder bis zu einem gewissen Masse körperlich zu züchtigen. Sein Mandat habe detailliert und anschaulich geschildert, dass er diese Vergehen nicht begangen habe. «Zudem haften an den Aussagen der Frau vernünftige Zweifel. Sie will sich rächen.» Zudem sei die Aufnahme der Drohung nicht verwertbar, weil sie ohne seine Einwilligung entstand. In ihrem zweiten Vortrag betonte die Staatsanwältin aber, dass sie ihm sagte, das Gespräch nun aufzunehmen. «Dann hätte er auflegen können.»
Freiheitsstrafe, Geldstrafe und Busse
Häusliche Gewalt war nicht das einzige Delikt, wegen dessen sich der Angeklagte vor Gericht verantworten musste. Gewerbsmässiger Diebstahl lautete der Hauptanklagepunkt. In der Anklageschrift ist von 22 Einschleich- oder Einbruchdiebstählen die Rede, viele in Boswil, einige in Muri und Bremgarten. Drei davon stritt er ab, bei den anderen war er geständig. Er habe Geld gebraucht. Wegen seiner Spielsucht. Zudem habe er nach der Trennung von seiner Frau den richtigen Weg verloren. Er bereue dies zutiefst. «Es war das Dümmste, was ich machen konnte. Ich schäme mich so sehr.» Vor allem, dass er bei Firmen einstieg, wo er arbeitet und die ihm halfen.
Die Staatsanwaltschaft beantragte eine Freiheitsstrafe von 40 Monaten, unbedingt. Auch weil er nicht von Anfang an geständig war. «Er hat immer nur das zugegeben, was ihm nachgewiesen werden konnte.» Der Verteidiger plädierte auf elf Monate Freiheitsstrafe. Vor allem, weil er die Gewerbsmässigkeit bestritt. Bei einer Deliktsumme von rund 7000 Franken ist diese nicht gegeben. Hinzu komme, dass die Vorfälle unregelmässig verteilt waren, zwischen dem 10. Juni und 3. November letzten Jahres.
In seinem Urteil wählte das Bezirksgericht Muri einen Mittelweg. Auf den vom Beschuldigten abgestrittenen Diebstählen folgte ein Freispruch, ebenfalls auf Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung, die mit diesen Vorfällen einhergingen. Verurteilt wird er jedoch in allen anderen Anklagepunkten. Auf 30 Monate Freiheitsstrafe lautet dieses Urteil, wovon 12 unbedingt sind. Die 246 Tage Untersuchungshaft werden ihm angerechnet. Hinzu kommt eine Geldstrafe, eine Busse, eine Genugtuung für seine Frau.
Weiterhin in Sicherheitshaft
Koch begründete das Urteil damit, dass für das Gericht die Gewerbsmässigkeit klar war. «Es geht um den angestrebten Deliktbetrag, der viel höher war als das gestohlene Geld.» Zudem sei das Gericht überzeugt, dass die Aussagen seiner Frau und seiner Kinder in Bezug auf die häusliche Gewalt wahr sind. Als Ersttäter sei ein Teil der Strafe bedingt auszusprechen – 18 der 30 Monate. Der Verurteilte bleibt in Sicherheitshaft, damit die Gefahr gebannt ist, er könnte sich ins Ausland absetzen und sich so der Strafe entziehen. «Obwohl Sie Schweizer sind, haben Sie hier Ihre Familie verloren und besitzen eine Wohnung in Ihrem Heimatland», begründete Koch. Er appellierte an den Verurteilten: «Ziehen Sie die Lehren aus diesen Vorfällen. Sie haben vier weitere Monate Zeit, sich zu überlegen, was Sie in Zukunft anders machen wollen, und tun Sie das dann auch.» Es werde schwierig, die familiäre Situation wieder zu kitten. «Seien Sie geduldig, sonst kommt es nicht gut.»
So will es der Verurteilte auch tun. Er habe drei Prioritäten, sobald er ein freier Mann sei, betonte er bei der Befragung. «Mich bei der Gemeinde anmelden, Arbeit suchen und Kontakt mit meinen Kindern aufbauen.» Zusammenfassend: das Leben in den Griff bekommen.