Goldhochzeit mit Madame Carillon
08.03.2024 Region OberfreiamtDer Glöckner von Aarau
Der Freiämter Hubert Schäpper spielt seit 50 Jahren das Carillon im Obertorturm
Es ist ein ganz besonderes Jubiläum: Hubert Schäpper ist seit fünf Jahrzehnten Carillonneur der Stadt Aarau. Das ...
Der Glöckner von Aarau
Der Freiämter Hubert Schäpper spielt seit 50 Jahren das Carillon im Obertorturm
Es ist ein ganz besonderes Jubiläum: Hubert Schäpper ist seit fünf Jahrzehnten Carillonneur der Stadt Aarau. Das wird in diesen Tagen gross gefeiert.
Celeste Blanc
«Man muss ein Gefühl für sie entwickeln. Lernen, mit ihr umzugehen. Dann bringt man, trotz der eher groben Spielweise, die sanftesten und schönsten Klänge hervor.» Wenn Hubert Schäpper über seine «Madame Carillon» spricht, ist es pure Leidenschaft. Es ist eine Liebe, die bereits ein halbes Jahrhundert anhält, die ihn seit jungen Jahren begleitet.
Seit Schäpper 17 Jahre alt ist, ist er in Aarau als städtischer Glöckner angestellt. Um die 30 Mal im Jahr lässt er das Glockenspiel im Obertorturm erklingen, umrahmt mit seinen Melodien Feierlichkeiten und läutet Volksfeste ein. Und spielt an aussergewöhnlichen Anlässen, so wie an der goldenen Hochzeit, die der 67-Jährige und seine «Madame» in diesen Tagen feiern.
Jubiläumslied komponiert
Zu den Festlichkeiten rund um das 50-Jahr-Jubiläum besuchen Weggefährten, Freunde, Familie, der Aarauer Stadtrat sowie Medien, darunter auch SRF und Tele M1, den Carillonneur bei seiner Tätigkeit. Das grosse Interesse daran freut Schäpper – schliesslich spielt er den Grossteil seines Lebens unbemerkt hoch oben im Obertorturm. Dieser ist morgen Samstag für die Öffentlichkeit zugänglich. Nebst Führungen findet auch ein Jubiläumskonzert statt, das der Carillonneur persönlich spielen wird. Dafür hat der pensionierte Musiklehrer eigens ein Stück komponiert. Ganz im Sinn der goldenen Hochzeit und getreu dem Jubiläum mit exakt 50 Silben und exakt 50 Tönen.
Seit 1974 lässt Hubert Schäpper aus Beinwil das Aarauer Glockenspiel im Obertorturm erklingen
Wunderschön ist der Klang, der an Feiertagen und besonderen Anlässen durch die Gassen von Aarau hallt: Das Glockenspiel des Obertorturms, dem Wahrzeichen der Stadt, ist eines der wenigen sogenannten Carillons der Schweiz. Seit 50 Jahren wird es von Hubert Schäpper gespielt.
Celeste Blanc
187 Stufen. So viele sind es, um das kleine Kabäuschen zu erreichen, das sich im obersten Stock des Obertorturms befindet. Hier, im höchst erhaltenen mittelalterlichen Stadtturm der Schweiz, gut 60 Meter über den Dächern der Altstadt, befindet sich die Musikkammer des Carillons. Und damit das aussergewöhnliche Arbeitszimmer von Hubert Schäpper.
Mehr als die Hälfte seines Lebens musiziert der pensionierte Musiklehrer an einem der seltenen Glockenspiele, das mittels Tastatur zum Läuten gebracht wird. Schäppers Leidenschaft ist nach all den Jahren noch immer ungebrochen. Auch wenn ihm das Erklimmen des Turms mittlerweile nicht mehr ganz so leicht fällt. «Früher bin ich praktisch hochgesprungen, heute muss ich es definitiv langsamer angehen. Immerhin ist es das perfekte Fitnesstraining fürs Alter.»
Er kennt den Turm wie seine Westentasche
Der Weg nach oben führt Schäpper vorbei an mittelalterlichen Gefängniszellen, weiter über eine Holztreppe zur Wohnung des ehemaligen Feuerwächters. Von da aus geht es über eine schmale Leiter in den 12. Stock. Gut 3000 Mal ist Schäpper den Turm in seinem Leben hoch- und wieder runtergestiegen, hat dabei um die 51 600 Höhenmeter erklommen. Kein Wunder also, dass er den historischen Bau wie seine Westentasche kennt. Zahlreiche Geschichten und Anekdoten weiss er über das 700 Jahre alte Bauwerk zu erzählen. «Und dass ich ein Teil davon bin, macht mich mächtig stolz.»
Oben angekommen, eröffnet der Blick durch das kleine Turmfenster eine atemberaubende Sicht über die Altstadt. «Es gibt wohl keinen schöneren Arbeitsplatz» meint der Carillonneur, und setzt sich auf das Bänkchen in der Kammer vor die hölzernen Hebel. An ihnen hängen die elf Glocken, die durch eine spezielle Hebefunktion zum Schwingen gebracht werden. Die zwei ältesten Glocken stammen aus dem 16. Jahrhundert, die lange die einzigen im Obertorturm waren. Erst 1968 wurden sie durch neun weitere Glocken ergänzt, die der Stadt als Geschenk von der Aarauer Glockengiesserei (heute Rüetschi AG) überreicht wurden. So entstand das Carillon, das seither zu Volksfesten wie dem Maienzug, der Bachfischete, an Feiertagen oder in der Adventszeit gespielt wird, erst vor gut 60 Jahren.
Viele glückliche Fügungen
Das Musizieren war schon immer Hubert Schäppers ganz grosse Leidenschaft gewesen. In Aarau aufgewachsen, spielte er bereits als Kind Flöte, später kamen Trompete, Posaune und Klavier hinzu. Als Teenager war er Teil einer Dixieland-Jazz-Formation, mit der er zahlreiche Auftritte in der Stadt hatte. «Die Musik bewegt Körper und Geist. Sie lässt tanzen und hat Einfluss auf die Stimmung. Deshalb ist sie so eine wunderbare Sache.» Berufsbedingt verschlug es den Aarauer als jungen Erwachsenen nach Jonen, wo er nach seiner Ausbildung als Lehrer unterrichtete. Später studierte er an der Akademie für Schul- und Kirchenmusik in Luzern Musik, die er an verschiedenen Schulen im Freiamt unterrichtete, so in Fahrwangen, Bremgarten und Muri. Seine neue Heimat fand er in dieser Zeit in Beinwil.
Auch wenn es Schäpper schätzt, dank seiner Anstellung als Carillonneur immer wieder in seine Heimatstadt zurückzukehren, ist er dankbar, dass ihn sein Weg ins Freiamt führte. «Es ist eine der vielen glücklichen Fügungen, die mir in meinem Leben widerfahren sind.»
Vom grossen Triumph und den nächsten Meilensteinen
Schäpper setzt sich ins Musikkämmerchen, blickt auf die Uhr. In vier Minuten schlägt die Stundenuhr Viertel vor neun. Um spielen zu können, muss der Carillonneur die Zeit genau im Auge behalten. «Ansonsten schlägt die Stundenglocke in das Stück, was die Melodie ruiniert», erklärt er. So nutzt er die kurze Zeit, um sich einzuspielen. Tonleiter hoch, Tonleiter runter. Mehrere Glocken gleichzeitig. Und der Klang dröhnt mächtig durch den Körper. Obwohl mit dem Carillon nur einfache Melodien gespielt werden können, liegt für den Musiker genau in ebendiesem Minimalismus die besondere Schönheit des Glockenspiels. «Trotz der Einfachheit ist es möglich, Volkslieder zu spielen, welche die Menschen kennen und die ihnen Freude bereiten. Das ist doch einfach genial.» Und genial sei auch, dass er diese Freude immer wieder zu spüren bekommt. Vor allem in der Adventszeit erhält er Nachrichten von Menschen, die sich ob seiner Musik erfreuen. «Einmal hat sich eine ältere Patientin aus der Hirslanden Klinik bei mir gemeldet und mir für das Spiel gedankt. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft, die heute noch nach 20 Jahren besteht.»
Zwischenzeitlich hat die Stundenglocke geschlagen. Für den Carillonneur bedeutet das, dass er loslegen kann. Beeindruckend flink spielt er die schweren Holz-Hebel. Dass er mit seiner «Madame» nun goldene Hochzeit feiert, ist für ihn ein besonderer Triumph. Und auch wenn er die Augen immer wieder offen hat für einen potenziellen Nachfolger, so denkt der Carillonneur aus Leidenschaft noch lange nicht ans Aufhören. Schliesslich feiert er im Dezember 2028 seinen 20 000 Arbeitstag im Dienste der Stadt Aarau. Oder, wenn alles gut laufe, lade er im März 2034 zur Diamanthochzeit ein.» «Die Zeichen stehen gut, schliesslich hält mich mein Arbeitsweg fit.»
Morgen Samstag, 9. März, wird von 11 bis 13 Uhr Hubert Schäppers Jubiläum öffentlich gefeiert. Interessierte können an Führungen durch den Obertorturm teilnehmen, während der Carillonneur am Glockenspiel musiziert.