Herz für rollende Kulturgüter
03.11.2023 MuriSeit über 100 Jahren steht der Name Louis Frey für automobile Geschichte
Hier ein Rolls-Royce Phantom II, der von Grund auf wieder aufgebaut, dort ein Lorenz Popp, Jahrgang 1898, der fahrtauglich gemacht wird. Die Garage von Louis Frey in Muri steckt voller ...
Seit über 100 Jahren steht der Name Louis Frey für automobile Geschichte
Hier ein Rolls-Royce Phantom II, der von Grund auf wieder aufgebaut, dort ein Lorenz Popp, Jahrgang 1898, der fahrtauglich gemacht wird. Die Garage von Louis Frey in Muri steckt voller Überraschungen.
Seit über 100 Jahren steht sie an der Aarauerstrasse in Muri, die markante Autogarage. Seit über 100 Jahren wird sie von einem Louis Frey geführt. In erster Generation hat der Grossvater die Motorisierung und Mechanisierung in Muri geprägt. In zweiter Generation entdeckte und förderte der Vater die Erhaltung von Klassikern. Und in der dritten Generation schliesslich setzte Louis Frey junior voll auf den Bereich Oldtimer. Oder, wie er es bezeichnet: den Erhalt von rollenden Kulturgütern.
Dabei könnte der Traditionsbetrieb, der «Gnadenhof für mechanische Geschichte», selbst schon als Kulturgut durchgehen, mit seiner Sammlung an historischen Fahrzeugen, Maschinen und Werkzeugen sowie den Dokumenten, die bis in die Gründungsjahre zurückreichen. Aber auch nur schon mit seinem charakteristischen Duft nach altem Öl und nach Pferdehaaren.
Handbuch aus den 30er-Jahren
«Mein liebstes Buch», sagt Louis Frey und zückt einen Wälzer aus dem Jahr 1930. Darin sind originale Einstellungsdaten für verschiedenste Fahrzeuge aus jener Zeit verzeichnet, wie man sie heute in dieser Verlässlichkeit nicht mehr findet.
Eigentlich wollte das Familienunternehmen dieses Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiern. Dabei stellte sich heraus, dass die Firmengründung offenbar schon 1919 erfolgte. Und die Chancen stehen nicht schlecht, dass die nächste Generation die ausserordentliche Geschichte fortführen könnte. --tst
«Oldtimer muss man erfahren»
Wenn das runde Jubiläum übertroffen wird: 104 Jahre Garage Frey
Wenn es um Oldtimer geht, ist Louis Frey ein Begriff – weit über die Grenzen des Freiamts hinaus. Das Familienunternehmen blickt auf eine lange Geschichte zurück, die erst noch hervorragend dokumentiert ist.
Sie wollten heuer das 100-Jahr-Jubiläum feiern, nun sind es aber offenbar schon 104 Jahre. Wie kamen Sie darauf?
Louis Frey: Weil wir immer noch am selben Ort sind, an dem mein Grossvater angefangen hat, wir also nie umziehen mussten, haben wir noch ganz viele Dokumente, aber auch alte Maschinen und Werkzeuge. Und als wir fürs Jubiläum einige dieser Dokumente aus der Gründungszeit heraussuchen wollten, stiessen wir auf Rechnungen und Dokumente, die belegten, dass der Grossvater schon 1919 angefangen hat und nicht erst 1923, wie schon mein Vater angenommen hatte.
Es muss faszinierend sein, in diesen alten Dokumenten zu stöbern.
Ja, wir haben auch aus den 20er- und 30er-Jahren noch alles dokumentiert. Zu Beginn hatte mein Grossvater die Telefonnummer 54. Bezüglich Mechanisierung und Motorisierung in Muri lief schon alles über ihn. Er hat nicht nur an Autos und Töffs geschraubt, wenn eine Nähmaschine kaputtging, hat er die sicher auch repariert (er lacht). Für die damalige Seilerei hat mein Grossvater eine Seil-Wickel-Maschine entwickelt. Weil nicht alle bar bezahlen konnten, wurde manches mit Aktien beglichen. Die Bauern lachen noch heute, wenn ich an die GV der Grastrockner-Genossenschaft komme.
Weshalb haben Sie sich auf Oldtimer spezialisiert?
Mein Vater hat schon viel mit Oldtimern gemacht. Ich bin mehr der Mechaniker als der Verkäufer. Die internationalen Erfahrungen meiner Frau Brigit helfen bei der weltweiten Suche nach Ersatzteilen. Wobei wir heute vieles selber machen. Als Oldtimer gelten ja Fahrzeuge, die über 30 Jahre alt und erhaltenswert sind. Aber wir sind da etwas verwöhnt: je älter und je verrückter, desto besser, sage ich mir. Es ist toll, zu solchen Fahrzeugen Zugang zu erhalten. Und obwohl wir eigentlich eine Autogarage sind, machen wir auch sehr viele Zweiräder.
Sie haben das Verrückte angesprochen. Wo ziehen Sie die Grenze?
Es käme uns nie in den Sinn, ein modernes Bremssystem oder gar einen Elektromotor in einem historischen Fahrzeug zu verbauen. Nur schon Innen-Sechskantschrauben haben an einem 1930er-Fahrzeug nichts verloren: Das wäre zwar besser, aber gab es damals noch nicht. Emotionen sind für viele Kunden wichtiger als Finanzen. Wir haben auch schon Kunden darauf hingewiesen, dass eine Restaurierung das Zwei- oder Dreifache des anschliessenden Verkehrswerts kostet. Wenn es um das Auto des Vaters oder des Grossvaters geht, ist das manchen egal.
Was macht für Sie das Oldtimererlebnis aus?
Das sind Kulturgüter auf Rädern. Zum Oldtimererlebnis gehört, dass man vor dem Starten des Motors dreimal pümpeln und hier und da hebeln muss, damit es läuft. Die Oldtimer wurden für die Fortbewegung geschaffen und so sollen sie auch erhalten werden. Unsere Fahrzeuge sind nicht nur Ausstellungsstücke, sondern werden tatsächlich gefahren.
Über die Jahre dürften Sie schon einiges gesehen haben.
Bis jetzt hatten wir 226 Marken. (Er zeigt eine Liste, von A.F.F, A.S.A., AC, Adler, Aero und Alfa Romeo bis Triumph, Turner, TVR, Unimog und Vauxhall.) Das älteste Fahrzeug mit Jahrgang 1896. Aktuell haben wir einen 1898er-Lorenz-Popp mit Glührohrzündung und Oberflächenvergaser bei uns sowie einen 1905er-Dufaux-Rennwagen, der erste mit Achtzylinder-Reihenmotor. Beide kommen aus der Sammlung des Verkehrshauses Luzern. Zudem bauen wir einen Rolls-Royce Phantom II von Grund auf neu. Früher musste man da alles mit Zeichnungen festhalten, damit man wusste, welches Teil wo hinkommt. Heute kann man den ganzen Prozess mit Digitalbildern vom Smartphone festhalten und so sämtliche Schritte dokumentieren. Egal ob Fiat 500 oder Ferrari, bei uns ist alles willkommen. Wir leben unser Oldtimer-Metier.
Wie findet man in dieser Nische das Personal?
Wir bekommen viele Bewerbungen, aber die Arbeit ist hart. Die Leute fangen bei uns im Grunde nochmals frisch an. Der Team-Mix ist gut: Wir haben einen Mitarbeiter, der ist über 60 und mit der damaligen Technik aufgewachsen. Der andere Mitarbeiter ist 29 und bildet sich jetzt berufsbegleitend weiter zum eidgenössisch diplomierten Fahrzeugrestaurator. Es ist wichtig, dass wir das alte Wissen weitergeben. Dazu waren wir auch Gründungsmitglied der Interessengemeinschaft Fahrzeugrestauratoren Schweiz (IgFS). Ich bin seither auch Prüfungsexperte bei der IgFS.
Was ist speziell an der Arbeit mit Oldtimern?
Wenn man ein Auto restauriert, investiert man im Extremfall mehrere Tausend Stunden Arbeit, aber materialmässig nicht viel mehr als vier Pneus und fünf Liter Öl. Wir leben also von der Arbeit, nicht von den Teilen. Und diese Arbeit wird bis ins angrenzende Ausland geschätzt. Die internationalen Kontakte haben uns viele Türen geöffnet, etwa bei Sauber in Hinwil und Ferrari in Maranello. Bis nach Holland hört man in Fachkreisen: Wenn es Probleme gibt – der Louis kann es richten. Und dass bei uns der Chef die Überhosen anhat, das zieht auch gegen Grossfirmen.
War für Sie selbst immer klar, dass Sie den Familienbetrieb übernehmen würden?
Als ich ein «Bodensuri» war, habe ich mit einer Berufslaufbahn als Schreiner oder Automech geliebäugelt. Als es dann so weit war, war mir klar, dass es in die Autobranche gehen sollte. Und ich würde heute wieder so entscheiden. In den 80er-Jahren haben noch viele Konkurrenten gespottet über den Frey und sein «Alteisen». Heute versuchen sich einige ebenfalls in der Oldtimersparte. Meistens fehlt aber die Überzeugung und die Erfahrung. Als Lückenbüsser bei fehlender Auslastung des Betriebes funktioniert das nicht.
Könnten Sie sich vorstellen, in einem modernen Autobetrieb zu arbeiten?
Nein, auf keinen Fall. Für einen Automech geht es fast nur noch um Software. Auch ein Autospengler ist eher nur noch «Teileaustauscher». Wir hingegen machen von Grund auf alles, das geht sehr stark auch in den Fahrzeugbau. Wenn es ein Teil nicht mehr gibt, dann stellen wir es selbst her. Und wir versuchen wenn immer möglich, auf alten Teilen aufzubauen, denn sie machen den Charakter aus. Das gilt auch für die Lackierung. Ich finde, das Alter soll sichtbar sein. Die Mona Lisa wird schliesslich auch nicht übermalt.
Weshalb hat sich der Standort Muri als geeignet erwiesen?
Früher führte hier eine Nord-Süd-Hauptachse bis ins Tessin durch. Heute ist der Standort wegen der kurzen Wege spannend. Wir haben in der Nähe Metallindustrie, Holzbearbeiter und einen superguten Sattler. Das sind wichtige Partner für eine Oldtimer-Garage. Zudem ist Muri ein sehr traditionsbewusstes Dorf, das auf seine Vergangenheit Wert legt.
Dazu passt Ihr Betrieb.
Gelegentlich kommen Leute in unseren Betrieb und fragen, was denn das für ein Museum sei (er lacht). Tatsächlich sind wir so etwas wie ein Gnadenhof für die mechanische und motorisierte Geschichte von Muri. So hat auch schon jemand sein 80-jähriges Velo abgegeben, das damals bei uns gekauft worden sei. Bei uns riecht es noch nach altem Öl und Rosshaar. Und wir wechseln grad das Logo zurück auf eine alte Vorlage.
Wie hat sich Ihre Kundschaft in letzter Zeit entwickelt?
Da findet ein Generationenwechsel statt. Ganz viele Leute haben altershalber verkauft oder an die nächste Generation abgegeben. Herausfordernd wird es, wenn die Jungen kein Verständnis aufbringen. Wer nicht in jungen Jahren die Freude an Oldtimern entdeckt, der wird auch später kaum Zugang finden. Mein Vater hat mir den ersten Oldtimer anvertraut, als ich 18 Jahre alt war. Wenn ich nach Italien fuhr, hat er mir ans Herz gelegt, ich solle mehr als den Autoschlüssel heimbringen ...
Welches Fahrzeug würden Sie sich gerne selbst zulegen?
Das wüsste ich nicht. Ob Sportauto oder Oldtimer, beides macht Spass zu fahren. Wichtig finde ich, bevor man sich etwas zulegt, erst auszuprobieren, ob einem das überhaupt liegt. Oldtimerfahren kann man nicht lernen, man muss es erfahren.
Wohin wird sich die Fahrzeugtechnologie entwickeln?
Elektrisch, hybrid oder mit Wasserstoff. Für Kurzstrecken sind batteriebetriebene Fahrzeuge schon eine gute Sache. Vernünftig fände ich eine Entwicklung zu kleiner, leichter und einfacher. Ein Elektrofahrzeug muss nicht über 1500 Kilo schwer sein und mehr als 100 PS haben.
Und was wird die 227. Marke in Ihrem Betrieb sein?
Das werden wir sehen ... --tst