Im Schatten der Geschichte
25.10.2024 Muri«Venus von Muri»: Unerhörte Frauengeschichten fesselten im Äbtekeller des Klosters
Umgeben von den Geschichten der männlichen Äbte brachten die Autorin Catherine Meyer und die Künstlerin Michaela Allemann in einem spannenden ...
«Venus von Muri»: Unerhörte Frauengeschichten fesselten im Äbtekeller des Klosters
Umgeben von den Geschichten der männlichen Äbte brachten die Autorin Catherine Meyer und die Künstlerin Michaela Allemann in einem spannenden Gespräch Licht ins Dunkle der mittelalterlichen Frauengeschichte.
Catherine Meyer wuchs in Bremgarten auf, um genau zu sein, im Haus des Abts Laurenz. Schon als kleines Mädchen sei sie durch die Gänge des Hauses geschlichen und habe sich für die Geschichte des ihr so bekannten Hauses interessiert. Mittlerweile hat sie den historischen Roman «Beben über der Reuss» veröffentlicht. Im Buch erzählt sie die Geschichten verschiedener Frauen, die in der Zeit der Reformation in katholischen Klöstern lebten. Die Künstlerin Michaela Allemann erhielt den Auftrag, für die Ausstellung «Venus von Muri» eine Skulptur zu schaffen. Dabei hat der Roman von Catherine Meyer sie inspiriert. Allemanns Skulptur besteht aus aufeinandergestapelten Büchern, die alle Namen von historischen Äbtissinnen tragen.
Eine der Geschichten, die Catherine Meyer an diesem Abend erzählt, ist die von Anna Heinrich, die gegen den Willen ihrer Mutter ins Kloster eintrat. Zu jener Zeit, im 16. Jahrhundert, war das Kloster die einzige Möglichkeit für eine Frau, eine schulische Bildung zu erhalten. Anna Heinrich war angetan von Büchern und dem Wissen, das sie verbargen. Die Reformation kam ihr gerade recht. Als sich ihre streng katholischen Vorgesetzten nach Luzern zurückzogen, erhielt sie Zugang zu verbotenen Werken, die ihr einen ganz neuen Blick auf die Welt eröffneten. Dazu gehörten Bücher, die von Frauen verfasst worden waren. Für sie war das eine Offenbarung. Das galt später auch für Catherine Meyer: «In der Schule fühlte ich mich veräppelt, da man nichts über die Frauen in der Geschichte lernte», erzählte sie.
Sich unterstützen, anstatt einander zu verraten
Eine weitere Power-Nonne ihrer Zeit war Margaretha Göldli. Ihre Mutter verstarb, als sie ein Kind war. Ihre Stiefmutter entschied, sie solle in ein Kloster gehen, da eine Aussteuer zu teuer wäre. Margaretha Göldli fühlte sich nicht wohl im Kloster, da die Nonnen ihr ihre Lebensfreude und ihre manchmal aufmüpfige Art übel nahmen. Sie hielt die Züchtigungen jedoch aus, nicht zuletzt auch dank ihren Freundinnen, die sie für ihre Art bewunderten und liebten. Später wurde sie zur Äbtissin gewählt, was sie nicht davon abhielt, später zu heiraten. «Die Frauen in meinem Buch hatten den Mut, ihren eigenen Weg zu gehen, in einer Zeit, in der dies undenkbar schien», erklärt Meyer. «Sie haben gelernt, sich zu unterstützen, statt sich zu verraten.» Dies sollten Frauen auch heute tun, findet Meyer.
Wenn man Catherine Meyer und Michaela Allemann zusammen sah, spürte man genau das: zwei Frauen, die sich gegenseitig unterstützen, um gemeinsam etwas zu erreichen. Auch die Skulptur von Michaela Allemann könnte passender nicht sein. Über den Bücherstapel hat sie die Pflanze «Jungfer im Grünen» gehängt, die einen bewegten Schatten auf die Wand wirft, ein Symbol für die Frauen im Schatten der Geschichte. Auch der Bücherstapel projiziert eine Leerstelle auf die Wand, wie jene in der Geschichtsschreibung, die die beiden Frauen mit ihrer Arbeit zu schliessen versuchen.
Frauen lösten Skandale aus
Auf die Frage, weshalb man sich für den Ausstellungstitel «Venus von Muri» entschieden habe, antwortet einer der beiden Kuratoren, Peter Fischer: «Die Venus ist ein Symbol für das Frausein.» Dieses Thema zog sich durch die gesamte Veranstaltung – es ging darum, was es bedeutete, im 16. Jahrhundert in der Schweiz eine Frau zu sein, und wie der Alltag dieser Frauen aussah. Meyers Buch gibt Auskunft zu diesen Fragen. «90 Prozent des Buches basieren auf Fakten, die anderen 10 Prozent habe ich mir ausgedacht», erklärte sie. Zur Entstehung des Buches sagt sie: «Es fühlte sich so an, als würde ich diese Frauen kennen, sie erzählten mir ihre Geschichten.»
Angesichts der Skandale, die diese Frauen damals auslösten, erscheint es unglaublich, dass diese Geschichten so lange brauchten, um Gehör zu finden. So lasen die Nonnen im Kloster die reformatorischen Pamphlete und diskutierten sie hitzig. Auch sie waren betroffen, als die Reformatoren postulierten, das Leben der Nonnen sei vergebens. Margaretha Göldli zog daraus die Konsequenz, das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben einzufordern und ihren Schuster zu heiraten. Der Weg zu einem selbstbestimmten Frauenleben war noch weit, doch diese Pionierinnen begannen, das Fundament der Emanzipation zu legen und uns die Freiheiten zu ermöglichen, die wir heute haben.
«Mittlerweile geht es vor allem darum, das Errungene zu schützen», sagte Catherine Meyer abschliessend. Dass die Arbeit in der Gesellschaft noch nicht getan ist, sei wohl allen klar. Doch die heutigen Frauen stehen auf den Schultern starker Frauen wie der Nonnen in Meyers Roman und sie bilden wiederum das Fundament für die nächste Generation. --gum