«In Würde sterben können»
22.07.2025 MuriLebensende in Würde
Anita Lanz hat Palliative Care vorangebracht
Sie hat beim Aufbau der Onkologie-Spitex der Krebsliga Aargau mitgewirkt, ist Mitgründerin des kantonalen Palliativforums, war im Gründungsteam des stationären ...
Lebensende in Würde
Anita Lanz hat Palliative Care vorangebracht
Sie hat beim Aufbau der Onkologie-Spitex der Krebsliga Aargau mitgewirkt, ist Mitgründerin des kantonalen Palliativforums, war im Gründungsteam des stationären Hospizes Aargau und – was kaum noch jemand weiss – hat auch in Muri auf dem Gebiet Pionierarbeit geleistet. Im Interview blickt Anita Lanz zurück auf die bewegte Geschichte, verrät aber auch ihren eigenen, ganz persönlichen Bezug zum Thema Sterben und Tod. --tst
Anita Lanz hat im Bereich Palliative Care Pionierarbeit geleistet – auch in Muri
An der Wanderausstellung Palliative Care, die zum 20. Todestag von Cicely Saunders in Muri lanciert wurde und nun durch den Kanton geht, ist Anita Lanz, Pflegefachfrau mit Spezialisierung auf ambulante Onkologiepflege, ein Abschnitt gewidmet. «Dass die Ausstellung in Muri eröffnet wurde, ist kein Zufall», sagt sie.
Thomas Stöckli
Welche Rolle spielt Muri in der Entwicklung der Begleitung sterbenskranker Menschen?
Anita Lanz: In der Pflegi haben wir bereits Anfang der 1990er-Jahre die ersten beiden Palliativ-Betten für die Region angeboten. Schon damals hatte mit Agatha Wernli eine Frau die Pflegi-Leitung inne. Sie war sehr gut und innovativ. Wir realisierten ein Mini-Hospiz für Palliativ-Patienten. Und ich durfte das damals betreuen. Aber das weiss heute kaum noch jemand.
Um die Jahrtausendwende waren Sie am Aufbau der Onkologie-Spitex der Krebsliga Aargau, des Palliativforums Aargau, der Palliativpflege am Spital Menziken und des stationären Hospizes Aargau im Reusspark aktiv beteiligt. Mit der Wanderausstellung wird nun auch Ihre Pionierarbeit gewürdigt. Was bedeutet Ihnen das?
Ich freue mich, dass ich mit 80 Jahren Anerkennung für meine Arbeit bekomme – und nicht erst nach dem Tod. Für den Aufbau der Onkologie-Spitex verdient allerdings Hans-Rudolf Stoll das Lob. Er ist der Gründer.
Und Sie haben das mit viel Herzblut mitgetragen. Woher nahmen Sie den Antrieb?
Als Schwester auf der Intensivstation habe ich viel erlebt. Auch schlimme Tode. Da ist mir bewusst geworden, wie wichtig es ist, dass Menschen in Würde sterben dürfen. Dazu gehört die Schmerztherapie. Aber das telefonische Verordnen von Morphin reicht nicht. Es geht darum, den Leuten zu helfen, dass sie zu Hause oder zumindest in einem guten Rahmen sterben können. Dass da jemand ist, der sie und ihre Bedürfnisse wahrnehmen kann. Dazu fehlt zunehmend die Zeit. Dabei brauchen alte Leute ganz viel Vertrauen, um sich jemandem offenbaren zu können.
Wie wurden Sie selbst mit dem Thema Sterben und Tod konfrontiert?
Ich weiss, wie es ist, die Eltern zu verlieren. Meine Mutter starb, als ich zwei Jahre alt war. Aufgewachsen bin ich bei den Grosseltern und später bei Onkel und Tante. Als junge Frau hatte ich dann eine Totgeburt. Wen ich noch nicht verloren habe, ist der Partner.
Sie selbst hatten in den 1990er-Jahren ein Nahtod-Erlebnis.
Das war nach einem schweren Skiunfall in Davos. Ich hatte mir zwei Rückenwirbel gebrochen und musste notoperiert werden. Beim Erwachen aus der Narkose habe ich mich selbst im Bett liegen gesehen. Eine Stimme fragte mich: «Bist du bereit, zu gehen?» Ich sagte Ja. Da hörte ich einen Knall und die Stimme sagte: «Du musst bleiben. Du hast noch viel zu tun auf der Erde.»
Das hört sich sehr abgeklärt an. Wie erleben Sie andere Menschen im Umgang mit Sterben und Tod?
Wir leben in einer Zeit, in der die Medizin das Unmögliche möglich macht. Die Menschen werden älter, dadurch sind auch das Sterben und der Tod im Alltag weniger präsent. Trotzdem – oder gerade deshalb – sind da Ängste. Ängste, die einem niemand nehmen kann. Man muss sich bewusst machen: Wenn es sein muss, dann werde ich gehen. Aber planen kann man das nicht. Es kommt immer anders, als man denkt. Man weiss nie, wie jemand reagiert. Ich mag mich an zwei Paare erinnern. Beim einen starb die Frau, beim anderen der Mann, unabhängig voneinander. Einige Jahre später habe ich die beiden Hinterbliebenen Hand in Hand bei einem Spaziergang im Wald wieder gesehen – als ganz andere Menschen. Das bestärkt mich im Vertrauen, dass Schicksalsschläge einen auch weiterbringen können. Wenn man mit offenen Augen durchs Leben geht, sieht man so viele tolle Sachen.
Zur Person
In Schweden aufgewachsen, wollte Anita Lanz die Welt entdecken. Weil sie die Gardemasse zur Flugbegleiterin nicht erfüllte, wurde sie Krankenschwester – und spezialisierte sich in der Schweiz auf die Begleitung von todkranken Menschen in ihren letzten Tagen. Ihre Erfahrungen hat sie in ihren Büchern «Ich möchte sterben mit einem Engel an meiner Seite» und «Wenn die Zeit gekommen ist, möchte ich selber entscheiden» (beide auf Schwedisch) festgehalten. Ihr Wirken wird auch in der aktuellen Palliative-Care-Wanderausstellung «Du zählst, weil du bist» zum 20. Todestag von Cicely Saunders gewürdigt. «Mit ihrer warmen Ausstrahlung vermittelt sie vielen Sterbenden auch heute noch ein Gefühl der Geborgenheit», heisst es da unter anderem über die Krankenpflegerin, die auch in Muri Pionierarbeit geleistet hat.