Junge Frau mit grossem Traum

  02.02.2021 Kelleramt

Joy Knecht holt sich zurzeit in Spanien das Rüstzeug zur Musical-Darstellerin

Musicals vermengen Tanz, Gesang und Schauspiel zu einem grossen Ganzen. Die 20-jährige Joy Knecht aus Unterlunkhofen ist nicht nur fasziniert davon, sondern auf dem besten Weg, dauerhaft selber auf der Bühne zu stehen. Dafür nimmt sie viele Opfer in Kauf. Ihr Studienplatz liegt in Spanien – rund 1000 Autokilometer von Unterlunkhofen entfernt.

Roger Wetli

Ihr Schulalltag beginnt mit einer Stunde Ausdauer- und Krafttraining. Diese mündet in Tanzstunden. Am Nachmittag werden die Stimmbänder mit Gesangs- und die Mimik mit Schauspielunterricht gefordert. Abends sind die Proben für die Aufführungen an den Semesterenden auf dem Stundenplan. «Es sind sehr intensive Tage», erklärt Joy Knecht per Skype-Telefonie. Ihre Augen glänzen dabei und strahlen die grosse Energie einer jungen Frau aus, die selbstbewusst ihren eigenen Weg geht.

Joy Knecht weiss, dass sie alles geben muss, um in diesem Geschäft nach der Ausbildung bestehen zu können. «Man trainiert sehr viel selber. Und je mehr man macht, desto besser wird man.» Dafür ging sie bereits über ihre Grenzen hinaus. «Ich musste lernen, auch mal Pausen zu machen und besser auf meinen Körper zu hören», gesteht sie.

Perfektes Englisch lernen

Um ihren Traum der Musical-Darstellerin zu verwirklichen, hat sie das beschauliche Freiamt verlassen. Ihr neuer Wohnort Sitges liegt am Mittelmeer in der Nähe zu Barcelona. Bis nach Unterlunkhofen beträgt die Autostrecke über 1000 Kilometer. «Ich habe immer mal wieder Heimweh», gesteht sie. «Trotzdem kann ich mir mittlerweile nicht mehr vorstellen, nicht immer hier gewohnt zu haben. Zu schön ist es hier.» Das Städtchen liege wie eine Perle am Meer. Es ist das erste Mal, dass Joy Knecht von zu Hause weg ist. «Ich bin hier selbstständiger geworden. Es ist bereits jetzt eine riesige Lebenserfahrung.»

Neben viel Selbstdisziplin lernt sie hier Englisch, dafür fast kein Spanisch. Denn das in Sitges angesiedelte «Institute of Arts» ist der «University of Liverpool» angesiedelt. «Die Studenten kommen aus der ganzen Welt. Ich lerne hier neben dem Rüstzeug zur Musical-Darstellerin sehr viele neue Kulturen kennen. Dieses internationale Umfeld ist sehr toll, zumal wir uns gegenseitig mit einheimischen Spezialitäten bekochen.»

Joy Knecht wohnt mit einer jungen Frau aus Oxford zusammen, die an derselben Schule Schauspiel studiert. «Dank ihr lerne ich das perfekte Englisch. Zudem verstehen wir uns blendend», lacht sie. Allerdings sei die Schule wie eine Blase, in der man nur mit wenigen Einheimischen in Kontakt komme. Und das, obwohl die Studenten nicht auf dem Universitätsgelände, sondern in der ganzen Stadt verteilt leben. «Ich gebe mir trotzdem Mühe, ein paar Worte Spanisch zu sprechen. Es wäre schade, wenn ich nach drei Jahren Ausbildung nur knapp ein Essen in der hiesigen Sprache bestellen könnte.»

Unbedingt auf die Bühne

Weltweit gibt es viele Schulen, welche künftige Berufs-Musical-Darsteller ausbilden. Dass sich Joy Knecht für das «Institute of Arts» in Sitges entschied, ist kein Zufall. «Ich absolvierte die «Musical Factory Luzern». Mit dieser Schule haben wir verschiedene Universitäten besucht. Viele befinden sich in Grossstädten wie London, Berlin oder Wien.» Sie sei aber überhaupt kein Stadtmensch, weshalb das übersichtliche und ländliche Sitges perfekt für sie sei. «Ich wohne direkt in der Altstadt und bin in vier Fussminuten am Meer».

An Musicals fasziniert sie die Kombination aus Tanz, Gesang und Schauspiel. «Um in allen drei Disziplinen gut zu sein und diese noch zu kombinieren, braucht es viel Durchhaltewillen», weiss sie. Angesteckt durch das Musical-Virus wurde Joy Knecht durch ihre Mutter. «Sie hat zu Hause solche Musik gehört und wir sind viele Musicals schauen gegangen. Irgendwann genügte es mir aber nicht mehr, im Publikum zu sitzen. Ich wollte unbedingt auf die Bühne.» Mit 13 Jahren begann sie deshalb mit Tanzunterricht und absolvierte danach die Sport-Matur. Das Studium in Spanien ist jetzt der logische nächste Schritt.

Mental stark gefordert

Ein sehr wichtiges Kriterium neben dem Ort war auch die Schule selbst. Ihr Schwerpunkt liegt beim Tanz, was der bewegungsfreudigen Frau sehr entgegenkommt. Auch das Schauspiel liebt sie. «Es ist faszinierend, einen Teil seiner Persönlichkeit aufzugeben und für eine kurze Zeit in eine völlig andere Biografie, Denkens- und Verhaltensweise einzutauchen. Das fordert mental sehr. Und es ist besser, wenn man zwar die Figur überzeugend darstellt, sie aber gleichzeitig nicht zu nahe an sich selbst heranlässt.» Sonst könne es problematisch werden. Sie weiss, wovon sie spricht. Als sie vor einiger Zeit eine Hexe zur Zeit der Hexenprozesse in Bremgarten darstellte, ging ihr deren Geschichte sehr nahe.

Aufgrund der Pandemie wurden jetzt seit fast einem Jahr keine Musicals mehr aufgeführt. Trotzdem hält Joy Knecht an ihrem Traum fest. «Zum Glück dauert die Ausbildung noch zweieinhalb Jahre. Bis dann sollte hoffentlich wieder Normalität herrschen», ist sie zuversichtlich. «Trotzdem sind alle Studenten sehr verunsichert. Zumal die spanischen Regeln zur Eindämmung des Virus noch härter sind als in der Schweiz.» Zwischen 22 und 6 Uhr herrscht zum Beispiel Ausgangssperre. In der Schule müssen Masken auch während der Tanzstunden getragen waren. «Das hat bei mir zu Beginn aufgrund von Sauerstoffmangel Kopfschmerzen verursacht, mittlerweile aber meine Kondition gestärkt.» Abnehmen dürfen sie die Masken nur im Schauspielunterricht. Aber auch da nur, wenn sie genügend Abstand zu den anderen Personen einhalten.

Joy Knecht ist nur schon dafür dankbar, dass ihrer Schule kein dauerhafter Fernunterricht aufgezwungen wurde. «Der spanische Staat hat alle Universitäten geschlossen. Bei uns anerkennt er aber, dass Tanz-, Gesang- und Schauspielunterricht nicht von zu Hause aus besucht werden kann.» Das habe allerdings zu Unmut in der heimischen Bevölkerung geführt. So wurde dem «Institute of Arts» vorgeworfen, das Virus in Sitges eingeschleppt zu haben. «Die Verunsicherung ist gross. Mittlerweile hat sich die negative Stimmung uns gegenüber wieder ein wenig beruhigt.» Joy Knecht weiss jetzt, wie es sich anfühlt, sich an einem Ort nicht willkommen zu fühlen.

Sich in der Schweiz etablieren

Sie sagt von sich, dass sie sehr gerne in der Schweiz ist. Trotzdem hat sie den Weg eines Berufes eingeschlagen, der von vielen ein «Nomadenleben» verlangt. «Das passt eigentlich nicht zu mir», gesteht sie diesen Widerspruch. «Mit einem Koffer von Engagement zu Engagement und von Ort zu Ort zu reisen, für einige Monate heimisch zu werden und wieder wegzuziehen, ist eigentlich nicht mein Ding. Aber das wird es wohl brauchen, um als Musical-Darstellerin von dieser Passion leben zu können.»

Mögliche Auftrittsorte nach ihrem Studium sind neben den bekannten Musical-Hallen Vergnügungsparks und Kreuzfahrtschiffe. «Ich bin gespannt, wo es mich hinzieht. Natürlich wäre es toll, mal am Broadway in New York oder im Londoner West End aufzutreten. Mein Traum ist aber ein ganz anderer.» Sie möchte sich in der Schweiz als Musical-Darstellerin etablieren. «Es gefällt mir sehr zu Hause, ich habe dort meine Familie und meinen Freund. Und in der Schweiz sind die Anstellungsbedingungen für unsere Zunft sehr gut.»

Auf dem richtigen Weg

Sollte es nicht klappen, hat sie zwar noch keinen Plan B, aber mit der bestandenen Matur viele Möglichkeiten für Weiterbildungen. «Das ist auch nötig, denn diesen Job macht man nicht bis ins hohe Alter. Irgendwann schafft man es nicht mehr, dieses Niveau zu halten», weiss sie. «Jetzt konzentriere ich mich aber voll darauf, Musical-Darstellerin zu werden.» Sie verzichtet dafür auf sehr vieles und erhält noch unglaublich viel mehr zurück. «Trotz aller Widersprüche und Opfer macht es einfach riesig Spass. Ich spüre, dass ich auf dem richtigen Weg bin.»


Lokal verankert und weltoffen

Die 20-jährige Joy Knecht besuchte die Sport-Kantonsschule in Luzern. Daneben absolvierte sie ihr Berufsvorstudium an der «Musical Factory» in Luzern. Der nächste Schritt zum Beruf der Musical-Darstellerin ist jetzt das Studium in «Musical Theater» am «Institute of Arts» im Städtchen Sitges, das südwestlich von Barcelona liegt. Neben vielen Schulprojekten wirkte Knecht 2017 im Musical «Cats» in Thun mit. Ihre Maturarbeit schrieb sie über einen Hexenprozess in Bremgarten. Diese Hexe spielte sie an einer Hexenturmführung, wofür sie auch den Text selber gestaltet hatte. --rwi


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