Kampfsportler aus Leidenschaft
16.12.2022 Sport, KampfsportKarate: Vor 20 Jahren gründete Heinz Muntwyler den Karate Club Anglikon
Der Karate Club Anglikon feierte in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Gründer und Dojo-Leiter Heinz Muntwyler hat viel für den Kampfsport in der Region geleistet. Er blickt auf ...
Karate: Vor 20 Jahren gründete Heinz Muntwyler den Karate Club Anglikon
Der Karate Club Anglikon feierte in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Gründer und Dojo-Leiter Heinz Muntwyler hat viel für den Kampfsport in der Region geleistet. Er blickt auf seine Karriere zurück. Schöne Momente, traurige Erlebnisse und kuriose Ereignisse prägten die letzten 45 Jahre.
Josip Lasic
Das Dojo des Karate Clubs Anglikon. Ein Ort voller Erinnerungen für Heinz Muntwyler. Die Fäden seiner Karriere laufen in den Trainingsräumen des Vereins an der Lägernstrasse Wohlen zusammen. Seit diesem Jahr mehr denn je. Im September fand dort ein Tag der offenen Tür statt. Der Anlass: Das Dojo des Karate Clubs Anglikon wurde am 21. April 2002 im Rahmen eines Tages der offenen Tür offiziell eröffnet. Zum 20-Jahr-Jubiläum wurde der Anlass wiederholt.
Und es gab einiges, worauf es sich zurückzublicken lohnte. Vor Kurzem hat Muntwyler von Andy Hugs Familie dessen erstes Karate-Gi erhalten. Dieses wurde im Dojo des Karate Clubs Anglikon in einem Schrein ausgestellt zu Ehren der Kampfsport-Grösse und eines guten Freundes, der in Muntwylers Karriere ein wichtiger und treuer Begleiter war. Angela Felber wurde für ihren 3. Rang an der Weltmeisterschaft geehrt. Die Sarmenstorferin ist eines der grössten Talente, die der Club hervorgebracht hat. «Sie ist in unglaublich guter Verfassung und trainiert enorm viel. Ich habe schon vor Jahren gesagt, dass sie sogar Weltmeisterin werden kann eines Tages», sagt Muntwyler stolz. Und seit Sommer trägt er den 5. Dan und Titel «Shihan». Das bedeutet so viel wie «Lehrmeister» oder «Vorbild». Diese Dan-Graduierung ist eine Ehrung seitens des Verbandes «International Federation of Karate» IFK Schweiz. Ein Dank für besondere Verdienste für den Kampfsport.
Segeln als neue Leidenschaft
«Momentan fokussiere ich mich sportlich mehr aufs Segeln», sagt der 65-Jährige. Seine Frau und der in Sarmenstorf wohnhafte Karateka haben beide den Hochseesegelschein abgeschlossen. «Wir haben eine Segelyacht bauen lassen. Im nächsten April können wir sie holen. Dann wollen wir von der Insel Rügen über Dänemark nach Spanien segeln.»
Muntwyler war schon früher sportlich vielseitig interessiert. Angefangen hat er mit Fussball beim FC Wohlen. «Als nichtfähiger Fussballer wurde ich in die zweite Mannschaft abgeschoben», erzählt er lachend. Zu dieser Zeit fängt er eine Lehre in Bremgarten an und kommt über einen Arbeitskollegen zum FC Bremgarten. «Der schöne Nebeneffekt war, dass bei der 800-Jahr-Feier der Gemeinde Wohlen das Derby zwischen Bremgarten und Wohlen auf dem Programm war. Ich habe das Siegestor für Bremgarten erzielt und ging danach feiern.» Wegen Komplikationen kehrt er dem Fussball den Rücken und sucht eine neue Sportart. Gefunden hat er das Kyokushin-Karate. «Ich ging zum Karate-Club Wohlen, um mir ein Training anzusehen. Als es zum Sparring kam, hat einer der Kämpfer einem anderen die Rippe gebrochen. Da dachte ich: ‹Geil. Das will ich auch.›»
Steiler Aufstieg und Raubbau am Körper
Als er mit Kampfsport beginnt, ist Muntwyler schon 20 Jahre alt. «Mir war klar, dass ich viel trainieren muss, um zu den jüngeren Karatekas aufzuschliessen.» Beim Karate-Club Wohlen findet er Gleichgesinnte, die ebenso hart trainieren wollen. Darunter der sieben Jahre jüngere Andy Hug. Das Pensum ist enorm. «Wir haben jeden Tag trainiert. Aber es hat uns schnell vorwärtsgebracht.» Zwei Jahre nach dem Einstieg in den Sport wird Muntwyler Mitglied der Schweizer Nationalmannschaft. Er gewinnt nationale und internationale Medaillen. «Und Andy war immer an meiner Seite. Die ersten Schweizer Meisterschaften, die ersten Kadertrainings, wir haben das zusammen erlebt und uns gegenseitig gepusht.»
Mit Erfolg. Mit dem Schweizer Nationalteam holen sie den Sieg an einem Vierländerturnier. Dort sehen sie, wie hart im Ausland gekämpft wird, und versuchen diese Härte beim Karate-Club Wohlen zu adaptieren. Dabei kommt es zum Bruch mit der damaligen Vereinsleitung. «Wir hatten in Wohlen sensationelle Kämpfer. Aber Karate hat viele Facetten. Man muss auf die Leute Rücksicht nehmen, die nicht so hart kämpfen möchten.» Heute, als Trainer, lebt er das vor. Damals verlassen er, Hug und einige andere Kämpfer den Verein und gründen den Karate-Club Bremgarten.
Muntwyler betont, wie sich der Kampfsport weiterentwickelt hat. «Wir haben viel Fitness- und Krafttraining betrieben. Aber wir hatten niemanden, der uns Instruktionen gegeben hat. Die einzigen Anleitungen, die uns zur Verfügung standen, waren Arnold-Schwarzenegger-Videos und Rocky-Filme.» Rückblickend bezeichnet er die Art und Weise, wie damals trainiert wurde, als Raubbau am Körper. «Die Trainingslehre war nicht annähernd so weit wie heute. So etwas wie Laktattests hätten wir nicht mal schreiben können, geschweige denn, dass wir wussten, was es ist.» Er erzählt von Karatekas, die trotz Verletzungen keine Schmerzen angezeigt haben. «Sie haben mir gesagt, dass sie schmerzstillende Mittel vor den Kämpfen spritzen.» Sportler, die er nach einem Jahr wiedergesehen hatte, hatten plötzlich extrem viel Muskulatur aufbauen können. «Sie zeigten mir Anabolika mit der Aufschrift: ‹Nur für Pferde›. Das ging zu weit. Als Schweizer waren wir die Deppen, weil wir keine solchen Mittel genutzt haben. Bei der Konkurrenz war man aber häufig in Versuchung.»
Mit der Legende an seiner Seite
Während all dieser Zeit an seiner Seite: Andy Hug. «Wir haben uns gegenseitig motiviert», sagt er lachend. Und bringt gleich ein Beispiel. An der Weltmeisterschaft in Tokio 1984 landen Hug und Muntwyler bei 192 Teilnehmern unter den besten 32. «Er hat mir gesagt, dass er seine Karriere beendet, wenn ich weiterkomme als er.» Das passiert nicht. Hug kommt eine Runde weiter als Muntwyler. Diese WM ist trotzdem sein grösster Erfolg. In der Runde der letzten 32 kämpft er mit der japanischen Karate-Legende und zweifachen Vize-Weltmeister Keiji Sanpei über drei Verlängerungen, bevor der Japaner knapp gewinnt. «Das war der dritte Tag des Turniers. Kämpfer haben vor lauter Schmerzen in der Kabine geweint. Ich wollte auch am liebsten nach jeder Verlängerung aufhören, habe aber durchgebissen.»
Ein Jahr später holt der Wohler an den Europameisterschaften und am Europacup jeweils Bronze. 1987 überredet ihn Hug, sich mit ihm auf die EM in Polen vorzubereiten. «Ich wusste, dass das mein letztes Turnier sein würde. Die erste Runde habe ich überstanden. Im nächsten Kampf habe ich mich plötzlich gefragt, was ich dort mache, was mir das überhaupt bringt. Dass mir so Gedanken kommen, hätte ich nie erwartet.» Muntwyler verliert den zweiten Kampf und beendet seine aktive Karriere. «Ich konnte mir darauf zwei Jahre lang keine Kämpfe ansehen und benötigte Abstand.» Er spielt in dieser Zeit Fussball beim FC Sarmenstorf, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Unterdessen startet Andy Hug richtig durch, wechselt ins K1. Obwohl sie nicht mehr gemeinsam trainieren, bleiben die Freunde stets in Kontakt. «In Japan habe ich ihn allerdings nie besucht. Ich wollte vorbeigehen, wenn er seine Karriere beendet hat. Während der Vorbereitung auf grosse Kämpfe hatte er wenig Zeit.»
Im Jahr 2000 steht fest, dass Muntwyler seinen Kollegen besuchen wird. Dann erkrankt die Kampfsportlegende an Leukämie. «Ich habe mit ihm telefoniert. Da hat er mir erzählt, dass er sich nicht besonders wohl fühlt, aber sich erholen werde. Wir haben gewitzelt, dass ich so eine Chance im Sparring habe gegen ihn. Wenige Tage später war er tot.» Am 24. August 2000 verstirbt Andy Hug. Die Gründung von Muntwylers eigenem Verein erlebt sein guter Freund nicht mit.
Ein dunkler Moment in der Trainerlaufbahn
Die Art und Weise, wie sich Hug und Muntwyler vor Kämpfen gepusht haben, würde er heute als Trainer nicht mehr anwenden. «Unsere Angewohnheit war, dem anderen zu sagen, ‹gegen deinen nächsten Gegner gebe ich dir höchstens zehn Sekunden, bis du k. o. gehst› und ähnliche Sprüche.» In seiner Rolle als Trainer wählt er eine positivere Herangehensweise. «Ich schotte die Kämpfer beispielsweise ab, damit sie sich die Duelle ihrer Gegner nicht ansehen. Sonst machen sie sich verrückt. Heutzutage mit Youtube ist das noch schlimmer, wo man sich alle Kämpfe ansehen kann.»
Vor einigen Jahren musste er dennoch einen Schicksalsschlag verdauen. Einer seiner Karatekas hat sich an den Schweizer Meisterschaften schwerer verletzt. «Er hat sich sehr seriös vorbereitet. Am Turnier traf er aber auf den damaligen Europameister aus den Niederlanden. Er ging übermotiviert in den Kampf und hat meine Anweisungen nicht mehr wahrgenommen.» Der Routinier aus Holland knockt Muntwylers Schützling aus. Anschliessend muss dieser mit einem Schädelbruch ins Krankenhaus eingeliefert werden. «Ich bin mit ins Spital. Das war eine sehr brenzlige Situation und hätte schlimmer enden können. Ich habe mich danach mit vielen Leuten aus meinem Umfeld unterhalten. Alle haben mir versichert, dass ich alles Mögliche getan habe, um das zu verhindern. Danach war viel Aufbauarbeit nötig, um ihn wieder zurückzubringen.»
Der Familienmensch
Seine Zeit als Trainer hat ihm allerdings auch viel Positives gegeben. Viele Karatekas, die er ausbilden konnte und die ebenfalls grosse Erfolge feiern konnten. Neben Angela Felber hebt er seine Tochter Simone hervor, deren Entwicklung ihn mit Stolz erfüllt. «Sie ist wie ich ein Lebemensch, der neben dem Training auch Spass hat. Und dennoch ist sie im Karate sehr diszipliniert. Ihr ist der Sprung vom Klicker, also vom Karate für Kinder ohne Kontakt, zum Vollkontakt sehr gut gelungen, was selten ist. Das bereitet mir schon Freude.» Und auch hier schliesst sich wieder ein Kreis. Simone Muntwyler trägt an jedem Turnier unter dem Karate-Gi ein T-Shirt, das ihr Andy Hug geschenkt hat, als sie noch ein kleines Mädchen war. So begleitet sie nicht nur ihr Vater an Wettkämpfen, sondern auch der Spirit seines guten Freundes.
Mit 65 Jahren würde Heinz Muntwyler sein Pensum im Kampfsport gern reduzieren, wie er sagt. Es gelingt ihm nicht wirklich. Das überrascht weniger, wenn man seinen Erzählungen lauscht. Es ist spürbar, dass immer noch ein Feuer fürs Karate in ihm brennt. Man darf gespannt sein, was die nächsten Jahre noch für ihn und den Karate Club Anglikon bereithalten. Zuvor wird er sich bei einem Segelturn mit seiner Frau eine verdiente Auszeit gönnen.